Wer nach dem zweiten Rennen der Saison in Sepang einen Blick auf den WM-Stand wirft, der muss die Formel-1-Welt für verrückt erklären. Da führt ein gewisser Fernando Alonso mit 35 Punkten vor Lewis Hamilton mit 30. Weltmeister Sebastian Vettel hat 18, Rekordchampion Michael Schumacher einen einzigen.
Es ist der Fernando Alonso, der noch vor dem Wochenende vor Panik bei Ferrari gewarnt hat und der sogar nach seinem Sieg in Sepang sagte: "Wir waren nicht siegfähig." Er sitzt in einem Auto, das als rote Gurke verspottet wurde und das im Qualifying gerade so für die Top Ten gut ist.
Ist der Ferrari jetzt auf einmal doch ein Siegerauto? Haben sich alle Experten getäuscht? Nein, haben sie nicht. "Man darf nicht glauben, dass sich durch diesen Sieg all unsere Probleme von selbst gelöst haben. Das ist jedem klar", sagte Technikchef Pat Fry.
Schwäche der Top-Teams ist Ferraris Stärke
Außerdem lieferte er einen Hinweis darauf, warum der Ferrari in den Rennen besser aussieht als im Qualifying. Denn schon in Melbourne überraschte Alonso als Fünfter. "Abhängig von den Verhältnissen verhielt sich das Auto ganz unterschiedlich", sagte Fry. "Es gab Momente, da waren wir absolut wettbewerbsfähig. Dann gab es andere Momente, in denen wir zu kämpfen hatten."
Das ist das Entscheidende. Derartige Momente hat so früh in der Saison noch jedes Team, das macht die Rennen so offen. Egal ob die vor der Saison bemitleidete Scuderia oder die hoch gelobten Teams von McLaren und Red Bull. Dazu kommt Mercedes, bei denen die Momente besonders extrem ausschlagen.
Alonso: "Es gibt keine klare Dominanz"
Es stimmt zwar, dass ein Rennen auf einem Stadtkurs und ein Rennen im Regen kein verlässliches Bild des Kräfteverhältnisses zeichnen, aber die Protagonisten haben trotzdem Tendenzen ausgemacht.
"Es gibt keine so klare Dominanz wie im vergangenen Jahr oder in den vergangenen beiden Jahren. Alles scheint viel offener zu sein", sagte Alonso.
Red-Bull-Teamchef Christian Horner konstatierte nach den Plätzen vier für Mark Webber und elf für Vettel: "Im Vergleich zum Kräfteverhältnis am Samstag hat sich unglaublich viel verschoben. Konstanz über die gesamte Saison wird der Schlüssel sein."
Alles hängt an den Pirelli-Reifen
Und zwar Konstanz in einem ganz bestimmten Bereich. "Es geht um die Reifennutzung. Das ist wohl das wichtigste Feld derzeit. Das hat sich im Vergleich zum Vorjahr verändert. Verschiedene Autos sind zu verschiedenen Zeitpunkten schnell", erklärte Horner.
Mit den neuen Pirelli-Pneus kämpfen alle. Sie sind der Hauptgrund dafür, warum McLaren im Qualifying stärker ist als im Rennen, warum Vettel keine Balance im Auto findet und in seiner Ratlosigkeit für seine schnellste Runde die härtesten Gummis hernimmt, warum Mercedes in den Rennen deutlich zurückfällt. Und sie sind der Grund, warum plötzlich ein Sergio Perez um den Sieg fährt.
Horner: "Perez ab sofort der große Favorit"
"Wenn jemand vor diesem Wochenende auf Sergio Perez gesetzt hätte, wäre er doch für verrückt erklärt worden. Aber plötzlich kämpft Perez gegen Alonso um den Rennsieg", wunderte sich Horner. "Nimmt man die heutigen Ereignisse zur Grundlage, dann ist Sergio Perez ab sofort der große Favorit."
Ob er das hundertprozentig ernst gemeint hat? Zumindest ist der Respekt vor einem überraschend stark auftrumpfendem Sauber-Team groß. Sauber hat schon 2011 die Reifen mit am besten verstanden. Das scheint 2012 ein noch größerer Vorteil zu sein. Startpositionen sind angesichts der Leistungsschwankungen im Rennen Schall und Rauch.
Button und Vettel kämpfen mit den Reifen
"Ich hätte im Rennen gerne etwas mehr Speed gehabt", sagte der Dritte Hamilton. "Im Qualifying haben wir eine sehr gute Pace, die müssen wir aber in Rennspeed ummünzen."
Sein Teamkollege Button hatte auch deshalb so ein fürchterliches Rennen, weil er die Vorderreifen nicht auf die richtige Temperatur brachte. Aus diesem Grund rutschte er auch ins Heck von Karthikeyan.
Von Reifen, die nicht die richtige Temperatur haben, kann aber nicht nur Button ein Lied singen. WM-Konkurrent Vettel fuhr seit dem Qualifying nur noch mit den harten Pneus, weil er die Medium-Reifen nicht zum Arbeiten brachte.
Mercedes gibt im Rennen Rätsel auf
Und dann war da ja noch Mercedes mit dem zweiten desaströsen Rennen in Folge. Im Qualifying ist der Silberpfeil nahezu Pole-fähig. Im Rennen nicht mehr als graues Mittelmaß.
"Unser Auto stellt uns ein wenig vor ein Rätsel", gab Mercedes-Teamchef Ross Brawn zu. "Nach einem ermutigenden Qualifying sowie den Runs mit viel Sprit am Freitag hatten wir im Rennen Schwierigkeiten, die Reifen zum Arbeiten zu bringen. Es gab nur kleine Fenster, in denen sie funktionierten."
Er wurde sogar noch konkreter: "Ich glaube nicht, dass wir die Reifen zu hart ran nehmen - wir nutzen sie einfach nicht richtig. Dieses Problem müssen wir lösen, um mit dem Auto weitere Fortschritte zu erzielen."
Weitere böse Überraschungen nicht ausgeschlossen
Solange das nicht passiert, werden auch in den kommenden Rennen Teams wie Sauber, Lotus, Williams oder Ferrari in den Rennen über Mercedes herfallen. Auch für Red Bull und McLaren könnte es noch die eine oder andere ähnlich böse Überraschung geben wie in Sepang."Wir wollen, dass uns Pirelli Kopfschmerzen bereitet", hatte McLaren-Teamchef Whitmarsh vor der Saison gefordert. Jetzt hat er seine Kopfschmerzen mit Potenzial zur handfesten Migräne.
Endlich mal ein normales Rennen
Was den Top-Teams auf der Suche nach ihrer Top-Form unheimlich helfen würde, wäre ein ganz normales trockenes Wochenende auf einer ganz normalen Strecke.
Dann käme vielleicht auch wieder ein Stückchen der Dominanz zurück, die vor allem Red Bull und McLaren im letzten Jahr ausgezeichnet hat. Die Vettels, Buttons und Hamiltons dieser Welt würden wieder gegeneinander um Siege kämpfen und nicht gegen Alonso in einem waidwunden Ferrari und Perez im Sauber.
Bis das soweit ist, bleibt die Saison 2012 jedoch eine spannende Wundertüte.
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