Christian Schulzstaunte nicht schlecht, als ihn Felipe während der ersten Trainingseinheit mit einem Übersteiger im Eins-gegen-Eins stehen ließ und den Ball anschließend mit voller Wucht in den Winkel drosch. Der Brasilianer ist dabei nicht einmal Hannovers neuer Zauberfuß im Sturm, sondern ein Verteidiger.
Geholt als Nachfolger für Emmanuel Pogatetz, den es zum VfL Wolfsburg zog, ist Felipe nicht nur vor dem eigenen Tor eine echte Verstärkung. Mit einer Körpergröße von 1,93 Metern und einer Kopfballstärke ist der der Prototyp des bulligen Innenverteidigers - mit einer gehörigen Portion feiner Technik.
Drei Tore erzielte er in der Vorsaison für Standard Lüttich, sorgte um ein Vielfaches für Unruhe vor dem gegnerischen Tor. Nicht nur deswegen ist der um vier Jahre jüngere Felipe nicht nur ein Ersatz für Pogatetz, der bei 96 eine tragende Rolle spielte.
"Mein Traum ist wahr geworden"
Der österreichische Nationalmannschaftskapitän war aber in der Rückrunde in Ungnade bei Trainer Mirko Slomka gefallen. Zwei Millionen Euro Ablöse bekam Hannover für Pogatetz aus Wolfsburg. Genau die Summe, die auch Felipe gekostet haben soll. Kein schlechter Tausch für 96.
"Internationale Erfahrung war ein zentraler Punkt", so Sportdirektor Jörg Schmadtke zum Anforderungsprofil an einen neuen Innenverteidiger. "Ich bin zuversichtlich, dass Felipe in der Bundesliga und in der Europa League ein wesentlicher Leistungsträger unserer Mannschaft wird."
"Mein Traum ist wahr geworden. Ich habe immer davon geträumt, in der Bundesliga zu spielen und bin sehr froh, nun Teil eines großen Klubs wie Hannover 96 zu sein." Im Gespräch war Felipe zuvor auch schon bei Borussia Mönchengladbach.
Seinen beiden Freunden Igor de Camargo und Dante, die beide bereits vor ihm bei Lüttich unter Vertrag standen, stattete er sogar einen Besuch im Gladbacher Borussia-Park ab. Weil Dantes Wechsel zum FC Bayern sich früh andeutete, war Felipe, der Dante-Doppelgänger, quasi der ideale Ersatzkandidat.
Hannover hat aber die bessere Überzeugungsarbeit geleistet: "96 hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie mich unbedingt wollen. Da wusste ich, das ist der richtige Klub für mich", so Felipe.
Hannover fast aus der Europa League geköpft
Um auf den 25-jährigen Brasilianer aufmerksam zu werden, musste Hannover 96 keine tiefgründigen Recherchen anstellen. Gleich viermal konnten die Verantwortlichen Felipe in der vergangenen Saison aus nächster Nähe begutachten.
Sowohl in der Gruppenphase, als auch im Achtelfinale der Europa League kreuzten sich die Wege von Hannover und dem Brasilianer, der in allen vier Spielen für Standard Lüttich auf dem Platz stand und Werbung in eigener Sache machen konnte.
Den besten Auftritt legte Felipe im Achtelfinal-Hinspiel (2:2) hin. Ohne Fehler in der Defensive, hätte er Hannover 96 sogar beinahe richtig weh getan. Bei einem Freistoß in der 90. Minute tauchte er plötzlich vor dem Tor von Ron-Robert Zieler auf und köpfte fast noch den Siegtreffer für Lüttich.
Nur zum Vergleich: Pogatetz war im zweiten Gruppenspiel gegen Standard Lüttich der schlechteste Mann auf dem Platz. Die beiden Achtelfinal-Begegnungen durfte sich der Österreicher sogar von der Bank aus ansehen. Im darauffolgenden Bundesligaspiel gegen den 1. FC Köln flog Pogatetz komplett aus dem Kader.
