Schaut man nach zwei Rennen auf den Stand in der Konstrukteurswertung, dann ist die Frage nach dem Kräfteverhältnis schnell beantwortet. Dort führt McLaren (55) vor Red Bull (42). Es folgen Ferrari (35), Sauber (30) und Lotus (16). Mercedes ist mit nur einem Punkt Neunter.
So weit die nackten Zahlen. Aber wie sieht die vermeintliche Wahrheit aus? Darüber zerbrechen sich in den drei Wochen Pause bis zum dritten Rennen in China alle Verantwortlichen den Kopf.
McLaren und Red Bull vorne - und dann?
An der Meinung, dass McLaren und Red Bull auf den Plätzen eins und zwei dort stehen, wo sie hin gehören, rüttelt im Fahrerlager niemand. Beide Autos offenbarten in Malaysia zwar, dass sie noch nicht so konstant überlegen sind wie 2011, aber unter normalen Umständen werden sie auch weiterhin die Messlatte sein.
Dann wird es aber sehr interessant. Um den Platz hinter den beiden Top-Teams streiten sich mit Mercedes, Ferrari, Lotus und Sauber gleich vier Teams. Welche Argumente sprechen für diese Teams, welche dagegen? Eine Bestandsaufnahme.
Mercedes: Die Qualifying-Weltmeister. Die Silberpfeile sind auf einer schnelle Runde sogar in der Lage, Red Bull zu schlagen und McLaren zumindest gefährlich zu werden.
Hauptgrund dafür ist der umstrittene F-Schacht im Heckflügel, der einen immensen Top-Speed auf den Geraden garantiert und somit einige Zehntel Zeitvorteil bringt. Auf den beiden langen Geraden in Sepang soll es laut Hochrechnungen des Fachmagazins "auto, motor und sport" sogar eine halbe Sekunde gewesen sein.
Ob das System weiterhin erlaubt bleibt, ist nach wie vor fraglich. Lotus und Red Bull könnten in China offiziell Protest einlegen.
Ohnehin ist das Auto im Rennen das eigentliche Rätsel. Die Reifen machen genauso schnell schlapp wie 2011, obwohl Mercedes dieses Problem gelöst zu haben glaubte. Die Folge: Nico Rosberg wurde in den beiden ersten Rennen durchgereicht. Über Michael Schumacher lässt sich nach dem doppelten Pech in Melbourne und Sepang noch kein endgültiges Urteil fällen.
Es ist aber offensichtlich, dass er mit dem aktuellen Auto deutlich besser zurecht kommt als in den Jahren zuvor - und auch besser als Rosberg. "Jetzt kann Schumacher dem Auto wieder seinen Willen aufzwingen", analysierte Ex-Weltmeister Niki Lauda und stellte fest: "Das ist das erste echte Rennauto in der modernen Silberpfeil-Ära."
Aber es muss eben auch dann funktionieren, wenn es Punkte gibt, und das ist nun einmal im Rennen und nicht im Qualifying.
"Ich glaube nicht, dass wir die Reifen zu hart ran nehmen - wir nutzen sie einfach nicht richtig. Dieses Problem müssen wir lösen, um mit dem Auto weitere Fortschritte zu erzielen", sagte Teamchef Ross Brawn nach dem Malaysia-GP.
Das muss aber bald gelingen, denn Stagnation ist in diesem engen vorderen Mittelfeld fatal.
Ferrari: 34 WM-Punkte Vorsprung auf Mercedes sollten eigentlich alles sagen, tun sie in diesem Fall aber nicht. Denn der F2012 ist in Wahrheit nicht das Auto, das Fernando Alonso auf die Plätze fünf und eins gefahren hat. Es ist wohl eher das Auto, mit dem Felipe Massa einmal ausgefallen und einmal 15. geworden ist.
Der Ferrari ist für die Fahrer schwer berechenbar und schwer abzustimmen. Ob das eher an der neuartigen Vorderrad-Aufhängung (Zug- statt Druckstreben) liegt oder daran, dass Ferrari beim Auspuff mal wieder eine Entwicklung verschlafen hat, ist nicht vollständig zu klären, auch wenn vieles auf den Auspuff hindeutet.
In Barcelona soll ein überarbeitetes Auto kommen, das sich wahrscheinlich einiger Ideen der Konkurrenz bedienen wird, um zu den Top-Teams aufzuschließen.
