Das K-Wort ist dieser Tage nun also endgültig angekommen in Dortmund. Über sechs Jahre lang war es bei den Schwarzgelben nicht mehr in Gebrauch. Die zweite Saison unter Trainer Jürgen Klopp begann 2009 zwar auch mit einer mageren Punkteausbeute nach sieben Bundesligapartien inklusive Derbyniederlage (sechs Zähler und Platz 15), doch der damalige BVB hat mit dem heutigen nur noch wenig gemein.
Wer um die Meisterschaft spielen möchte, fünf von sieben Spielen aber nicht gewinnt und zwei Mal hintereinander ein Heimspiel gegen den Tabellenletzten vergeigt, der steckt zweifelsohne in einer Krise. Sogar der Begriff "Katastrophe" machte am Samstag nach der ernüchternden Darbietung gegen den Hamburger SV in den Katakomben des Signal Iduna Parks die Runde.
Ausmaß der Krise kommt überraschend
Der mitunter medienkritische Klopp ließ die Journalisten wissen, dass er härtere Worte in der Berichterstattung der kommenden Tage dulden würde. Krise, Katastrophe, Kritik - niemand bei den Schwarzgelben steuert diesem Sprachgebrauch aktuell entgegen.
Schlappe 18 Tage hat die Misere gebraucht, um sich in Dortmund einzunisten. Sie hat die sportlich Verantwortlichen in ihren Ausmaßen überrascht und dafür gesorgt, dass dem BVB die Sicht auf die bevorstehenden Wochen und wohl auch Monate ordentlich vernebelt wurde.
18 Tage vor jenem HSV-Spiel hat die Borussia mit die stärksten 90 internationalen Minuten der letzten Jahre abgerissen und den FC Arsenal nach allen Regeln der Dortmunder Spiel-Kunst dominiert.
Personalarmut verschärft sich
Dieser Kick bildete den Auftakt in die ersten englischen Wochen der Saison. Nach zuvor zwei aufeinanderfolgenden Siegen in der Liga sah Klopp seine Mannschaft an diesem Abend "nahe der Perfektion", was die für den BVB-Fußball so unerlässlichen Kernkompetenzen Pressing/Gegenpressing anbetraf. Der Dortmunder Motor schnurrte das erste Mal in dieser Saison wie ein Kätzchen.
Dieser imposante Ausreißer in der Champions League war deshalb außergewöhnlich, weil der Borussia gegen die Gunners acht verletzte und in der Summe nur schwer ersetzbare Spieler fehlten.
Die Personalarmut verschärfte sich in den letzten zweieinhalb Wochen noch weiter, die Ungewissheit über die finale Formation für das nächste Spiel blieb ein steter Begleiter. Und diesmal blieben die Ergebnisse gänzlich aus.
Reagieren statt agieren
Die Verletztenmisere trägt der BVB mittlerweile seit einem guten Jahr mit sich herum, ähnlich wie der FC Schalke 04, bei dem sie sogar noch ausgeprägter ist. Für Schwarzgelb bedeutet dies unter dem Strich dasselbe wie eh und je: Lösungen für Probleme zu suchen. Davon spricht Klopp seit Jahren, nur meinte er mit Problemen lange Zeit meist nur jene, die der kommende Gegner auf dem Spielfeld verursachen könnte.
Die aufgequollene Personal-Blase, die sich aus den Langzeitverletzten der abgelaufenen Saison, den an Substanz verlorenen WM-Fahrern sowie immer wieder frisch Lädierten zusammensetzt, drohte zuletzt zu platzen. Reagieren statt agieren war für den Coach angesagt. Die bloße Anzahl an Lösungsansätzen ist für Klopp mittlerweile enorm zusammengeschrumpft, der Handlungsspielraum begrenzt. In den bislang elf Pflichtspielen konnte er noch kein einziges Mal eine annähernd ähnliche Formation auflaufen lassen.
Die Gründe für dieses Dilemma sind sehr individuell und hinderten Klopp bisher daran, einen komplexeren mannschaftlichen Plan umzusetzen. Ein eigener Artikel wäre nötig, um herauszustellen, weshalb die Form der einzelnen Kader-Mitglieder in der derzeitigen Phase nicht optimal sein kann.
Trainerteam kann nur improvisieren
Weil dies und nicht etwa mangelnde Einstellung oder fehlender Wille das Problem ist, kann Klopp das Spiel seiner Mannschaft kaum gezielt in die gewollte Richtung entwickeln. Das Gros der Truppe in eine gemeinsame Verfassung zu bringen und nebenbei die Neuzugänge störungsfrei zu integrieren, das war in den letzten sieben Wochen nicht in Gänze machbar.