Teil einer verrückten Champions-League-Saison
Insgesamt 18 Spiele absolvierte Felipe in den beiden europäischen Klubwettbewerben und erfüllt dadurch auch das Anforderungsprofil von Hannover-Sportdirektor Jörg Schmadtke. Einiges mitgemacht hat Felipe dabei zweifelsohne.
Gleich in seiner ersten Saison bei Standard Lüttich durfte Felipe Champions League Luft schnuppern. Und das nicht irgendwo, sondern unter anderem im Emirates Stadium des FC Arsenal.
Aber damit nicht genug: Während der FC Bayern bei Juventus Turin um das Achtelfinale kämpfte, spielte Standard Lüttich am letzten Spieltag der Gruppenphase zu Hause gegen AZ Alkmaar um den dritten Platz in der Gruppe H und damit die Qualifikation für die Europa League. Ein Unentschieden reichte Lüttich, Alkmaar musste gewinnen.
Tatsächlich führte AZ auch bis in die Nachspielzeit. Doch Lüttich-Torhüter Sinan Bolat hatte einen anderen Plan, lief in der 95. Minute bei einem Freistoß von Benjamin Nicaise mit nach vorne und köpfte den Ball ins Tor. 1:1, Lüttich rettete sich in die Europa League. Immerhin bis ins Viertelfinale kam Felipe mit Standard Lüttich in der Saison 2009/10 dann noch.
Wie einst Dida und Rafinha
Begonnen hat die Karriere von Felipe in der Jugendmannschaft des brasilianischen Zweitligaklubs Coritiba FC. Auch wenn das zunächst wenig spektakulär klingt, wandelt er damit immerhin auf den Spuren einiger bekannter Landsmänner. Sowohl die Karriere von Dida, der elf Jahre lang das Tor der Nationalmannschaft hütete, als auch die von Barcelonas Adriano oder Rafinha vom FC Bayern München begann bei Coritiba.
Als Felipe 2007 in den Kader der ersten Mannschaft aufgenommen wurde, stieg Coritiba direkt in die erste Liga auf. Nach dem erneuten Abstieg zwei Jahre später zog es ihn dann aber nach Europa. Bei seinem neuen Arbeitgeber Standard Lüttich feierte Felipe einen Einstand nach Maß: Bei seinem Debüt am 19. September 2009 steuerte er gleich den Treffer zum 3:1 Endstand gegen Sporting Lokeren bei.
Zwar bringt Felipe offensichtlich einiges nach Hannover mit, eines muss er aber ganz sicher noch lernen. Die deutsche Sprache beherrscht der Verteidiger nicht. Mit Sergio Pinto und Co-Trainer Nastor el Maestro hat er aber zwei Ansprechpartner in der Mannschaft, mit denen er sich auf Portugiesisch verständigen kann.
Selecao als Traum, Squadra Azzurra als Alternative
Sein größter Traum ist, wie für alle Brasilianer, die Berufung in die Nationalmannschaft. Wie seine Vorbilder Lucio und Juan will Felipe den Sprung in die Selecao durch das Schaufenster Bundesliga schaffen. Der Wechsel in die Bundesliga eröffnet ihm neue Perspektiven, was auch die WM 2014 im eigenen Land angeht. So zieht es zumindest der Plan des Defensivspielers vor.
Aber auch das Hintertürchen in die italienische Nationalmannschaft hat sich der gläubige Familienmensch offen gehalten. Neben der brasilianischen besitzt Felipe auch die italienische Staatsbürgerschaft. Seine Großeltern stammen aus dem Land des Vize-Europameisters und sind nach dem zweiten Weltkrieg ausgewandert.
Privat ist Felipe eher der ruhigere Typ. "Ich gehe gerne mit meiner Frau Roberta Spazieren oder Essen." Außerdem steht er auf Tattoos. Neben seiner Frau ziert auch der Name des vor 16 Jahren verstorbenen Vaters seinen Körper. Genauso wie die chinesischen Zeichen für Gott, Familie und Liebe.
Auf dem Rasen kann Felipe aber auch mal explodieren. "Da bin ich ein anderer Felipe und nicht so ruhig", stellt er klar. Das bestätigt auf Nachfrage sicher auch Kollege Schulz.
Das ist Hannovers Brasilianer: Felipe im Steckbrief