Michael Schumacher und Spa-Francorchamps, das war von Beginn an eine besondere Beziehung. Auf der Ardennen-Achterbahn feierte der spätere Rekordweltmeister 1991 nicht nur sein Formel-1-Debüt, sondern eine Saison später auch seinen ersten Sieg in der Königsklasse. Es war der erste Triumph von insgesamt 91 und damit der Auftakt in eine unvergleichliche Erfolgsserie, die am Ende sieben Titel für den Kerpener bereithielt.
Von einem solchen konnte Schumacher damals allerdings nur träumen. Als er zu seinem Premierensieg fuhr, war die Weltmeisterschaft '92 nämlich schon entschieden. Der "Löwe" Nigel Mansell war es, der sich bereits ein Rennen zuvor zum Champion krönte und den WM-Kampf damit vorzeitig beendete.
Nun, 25 Jahre später, hat mit Sebastian Vettel wieder ein deutscher Fahrer gute Karten auf einen Sieg in Spa. Mit einem wichtigen Unterschied: Die Weltmeisterschaft ist noch völlig offen. Der Heppenheimer und Lewis Hamilton liegen nur 14 Zähler auseinander (202 zu 188) - bei noch neun ausstehenden Rennen mit maximal 225 zu vergebenen Punkten eine Winzigkeit.
Die Ausgeglichenheit, mit der sich beide Fahrer in dieser Saison bekämpfen, zeigt sich auch bei der Siegstatistik. Vettel und Hamilton kommen bisher auf je vier Erfolge, zwei Rennen in Folge konnte dabei keiner der Piloten gewinnen. Passend zur anstehenden Ardennen-Achterbahn ist die laufende Saison damit wie ein ständiges Auf und Ab.
Vettel und Hamiltons Kopf entscheidend
"Beide haben kleine Schwächen", erklärte Nico Rosberg bei Sport1 Vettels und Hamiltons Ausgewogenheit: "Sebastians Stärke bringt ihm gleichzeitig auch eine Schwäche, wie man in Baku gesehen hat - zu sehr überzeugt von sich, zu überzeugt, dass er immer Recht hat. Lewis ist dagegen so ein bisschen inkonstant. Manchmal kommt er an die Strecke, da passt es nicht hundertprozentig im Kopf."
Der amtierende Weltmeister spricht damit einen entscheidenden Faktor im WM-Kampf an: die Psyche. Welcher Fahrer kommt mit dem zunehmenden Druck besser klar? Wer ist dann zur Stelle, wenn es zählt? Wer betreibt die beste Schadensbegrenzung, wenn vielleicht mal nicht alles nach Plan verläuft?
"Sebastian ist ein sehr fokussierter Mensch. Er kommt sehr gut mit Druck klar. Je mehr Druck er hatte, desto besser wurde er", ist sich Red-Bull-Teamchef Christian Horner sicher. Auch Motorsportberater Helmut Marko glaubt, dass sein ehemaliger Schützling "die Sommerpause genutzt hat, um noch stärker zurückzukommen. So kenne ich ihn."
Die beiden Red-Bull-Verantwortlichen haben Recht, wenn man auf die Zahlen schaut. In neun Saisons, die Vettel in der Formel 1 komplett absolviert hat, holte er acht Mal in der zweiten Saisonhälfte mehr Punkte als in der ersten. Sein Problem: Auch Hamilton präsentierte sich bislang als Rückrunden-Spezialist, in neun von zehn Saisons gewann er nach der Sommerpause mehr Zähler als davor.
Ferrari oder Mercedes: Welches Team ist besser?
Wie erfolgreich ein Fahrer aber letztlich ist, hängt natürlich auch eng mit der Performance seines Autos zusammen. Und hier greifen Vettel und Hamilton auf fast ebenbürtiges und doch sehr unterschiedliches Material zurück. Während der Mercedes gemeinhin als der etwas schnellere Bolide gilt und gerade auf den kommenden Power-Strecken in Spa und Monza als Favorit ins Rennen geht, hat der Ferrari seine Vorteile auf engen Kursen wie zuletzt in Ungarn oder beim Nachtrennen in Singapur. Zudem ist die Setuparbeit am SF70H leichter als beim silbernen Rivalen.
"Ferrari hat sich immer wieder zurückgekämpft. Deshalb darf man die Scuderia nicht abschreiben", will Rosberg die Italiener nicht unterschätzen, auch wenn er seinen ehemaligen Rennstall insgesamt im Vorteil sieht: "Ich glaube immer noch, dass Lewis und Valtteri Bottas einen Trumpf haben, weil sie langfristig das bessere Auto haben."
Zumal der Technikteufel die Silberpfeile bisher weitestgehend verschont hat und Hamilton auf ein breitgefächertes Sortiment seiner Antriebsteile zurückgreifen kann. Anders sieht es da schon bei Vettel aus. Der Wahl-Schweizer hat bereits alle vier erlaubten Turbolader in Gebrauch gehabt - beim Einsatz einer fünften Einheit gäbe es eine Strafversetzung um zehn Startplätze.
Bei den anderen Teilen seiner Power-Unit (Motor, MGU-H, MGU-K, Batterie, Kontrollelektronik) steht Vettel auch schon bei drei an der Zahl. Früher oder später wird Vettel damit aller Voraussicht nach mit einem Nachteil ins Rennen gehen, der ihm jede Siegchance von Vornherein zunichtemachen wird.
Räikkönen als Vettels treuer Helfer
Dafür hat der Ferrari-Pilot einen anderen Vorteil auf seiner Seite: Kimi Räikkönen. Der Iceman, der seinen Vertrag erst unter der Woche um ein weiteres Jahr verlängert hat, ist der vielleicht treueste Teamplayer im gesamten Feld und damit ein wichtiger Unterstützer von Vettel. Bei Mercedes hingegen muss man zweigleisig fahren, weil Bottas mit nur 33 Punkten Rückstand noch realistische WM-Chancen hat. Hamilton muss sich seine Brötchen somit selbst verdienen.
Doch über solche Dinge möchte Vettel so frisch nach der Sommerpause noch gar nicht nachdenken. Er setzt seinen Fokus erst einmal auf den Belgien-GP. "Im Moment schaut es gut aus, es ist aber noch ein sehr langer Weg", sagte der viermalige Weltmeister mit dem üblichen Verweis, "jedes Rennen für sich anzugehen. Man darf sich vom großen Ziel nicht ablenken lassen".
Mit dieser Herangehensweise fährt Vettel wohl richtig. Denn sollte das Mächteverhältnis zwischen Mercedes oder Ferrari in etwa so bleiben wie bisher, wird die Achterbahnfahrt um die Weltmeisterschaft fortgesetzt. Nächster Halt: Schumis Wohnzimmer.