"Im Moment hat unser Auto zahlreiche Probleme, aber demzufolge gibt es auch jede Menge Spielraum für Verbesserungen", sagte Technikchef Pat Fry. Man merkt ihm an, dass der Überraschungssieg von Alonso in Malaysia den allergrößten Druck vom Team genommen hat. Dass deswegen nicht plötzlich alles eitel Sonnenschein ist, ist auch klar.
Lotus: Um weiterhin den Ernst der Lage im Auge zu behalten, reicht ein Blick auf die Leistung von Lotus. Und zwar nicht die in den Ergebnislisten, sondern die auf der Strecke. Denn dort ist Lotus bärenstark.
Kimi Räikkönen fuhr in Sepang gegen Rennende die mit Abstand schnellste Rennrunde. Im Qualifying hätte er nach eigener Aussage ohne ein paar kleine Fahrfehler um Platz eins kämpfen können. Dass Romain Grosjean pfeilschnell ist, hat er in beiden Qualifyings gezeigt, er macht nur im Rennen noch viel zu viele Fehler.
Lotus ist vom reinen Speed her noch besser in die Saison gestartet als 2011. Und nun haben sie mit Räikkönen einen Weltmeister im Team, der die Geschwindigkeit auch in Rennergebnisse ummünzen kann.
"Es fühlt sich so an, als wäre ich nie weg gewesen", sagte Räikkönen. "Das Team hat ganze Arbeit geleistet. Das Auto fühlt sich gut an, und wir haben ganz klar den Speed, um an der Spitze zu fahren - wir benötigen einfach etwas mehr Glück."
Ähnlich selbstbewusst äußerte sich Renndirektor Alan Permane: "Ich denke, McLaren und Red Bull sind vorne, aber dann kommen wir. Der Rennspeed von Mercedes ist im Moment keine Bedrohung für uns. Und wenn Ferrari von weit hinten starten muss, ist es auch für sie schwierig."
Dank finanzstarker Sponsoren wie dem malaysischen Unternehmen Proton, das gerade erst frische 40 Millionen Euro spendiert hat, droht Lotus auch im Entwicklungsrennen während der Saison nicht die Puste auszugehen.
Sauber: Die finanziellen Mittel könnten der größte Vorteil von Lotus gegenüber der eigentlichen Sensation der ersten Rennen sein, Sauber. Der zweite Platz von Sergio Perez in Sepang war zwar zu einem gewissen Anteil den Bedingungen geschuldet, er war aber keineswegs Zufall. Der Sauber ist auch unter normalen Konditionen gut genug, um die Top Fünf angreifen zu können.
Das Auto geht nicht nur gewohnt exzellent mit den Reifen um, es überzeugt auch durch seine Straßenlage. "Der Sauber war so viel besser als der Ferrari. Wie der in den schnellen Kurven liegt, ist der Wahnsinn", sagte Force-India-Pilot Nico Hülkenberg nach dem Malaysia-GP.
Im Gegensatz zur Konkurrenz von Mercedes und Lotus liegen die Probleme des Sauber im Qualifying. Das Auto schont die Reifen fast schon zu sehr, sodass sie auf einer schnelle Runde kaum auf die optimale Temperatur zu bringen sind.
Das ist so lange in den Rennen zu kompensieren, wie die Spitzenteams ihre Probleme nicht gelöst haben. Sobald die aber konstanter werden, wird es für Sauber eng.
Denn finanziell haben die Schweizer deutliche Nachteile. Beispiel F-Schacht. "Wenn wir heute mit einem weißen Blatt Papier beginnen würden, wären wir in zwei Monaten fertig", erklärte Chefdesigner Matt Morris "auto motor und sport". "Es würde richtig ins Geld gehen. Wir müssten uns überlegen, ob sich das für uns lohnt, oder ob es nicht besser wäre, Rundenzeit durch konventionelle Schritte zu gewinnen. Die großen Teams können so eine Entwicklung parallel zum normalen Programm betreiben. Bei uns geht das nicht."
Immerhin helfen zweite Plätze wie der von Perez in Sepang dabei, die Aussichten auf zusätzliche Einnahmen zu verbessern. "Viele Teams haben finanzielle Probleme, das ist in diesem Business normal. Da helfen gute Resultate wie in den ersten beiden Rennen natürlich dabei, neue Partner zu finden", erklärte Teamchef Peter Sauber.
Bis dahin wird Sauber aber nichts bleiben, als sich so lange wie möglich im Gefühl, um Platz drei bei den Teams kämpfen zu können, zu sonnen.
Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM