Herr Neblung, Sie betreuen seit Jahren zahlreiche Torhüter und versuchen mit vielen davon, den Weg aus dem Nachwuchs- in den Profibereich zu gehen. Warum ist der Torhütermarkt mittlerweile schwierig geworden - lässt sich diese Frage überhaupt isoliert beantworten?
Jörg Neblung: Nein. Grundsätzlich sind auch durch die Corona-Pandemie die Budgets der Klubs geschrumpft. Stürmer und Top-Talente sind extrem teuer, weil die Gewinnphantasie die Vereine beflügelt. Sie wollen junge, belastbare Spieler, die ihren Marktwert potenzieren können. Viele denken, man müsse es so wie Borussia Dortmund machen.
Das würde zahlreiche Spieler ausschließen, die bereits etwas älter sind.
Neblung: Genau. Das führte letztlich zu einer Überbetonung des Attributes "jung" und ist eine klare Fehleinschätzung des Marktes. Die absoluten Top-Talente, die Vereine wie Dortmund, Leipzig oder Leverkusen kaufen, kosten nämlich aufgrund des großen Wettbewerbs untereinander schon unverschämt viel Geld. Und dann bleibt dennoch die Frage, ob sie die nächste Stufe auch wirklich nehmen.
Auf die Torhüter heruntergebrochen heißt das dann, dass dort am ehesten gespart wird?
Neblung: Ja. Das ist dann wie früher in der Schule: Wer als letztes gewählt wird, muss ins Tor! Da herrscht in den Vereinen nach wie vor eine Mentalität, die die Wertigkeit der Torhüter nicht verstanden hat.
Inwiefern?
Neblung: Ein guter Torhüter rettet dir sechs bis neun Punkte in der Saison, gibt aber auch Impulse für das Offensivspiel. Das sehen viele nicht. Meistens sind das die Vereine, die nach einem großen, lauten Torhüter rufen. Das ist jedoch eine gnadenlose Ausklammerung der wirklich wichtigen Qualitätsattribute eines Torwarts.
Besonders der Markt für deutsche Torhüter ist kleiner geworden, weil er sich mit den Jahren immer weiter internationalisiert hat. Wie blicken Sie darauf?
Neblung: Wir haben auf allen Positionen einen globalen Markt, die Sichtung der Spieler hat sich kolossal verändert. Alle europäischen Erstligisten arbeiten mit einer Daten-Software. Man gibt in eine Maske alle für sich wichtigen Eckpunkte eines Spielers ein, also Position, Altersbereich, körperliche Eigenschaften und so weiter. Das System spuckt dann Spieler von Singapur bis Chicago aus. Diese Auswahlmenge muss dann weiter selektiert werden, bis am Ende sagen wir zehn Spieler übrig bleiben, die anschließend per Video gesichtet werden.
Und darunter leidet der einheimische Markt?
Neblung: Ja, denn es wird nicht mehr geschaut, wer vor der eigenen Haustür in Frage kommt, sondern auf der ganzen Welt. Dieses System hat dazu geführt, dass sich beispielsweise das aufstrebende Talent des SC Freiburg in direkter Konkurrenz mit Spielern des FC Nantes und von Atlanta United befindet. Früher haben die Scouts und Berater den Sportdirektoren nur eine kleine Anzahl an interessanten Spielern geliefert, heute bekommen sie von ihren eigenen Datenspezialisten unfassbar große Datenmengen. Das ist ein Trend der letzten Jahre, der allerdings immer extremer wird und es bedingt, dass immer mehr internationale Spieler den einheimischen Spielern die Plätze wegnehmen.
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Schwächelt denn auch die deutsche Torhüterausbildung?
Neblung: Ja. Und zwar deshalb, weil nach einer guten Ausbildung im Juniorenbereich und einem sehr guten Setting innerhalb der Nachwuchsleistungszentren die nächste Spielebene immer öfter wegbricht.
Das heißt konkret?
Neblung: Zu viele Vereine melden ihre zweiten Mannschaften ab. Das ist ein riesiges Problem. Speziell bei Abwehrspielern und Torhütern dauert die Ausbildung aber länger, bei Keepern ist sie erst ab Mitte bis Ende 20 abgeschlossen. Gerade ein Torhüter muss Spielpraxis bekommen. Es fehlt jedoch bei den Vereinen der Mut, jungen deutschen Torhütern das Vertrauen zu schenken und sie zwischen die Pfosten zu stellen. Teilweise müssen auch wir Berater uns an die eigene Nase fassen.
Warum?
Neblung: Weil tendenziell eher der Transfer zu einem gut zahlenden Erstligisten realisiert wird, obwohl der schlechter zahlende Zweitligist dem Spieler regelmäßige Spielzeit in Aussicht stellt. Dass wir heute in der U21-Nationalmannschaft mittlerweile ausnahmslos Ersatztorhüter haben, ist ein großes Problem - und daran tragen alle eine Mitschuld: Vereine, Spieler und Berater.
Welche Rolle spielt der Verband?
Neblung: Wenn man sich überlegt, wie groß der Anforderungskatalog des DFB für die Nachwuchsleistungszentren ist, was da alles vorgeschrieben wird - und sobald die Ausbildung beendet ist, interessiert sich dort niemand mehr dafür, was nach der U19 passiert. Das betrifft dann nicht mehr die NLZs, das müssen die Vereine auf einmal selbst wissen und für sich entscheiden. Das heißt: Bevor die Blüte herauskommt, schneidet man die Knospe bei einem ziemlich aufgeblähten Apparat oben ab. Dabei ist eindeutig: Der Schritt aus einem durchschnittlichen U19-Team eines Bundesligisten zu dessen international agierender Profimannschaft ist einfach zu groß.
Während RB Leipzig und der VfL Wolfsburg ihre zweiten Mannschaften zuletzt abmeldeten, geht Eintracht Frankfurt den umgekehrten Weg: Dort gibt es nun wieder ein solches Team.
Neblung: Das ist ein sehr gutes Zeichen. Wenn ich Top-Talente aus dem U17- und U19-Bereich halten will, muss man einfach wissen, dass es ohne zweite Mannschaft nicht geht - weil die meisten eben nicht Leroy Sané sind, der sich einst bei Schalke einfach mal oben rein gedribbelt hat. Bei den Torhütern ist das noch extremer: Die letzten, die das geschafft haben, waren Marc-Andre ter Stegen und Bernd Leno. Alle anderen sind den Weg über kleinere Ligen im Seniorenbereich gegangen. Die meisten Vereine verstehen nicht, dass man als junger Torhüter auf dieser schwierigen letzten Position auf dem Feld eine Zeit lang braucht, um so viel mentales wie technisches Rüstzeug mitzubekommen, damit er bestehen kann.
Fehlt auch Selbstbewusstsein?
Neblung: Der Unterschied etwa zu einem Rechtsverteidiger ist: Der kann sich immer noch ein wenig hinter den Innenverteidigern und dem Torhüter verstecken. Ein junger Torhüter bekommt eben auch mal das Ding durch die Hosenträger - und dann musst du damit umgehen. Das ist aber genau das, was diesen Jungs abgeht: Die Erfahrung, auf größerer Bühne gepatzt zu haben, aber nächste Woche trotzdem weiterhin selbstbewusst auf dem Platz zu stehen. Das fehlt.