So improvisiert sich das Trainerteam durch die Saison und griff auf eine solch hohe Anzahl an Spielern wie noch nie zu diesem Zeitpunkt zurück (22, nur der HSV und die Hertha haben mehr Akteure eingesetzt). In Joseph-Claude Gyau und Mitsuru Maruoka füllten zwei der besten U-23-Spieler den Kader auf, für die Amateure ging es in der 3. Liga seitdem rapide bergab.
Natürlich war die Borussia in dieser unbefriedigenden Situation weiterhin konkurrenzfähig, doch gesellten sich zu den Formschwankungen zuletzt verstärkt schwer zu erklärende individuelle Böcke. Gegen Mainz, Stuttgart, Schalke und Hamburg war Dortmund nie völlig aus dem Spiel, der Rückstand betrug im Grunde immer nur ein Tor. Den Leistungen der Mannschaft ging aber ein gesundes Maß an Konstanz, Konsequenz und Stabilität völlig ab. Sie brachte Dominanz höchstens in Versatzstücken auf den Platz - und geriet jeweils unter den Druck, für den Sieg zunächst erst einmal ausgleichen zu müssen.
Neustart am 18. Oktober
Klopp war durchaus bewusst, dass das Team in dieser Konstellation nach sieben Spielen in 22 Tagen körperlich darben würde. Mit dem vorläufigen Endergebnis, das nun bis zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs am 18. Oktober Bestand hat, rechnete er aber nicht. Dass Gegner wie Stuttgart und Hamburg vor heimischem Publikum nicht besiegt werden können, die Formkurve der Spieler rasant absackte und dazu noch eine von groben Patzern eingeleitete Pleite beim Erzrivalen ins Kontor schlägt, muss der gesamte Verein nun erst einmal herunterschlucken und lässt ihn in diesen Tagen verdutzt zurück.
"Das war der Tiefpunkt", sagte Klopp am Samstag nach einer Vorstellung, die zu den fünf schwächsten BVB-Heimspielen unter seiner Leitung zählen dürfte. Sein Team und er wollen einen Neustart vornehmen, der neue Saisonbeginn wird auf den 18. Oktober verschoben. Allerdings bleibt klar: Das Improvisationsproblem wird sich so schnell nicht lösen lassen.
Beim nächsten Spiel in Köln ist immerhin das Mitwirken der beiden wichtigsten Akteure Marco Reus und Henrikh Mkhitaryan in Sicht. Auch Ilkay Gündogan, Kevin Großkreutz, Neven Subotic, Jakub Blaszczykowski, Sven Bender, Sebastian Kehl, Dong-Won Ji, Oliver Kirch und Nuri Sahin dürften dann einen Schritt weiter sein. Die zuletzt stark Beanspruchten (Aubameyang, Sokratis, Piszczek, Kagawa, Ramos, Immobile) müssen jedoch durchpowern.
Straffes Programm bis Weihnachten
Bis zur Winterpause stehen Dortmund noch 15 Partien in genau 63 Tagen ins Haus. Im Endeffekt werden Rhythmus wie personelle Planungsunsicherheit also bestehen bleiben.
Wie sich das und die Nebenwirkungen der aktuellen Phase auf den Einzelnen auswirken werden, kann niemand vorhersehen. Und das macht die Sache so brisant.
Während der Länderspielpause ist an ein geschlossenes Training nicht zu denken, so dass Klopp erst im Anschluss daran "die gemeinsame Herangehensweise allen nochmal klar machen" möchte.
"Wir glauben, die Probleme erkannt zu haben"
Er wird aber weiterhin Spieler mit Rückstand in unterschiedlichen Bereichen frühzeitig belasten müssen und wenn überhaupt nur sehr dosiert mannschaftstaktisch trainieren können. Bleibt dem Klub das Verletzungspech treu, droht sich das aktuelle Szenario noch eine Weile lang in Dortmund halten zu können.
Zwar hat Klopp die Gründe für die momentane Lage bereits mehrfach öffentlich seziert, eine gewisse Ratlosigkeit, wie die kommenden Wochen zu bewältigen sein werden, war aber auch bei ihm zu erahnen.
"Um BVB-Spieler zu sein und mit der Situation umzugehen, muss man sich an sie gewöhnen. Hätten wir in dieser Phase besser mal gepunktet. Das haben wir aber nicht getan - jetzt müssen wir das unter dem Druck der Tabellensituation machen", lautet Klopps Devise.
Doch entscheidend ist sein Nachschub: "Wir glauben, die Probleme erkannt zu haben. Sie abzustellen ist aber nochmal etwas anderes." Dortmund wird wohl wie bereits im Vorjahr einen heißen Herbst durchstehen müssen.
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