"Ferrari ist als Chaotenhaufen verschrien"

Von Interview: Christoph Köckeis
Für Fernando Alonso und Co. startet an diesem Wochenende die neue Saison
© getty
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SPOX: Zu schlagen gilt es auch Triple-Champion Vettel. Wie sehr beflügelt ihn das Selbstverständnis, welches er sich in den letzten drei Jahren erarbeitete, bei der Mission Titelverteidigung?

Stuck: Jede Wiederholung eines Triumphes ist schwierig. Das komplette Feld will ihn schlagen. Alles wird an Vettel gemessen - er ist der Maßstab. Sebastian ist irgendwo auf einem Zenit. Das bedeutet nicht, dass er nicht noch besser werden kann. Er ist abgeklärt, hat im Team eine exponierte Stellung und die besten Voraussetzungen.

SPOX: Dennoch verstummen die Zweifel an seinen Fähigkeiten nicht.

Stuck: Man kann es den Neidern nicht recht machen. Du kannst ihnen nur mit Erfolg den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn er jedoch nicht gewinnt, kommen die Ratten aus ihren Löchern. Ihm ist das allerdings herzlich egal, er macht seinen Job und basta.

SPOX: Vom Psychokrieg, angestiftete durch Fernando Alonso, lässt er sich nicht beirren?

Stuck: Was hinter seinem Rücken gesprochen wird, beeinflusst ihn nicht. Solche Tricks gehören zum Spanier. Ich verfolge ihn seit den Anfangszeiten bei Minardi. Alonso ist einfach so gestrickt. Wenn er auf der Strecke nicht kontern kann, betreibt er Politik. Er polarisiert, das finde ich klasse. Sonst wäre es langweilig. Er ist ein Charakter - und das spielt er aus.

SPOX: Zuletzt tönte er, Ferrari sei 200 Mal besser vorbereitet als zum selben Zeitpunkt 2012. Damals herrschte in Maranello Weltuntergangsstimmung. Was trauen Sie der Scuderia zu?

Stuck: Im letzten Jahr verlor man den Titel knapp, entsprechend wird Ferrari alles unternehmen, die Krone endlich nach Italien zurück zu holen. Nur: Sie sind jeher als Chaotenhaufen verschrien. Wenn sie es auf den Punkt bringen, haben sie ihre Möglichkeiten. Dennoch glaube ich, dass sie in letzter Konsequenz nicht so stringent und ruhig agieren wie Red Bull. Es ist immer ein halbes Prozent Zufall und Emotion dabei.

SPOX: Obwohl ihre Nummer eins vom Ehrgeiz zerfressen und von Titeln besessen ist. Wie schätzen Sie den Alonso-Faktor ein?

Stuck: Er hat das Talent, um über sich hinaus zu wachsen. Durch ein erhöhtes Maß an persönlichem Einsatz gepaart mit der nötigen Aggressivität kann er zusätzliche Hundertstel wegschrubben. Auf eine Qualifying-Runde ist das optimal, über die Renndistanz vielleicht nicht zeitgemäß. Du musst sauber fahren, die Reifen nicht überfahren. Vettel behält stets die Geduld. Kimi Räikkönen ist auch einer davon: Er trägt nicht umsonst den Spitznamen Iceman.

SPOX: Lotus machte im Winter eine gute Figur: Wie bei Red Bull wurde man nicht müde zu betonen, der Bolide sei lediglich eine überarbeitete 2012er-Version. Evolution statt Revolution - ein Risiko?

Stuck: Sie sind mit Sicherheit gut aufgestellt. Bei Red Bull weiß Star-Designer Adrian Newey genau, was er tut. Vergangenes Jahr hatte man das beste Gesamtpaket. Bei anderen Teams ist fraglich, ob die neuen Ideen sofort den erhofften Sprung bringen. Wenn man etwas Funktionierendes besitzt, muss man das Rad nicht neu erfinden.

SPOX: Sauber schlug die konträre Richtung ein: Der Schweizer Rennstall wagte bei den Seitenkästen eine radikale Lösung. Ihr Siegertipp Nico Hülkenberg überraschte zuletzt - wie kommen Sie darauf?

Stuck: Aus den Testzeiten konnte ich herauslesen, dass er über kurze Stints bei der Musik war. Zudem zollten andere Fahrer und Verantwortliche ihnen Tribut. Bei den Seitenkästen, die extrem schmal gehalten sind, geht man einen spektakulären Weg. In Melbourne wird sich weisen, ob die Kühler für die Hitze ausreichen. Sauber war zu Saisonbeginn meist schnell. Jetzt muss man versuchen, das Entwicklungstempo konstant zu halten. Vielleicht habe ich mit diesem Tipp den Jackpot gezogen (lacht).

SPOX: Ein anderer Deutscher kehrt in die Königsklasse zurück. Nachdem ihn eine Verurteilung fast die Karriere kostet, möchte Adrian Sutil bei Force India durchstarten. Was erwarten Sie von ihm?

Stuck: Ich bin heilfroh darüber. Mit seinem Talent und fahrerischen Qualitäten gehört er in die Formel 1. Ich hoffe, das Auto lässt es zu, dass er sich in Szene setzen kann. Er hätte es verdient, Erfolg zu haben. Wichtig ist, den Fuß im Konzert der Großen wieder zu haben. Zwei Jahre Auszeit hätte er wohl nicht überlebt.

SPOX: Force India entschied sich auch für Sutil und gegen Paydriver Jules Bianchi. Letzterer hat mit Ferrari einen potenten Antreiber. Der elitäre Schein ist trotzdem kaum zu wahren. Vielmehr erhalten jene Talente mit dem dicksten Bankkonto die Chance. Wie nachdenklich stimmt Sie das?

Stuck: Die Formel 1 hat ein Problem: Kleinere Teams wissen nicht, wie sie sich finanzieren sollen. Daher müssen sie auf Piloten zurückgreifen, die eben mit Kohle kommen. Irgendwie sollte man die Thematik in den Griff bekommen. Ich möchte keinem das Potenzial absprechen. Lernen kann man vieles. Aber es bleiben aufstrebende Fahrer auf der Strecke, die über keine Mitgift verfügen. Aber daran kann man kurzfristig nichts ändern. Dafür müssten die Teams finanziell gesund sein.

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