Formel 1 nur die Nummer 3

SID
Der Formel-1-Zirkus feiert seine Premiere beim GP in Indien
© Getty

Die Formel-1-Premiere in Indien steht bevor, doch scheint sich in Neu Delhi derzeit noch niemand für das Rennen zu interessieren. Die Inder jubeln lieber über ihr Cricket-Team - und schließlich ist ja noch Diwali.

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Bollywood-Stars wie Shah Rukh Khan werden in der VIP-Loge sitzen, die Bauern wollen protestieren, seit Tagen bestimmen Skandale um Steuern, Visa und TV-Boykotte die Schlagzeilen. Auf den ersten Blick ist die Formel-1-Premiere am Wochenende in Indien ein großes Thema. Bei genauerer Betrachtung lässt das Rennen den weitaus größten Teil der 1,2 Milliarden Menschen auf dem Subkontinent aber kalt.

"Selbst in dieser Woche ist das Rennen maximal die Nummer 3", sagt Kirshan, Kellner in Delhis Nobel-Restaurant Legend of India. Einer der Hauptgründe dafür erschließt sich auf den ersten Blick.

Seit Mittwoch ist in Indien Diwali, sozusagen Weihnachten. Für das Fest der Lichter, der Farben und der Gerüche wurden seit Tagen Blumengirlanden geknüpft. Die Tempel erstrahlen im Schein unzähliger Kerzen. Die Menschen verzieren ihre Häuser mit bunten Lichterketten und stellen Öllampen in die Fenster. Sie tanzen ausgelassen auf den Straßen und feuern bunte Raketen ab. Mit Diwali kann die Premiere einer weitgehend unbekannten Sportart nicht mithalten.

Cricket-Spieler gelten als Volkshelden

Sie kommt aber auch nicht gegen Cricket an. Am Dienstagabend hat Indien in seinem Nationalsport zum fünften Mal in diesem Monat das Mutterland England geschlagen. Spieler wie Kapitän Mahendra Singh Dhoni sind Volkshelden. Der Übermacht des Cricket ist sich Formel-1-Boss Bernie Ecclestone durchaus bewusst. "Wir werden Cricket nie einholen, da bin ich mir sicher", sagt er: "Aber wir müssen versuchen, möglichst nahe heranzukommen."

Doch wenn schon das Stadion Eden in Kolkata am Dienstag wegen Ticketpreisen von bis zu 200 Euro nur zur Hälfte gefüllt war, wie soll sich der Inder, der durchschnittlich 1000 Euro pro Monat verdient, die mehr als 500 Euro für das komplette Rennwochenende leisten können?

Die Veranstalter rechnen dennoch mit 100.000 Besuchern. Die Formel 1 in die Stadt zu bringen, ist ihnen aber noch nicht gelungen. Erwarten einen am Flughafen noch Werbeplakate, so sind diese in der Hauptstadt Neu Delhi praktisch nicht zu finden. Rund um den Connaught Circus, dem Mittelpunkt der Stadt, erinnert nichts daran, dass hier in wenigen Tagen etwas für Indien Sporthistorisches über die Bühne gehen soll.

Fragt man Menschen auf der Straße, wissen die meisten mit dem Begriff Formel 1 nicht einmal etwas anzufangen. Und auch diejenigen, die viel mit Touristen zu tun haben, glänzen nicht gerade mit Fachwissen. Die Frage, ob sie einen gewissen Sebastian Vettel kennen, läuft oft ins Leere. Der Kellner im Restaurant ist ehrlich. "Nie gehört", sagt er und entschuldigt sich mehrfach. Der Rezeptionist im Hotel will freundlich bleiben. "Nicht sehr gut", antwortet er beschämt. Und der Taxifahrer verzockt sich. "Na klar kenn ich Wettel", sagt er triumphierend: "Ein richtig guter Fußballer."

Ein Begriff ist aus den Reihen der ausländischen Fahrer allenfalls Lewis Hamilton. Britischen Sport verfolgen sie in der früheren Kolonie naturgemäß etwas näher, zudem wirbt der Hauptsponsor von Hamiltons Team an manchen Metrostationen mit seinem Star.

Ansonsten kennt man nur noch die beiden Lokalmatadoren Narain Karthikeyan und Harun Chandhok - die eigentlich gar nicht mehr zum Fahrerfeld gehören. Karthikeyan darf für HRT zumindest bei diesem Rennen an den Start gehen. Dass Chandhok, Sohn des indischen Motorsport-Präsidenten, dieser kurzfristig verweigert wurde, wird dem Interesse an dem Rennen weiter schaden. Dass der Tourismus angekurbelt wird, ist sowieso noch nicht zu merken. Zur Wochenmitte war Neu Delhi praktisch touristenleer.

Angebliches Investitionsvolumen von 600 Millionen Euro

Das Rennen in der Retortenstadt Greater Noida nahe Neu Delhi ist derweil längst zu einem Politikum geworden. Zwar hat ein privater Investor die Anlage, die er zu einer Sportstadt ausbauen will, für in Indien unbegreifliche 600 Millionen Euro auf die Beine gestellt.

Die Bauern, die auf diesem Feld vorher Reis, Weizen oder Senf anbauten, fühlen sich nach der Enteignung nicht ausreichend entschädigt. Das erhaltene Geld rühren sie oft nicht an, weil dies einer Kapitulation gleichkäme.

Für das Wochenende drohen die Bauern mit Protestmärschen. Zahlreiche andere Boykotts konnten im letzten Moment abgewendet werden. Wie der der TV-Zweitverwerter, die nicht senden wollten, weil sie für nicht exklusives Material zu viel bezahlen müssen.

Viele Fahrer und der Weltverband hatten gemurrt, weil die Erteilung der Visa eine Qual war. Und die Teams waren auf die Barrikaden gegangen, da Indien aufgrund seltsamer Steuergesetze von jedem Rennstall ein 19tel seines Jahreseinkommens einstreichen wollte. Der Kurs wurde wenigstens rechtzeitig fertig. Und zwei Großsponsoren sind bereits vom Cricket zur Formel 1 abgewandert. Die "Konkurrenz" von Diwali wird derweil zu groß bleiben - das Fest dauert bis Sonntag.

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