Die Zeit der Geisterspiele ist in allen Stadien der Bundesliga nach sechs trostlosen Monaten vorbei - aber ausdrücklich auf Bewährung. Bundesweit einheitlich dürfen für eine sechswöchige Testphase bei Veranstaltungen mit mehr als 1000 Zuschauern nun 20 Prozent der Plätze besetzt werden. Das beschlossen die Vertreter der Bundesländer in einer Videokonferenz am Dienstag. Auch die Hallen-Sportarten wie Handball, Basketball und Eishockey atmen angesichts überlebensnotwendiger Lockerungen auf.
"Sportveranstaltungen leben von der Unterstützung der Fans, von der Atmosphäre mit Publikum - das gilt sowohl für Bundesligaspiele, als auch für den Amateur- und Breitensport", sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und fügte an: "Mit sicheren Infektionsschutzkonzepten und Grenzen bei der Kapazität können die Vereine ihre Sportstätten jetzt endlich wieder mit Leben füllen. Dabei gilt: Hygienekonzepte, Schutzmaßnahmen und ein umsichtiges Vorgehen haben Priorität."
Das aktuelle Pandemiegeschehen wird dabei berücksichtigt. Das Abstandsgebot von 1,5 Metern muss eingehalten werden, in den Stadien herrscht Alkoholverbot, Gästefans sind nicht erlaubt, die Tickets sind personalisiert. Zudem ist das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bis zum Einnehmen des Sitz- oder Stehplatzes Pflicht.
Außerdem werden keine Zuschauer zu Veranstaltungen zugelassen, wenn die 7-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohner am Austragungsort größer oder gleich 35 und das Infektionsgeschehen nicht klar eingrenzbar ist.
Das Eröffnungsspiel der Saison zwischen Bayern und Schalke (20.30 Uhr live auf DAZN) könnte deshalb dennoch ein Geisterspiel werden: Die 7-Tage-Inzidenz für München liegt aktuell bei 40,09.
Bundesliga: Söder macht sich für "Probebetrieb" stark
Die Freude war dennoch groß. "Ich möchte mich bei allen aus der Politik bedanken, die in den vergangenen Wochen an der heutigen Entscheidung mitgewirkt haben", sagte Hans-Joachim Watzke. Gleichzeitig betonte der Geschäftsführer von Vizemeister Borussia Dortmund "die große Verpflichtung, dass wir als Klubs gemeinsam mit den beteiligten Fans mit dieser Probezeit in den kommenden Wochen äußerst verantwortungsvoll umgehen".
"Ich bin so glücklich und dankbar. Dass sich alle Bundesländer geeinigt haben, ist ein gutes Zeichen. Mit 20 Prozent kann man es mal angehen, um Erkenntnisse zu gewinnen", sagte DFB-Präsident Fritz Keller. Jetzt sei die Zeit gekommen, um "mit Corona zu leben".
Durch die Einigung ist die Gefahr eines Flickenteppichs vermieden. Tausende Zuschauer im kleinen Hexenkessel von Union Berlin, aber nur 300 im riesigen Stadiontempel von Borussia Dortmund: Das hätte Unverständnis hervorgerufen, Zwist und Spaltung drohten in Sport und Politik.
Am Dienstag wurden auch die letzten Abweichler davon überzeugt, mitzuziehen und der 20-Prozent-Lösung zuzustimmen. Rheinland-Pfalz beispielsweise hatte gerade erst eine Zehn-Prozent-Verordnung erlassen, die nun wieder ersetzt wird. Auch Bayerns mächtiger Ministerpräsident Markus Söder gab seine ablehnende Haltung auf und machte sich für den nun beschlossenen "Probebetrieb" stark.
Dabei tanzen die Vereine und Politiker allerdings auf dem Drahtseil. Am DFB-Pokal-Wochenende lösten Bilder dicht gedrängter Fans in Magdeburg (5000), Rostock (7500) oder Dresden (10.053) Unbehagen aus. In der Corona-Pandemie will der Fußball kein Negativbeispiel abgeben - und er will schon gar nicht den Eindruck vermitteln, alles sei ausgestanden.
Auch Manuel Schwesig bekam bei Twitter den Unmut zu spüren. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern hatte ihre Freude über die "gute Stimmung" im Rostocker Ostseestadion und den "großen Schritt in Corona-Zeiten" kundgetan. Die Rostocker Polizei jedoch betonte auf SID-Anfrage, vor allem im Bereich der Südtribüne sei die Abstandsregel zum Teil missachtet worden. Zudem gilt das Singen als sehr gefährlich.
Zuschauer-Rückkehr: Vollauslastung der Stadien noch in weiter Ferne
Dennoch sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke mit Blick auf den Ligastart gegen Borussia Mönchengladbach am Samstag (18.30 Uhr/Sky), er würde sich als Fan "den Abend definitiv freihalten". Das war deutlich, auch wenn Watzke noch Bedenken äußerte, was eine schnelle Umsetzung der Entscheidung angeht. Die Karten müssen verteilt oder verlost, Fans informiert, Konzepte umgesetzt, Ordnungsdienste instruiert werden.
Das gilt auch für die Hallen-Sportarten, die angesichts ihrer Abhängigkeit von Zuschauereinnahmen weit mehr zu leiden hatten als der Fußball. "Ich begrüße das. Eine bundeseinheitliche Lösung ist eine wichtige Botschaft und ein Vertrauensvorschuss. Das ist ein erster positiver Schritt zur Rückkehr der Fans. Ich freue mich, dass diese Entscheidung so rasch gefallen ist und nicht wie zunächst angekündigt erst Ende Oktober", sagte Geschäftsführer Stefan Holz von der Basketball-Bundesliga, die am 6. November wieder spielen wird, dem SID.
"Wir rechnen mit einer Auslastung von 25 bis 35 Prozent der Hallenkapazität als Bundesvorgabe", hatte Frank Bohmann, Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (Saisonstart am 1. Oktober), vor der Entscheidung erklärt: "Ich hoffe, dass die Richtlinie für uns der Anfang von der Rückkehr ins Geschäft ist."
Lokale Corona-Ausbrüche können hier wie dort selbstverständlich alle Einigungen aushebeln, wenn die Gesundheitsämter einschreiten. Eine Vollauslastung scheint ohnehin in weiter Ferne zu liegen: 25.000 Zuschauer auf der Dortmunder Südtribüne, das ist derzeit unvorstellbar. Ein erster Schritt jedoch ist gemacht. Immerhin.