Das große Ziel ist erreicht: Nico Hülkenberg wird Werksfahrer. "Renault war immer ein Big Player in der Welt des Motorsports. Jetzt will ich als Teil der Familie das Auto weiterentwickeln und neue Erfolgsgeschichten schreiben", schrieb der Deutsche, als er seinen Wechsel zur Saison 2017 verkündete.
Es ist ein Schritt in unbekannte Gefilde. Einer, der bei oberflächlicher Betrachtung Fragezeichen hinterlässt. Warum kehrt Hülkenberg dem Rennstall, der sich auf Platz vier der Konstrukteurs-WM befindet, freiwillig den Rücken und geht zu einem Team, das seine Kreise irgendwo im hintersten Mittelfeld zieht?
Force India top, Renault flop?
Doch die kritischen Stimmen werden bei genauerer Betrachtung leise. Force India fährt die beste Saison seiner Geschichte. Seit dem Einstieg zur Saison 2008 hat sich das frühere Jordan-Team Jahr für Jahr gesteigert. Aktuell liegen die Privatiers aus Silverstone mit 134 WM-Zählern direkt hinter den Top drei Mercedes, Red Bull und Ferrari.
Renault hingegen schaffte es in diesem Jahr in 17 Rennen nur drei Mal in die Punkte. Lediglich acht Zähler stehen auf der Haben-Seite. Doch das Auto ist nur äußerlich ein Renault. Der gelbe Lack wurde im Winter auf den fertigen Lotus aufgetragen. Das Team aus Enstone ist immer noch in der Findungsphase.
Während Force India sein Personal seit Jahren zusammenhält und damit den Grundstein für seine Konstanz legt, soll es bei den Franzosen intern kriseln. Gerüchten zufolge sind die Aufgabenbereiche zwischen Teamchef Frederic Vasseur, Sportchef Cyril Abiteboul und Renault-Sport-Präsident Jerome Stoll nicht klar verteilt. Zankereien verlangsamen den Fortschritt.
111 GP ohne Podium
Trotzdem blieb Hülkenberg nichts anderes übrig, als den Schritt hin zu Renault zu wagen. Zumindest nicht, wenn er seine hohen Ziele in seiner Karriere noch erreichen will: Der Emmericher will Siege einfahren und sich eines Tages zum Weltmeister krönen.
Nach 111 GPs wartet der Deutsche noch immer auf seine erste Podiumsplatzierung. Ein unrühmlicher Wert, der nur von Pierluigi Martini (118 GPs) und von Adrian Sutil (128 GPs) getoppt wurde. Hülkenbergs Force-India-Teamkollege Sergio Perez fuhr allein in der Saison 2016 zwei Mal unter die ersten Drei und zeigte damit, dass ein Podest mit dem Auto möglich ist.
Es scheint oft, als fehle Hülkenberg das Glück. Der Ruf, zur falschen Zeit am falschen Ort sei, eilt ihm nach knapp sechs Jahren in der Formel 1 voraus.
Hülkenberg ein Formel-1-Pechvogel?
"Nico ist einer dieser Fahrer, die wirklich Eindruck gemacht haben", lobte Vasseur seinen neuen Schützling, mit dem er bereits in der Formel 3 und der GP2 zusammengearbeitet hatte: "Speziell mit seinem GP2-Titel beim ersten Antreten. Das ist bislang nur drei Fahrern gelungen: Nico, Nico Rosberg und Lewis Hamilton."
Hülkenberg ist mehr als ein Pechvogel. Er ist ein überdurchschnittlich talentierter Fahrer, der kaum Fehler macht. Nicht umsonst verpflichtete ihn Porsche für die 24 Stunden von Le Mans im Jahr 2015. Nicht ohne Grund gewann er mit seinen Teamkollegen Earl Bamber und Nick Tandy auf Anhieb das legendäre Rennen.
Die Perspektive stimmt. Force India scheint auf dem sportlichen Höhepunkt angekommen. Alles, was im Moment funktioniert, funktioniert am Limit. Eine Steigerung ist aufgrund der finanziellen Situation kaum möglich, ein Leistungsabfall in der Zukunft wahrscheinlich. Die Konkurrenz um McLaren-Honda und dem börsennotierten Williams-Team kann vor den großen Regeländerungen zur Saison 2017 mehr Geld in die Hand nehmen.
Der Schuss muss sitzen
Hülkenbergs Wechsel zu einem großen Rennstall ist daher verständlich. Mit seinen 29 Jahren erreicht er die entscheidende Phase seiner Rennfahrerkarriere, der nächste Schuss muss sitzen. "Es war immer mein Traum, für ein Werksteam zu fahren", erklärte er entsprechend.
Zwar hätte Hülkenberg noch ein Jahr Vertrag bei Force India gehabt und hätte sich damit in aller Ruhe ansehen können, wohin die Reise der Rennställe im neuen Zeitalter geht. Aber wer sagt, dass die Tür bei einem der Werkteams dann noch offen ist?
Auch wenn Kimi Räikkönens Abschied bei Ferrari zum Ende der nächsten Saison wahrscheinlich ist, um ein mögliches Hülk-Engagement bei der Scuderia war es zuletzt ruhig geworden. Noch vor drei Jahren stand er kurz vor einem Wechsel nach Maranello, ehe ihm der damalige Teamchef Stefano Domenicali per SMS absagte.
Renault mit einem Fünf-Jahres-Plan
Da auch bei Mercedes, Red Bull und McLaren die Plätze vergeben scheinen, bleibt nur Renault. Das Team aus Enstone weiß, wie ein Weltmeisterauto gebaut wird. In den Jahren 2005 und 2006 fuhr Fernando Alonso für sie zu seinen beiden WM-Titeln. Mit Kimi Räikkönen reichte es in den Jahren 2012 und 2013 zu zwei Siegen.
Zur Saison 2017 startet Hülkenberg im echten Renault. Dann wird nicht nur gelber Lack auf den unter Sparzwängen entwickelten Lotus gesprüht. Im Hintergrund arbeiten die Ingenieure an einem Fünf-Jahres-Plan, der Hülkenberg überzeugt haben dürfte.
"Nächstes Jahr peilen wir die Top 5 an. Im Jahr darauf wollen wir regelmäßig um Podestplätze kämpfen. 2020 wollen wir mit der besten Power Unit und dem besten Chassis um die Meisterschaft kämpfen", erklärte Stoll im Sommer die Ziele. Die Ambitionen sind riesig.
Darüber hinaus soll der gelernte Speditionskaufmann bei Renault kräftig verdienen. Im ersten Jahr wartet offenbar ein Gehalt von 4,5 Millionen Euro auf ihn, im zweiten 6 Millionen und im dritten 7 Millionen Euro. Hinzu kommen Punkt- und Podestprämien. Summen, von denen er bei Force India nur träumen konnte. Zumal das Salär dort nicht immer pünktlich gezahlt wurde.
"Schöner Abschluss einer fantastischen Zeit"
Ein weiterer Pluspunkt für die Gelben: Hülkenberg wird als Nummer-1-Fahrer in die neue Saison gehen. Nachdem er gegen Perez sowohl zuletzt beim Blick auf die WM-Punkte alt aussah, setzt das Team bei der Entwicklung auf seine Erfahrung. Sein Teamkollege wird sich unterordnen müssen.
Doch all das ist Zukunftsmusik. Noch stehen für Hülkenberg vier Rennen im Force India an. Die will er so erfolgreich wie möglich beenden und so für einen "schönen Abschluss einer fantastischen Zeit" sorgen.
Nico Hülkenberg im Steckbrief