Borussia Dortmund ist vor seiner Zeit! Zwar ist dem BVB der Hattrick an Herbstmiseren gelungen, doch so früh wie diesmal rutschten die Westfalen in den vergangenen beiden Spielzeiten nicht in die Krise. Zwölf Pflichtspiele sind unter dem neuen Trainer Nuri Sahin absolviert, schon brennt nach der nächsten Auswärtspleite, dem 1:2 beim FC Augsburg, beim vorjährigen Champions-League-Finalisten der Baum.
Dortmund geht aktuell dermaßen am Stock, dass der BVB nichts anderes als ein reichlich erschütterndes Bild abgibt. Im zweiten Leuchtturm im deutschen Fußball nach dem FC Bayern sind die Glühbirnen alle ausgefallen.
Die Beinahe-Meisterschaft 2023 und die bittere Pleite im Endspiel der Königsklasse im Juni hübschen den Trend gewiss auf, doch er bleibt negativ. Dortmunds sportliche Talfahrt ist unzweideutig, von einem Spitzenteam sind die Schwarz-Gelben genauso weit entfernt wie von ihren Ansprüchen.
"Wir starten nicht bei Null, wir starten bei Minus", hatte Sahins Vorgänger Edin Terzic zum Start der Rückrunde vor zwei Spielzeiten gesagt, nachdem der BVB auf Platz sechs in die Winterpause ging. "Weniger sexy, mehr Erfolg", lautete ein Jahr später seine Losung. Ein Spiel mehr, einen Platz besser und zwei Punkte zusätzlich auf dem Konto hatte der Verein damals auf Rang fünf.
Nur noch elf fitte Profis! BVB fällt die Kaderplanung auf die Füße
Was Dortmund jedoch seit Saisonstart anbietet, ist überhaupt nicht mehr sexy, stattdessen muss es bereits am Dienstag im Pokal in Wolfsburg im Minusbereich unvermindert weitergehen. Wie dort in der derzeitigen Verfassung der Mannschaft ein dringend benötigter Erfolg eingefahren werden soll, um den nächsten herben Rückschlag nicht wahrwerden zu lassen, ist ein Rätsel.
Dem BVB fällt bereits nach acht (!) Spieltagen die schlechte Kaderplanung auf die Füße. Das Team wurde viel zu dünn besetzt, eine Breite innerhalb des Kaders ist nicht gegeben. Das ließ sich schon vor der Schlappe beim FC Augsburg beim Blick auf die Bank ablesen: In Filippo Mané, Yannik Lührs, Almugera Kabar, Kjell Wätjen und Cole Campbell saß dort die Erfahrung von 105 Bundesligaminuten verteilt auf drei Einsätze - allesamt vereint auf Wätjen.
90 Minuten später wurde diese Bilanz beinahe verdoppelt, denn Kabar und Campbell mussten ihre Debüts feiern. Gegen Wolfsburg wird Dortmund sehr wahrscheinlich auf das verletzte Trio Julian Ryerson, Marcel Sabitzer und Waldemar Anton verzichten müssen - und hat dann noch elf einsatzfähige Spieler aus dem Profi-Kader zur Verfügung.
BVB-Personalprobleme sind nur ein Symptom strategischer Fehler: Es ist nicht mehr klar, wofür der BVB steht
Trotz der alljährlich wiederkehrenden Verletztenmisere ist dies so früh in der Saison schlichtweg ein Armutszeugnis für einen Klub dieser Größe. Und damit ist es ja nicht getan: Am Samstag geht es zu Hause gegen RB Leipzig, drei Tage später gegen Sturm Graz und vier Tage danach in Mainz weiter. Eine gänzlich veränderte Personallage wird sich bis dahin nicht ergeben.
Doch nicht nur personell geht der Verein auf dem Zahnfleisch. Das ist schließlich nur ein Symptom zahlreicher strategischer Fehler, die der BVB in den vergangenen Jahren produziert hat und die den Klub bestenfalls auf hohem Niveau stagnieren lassen.
Die Tendenz der jüngeren Vergangenheit geht auch ohne den Blick auf Liga-Konkurrenten wie Leipzig oder Leverkusen in die falsche Richtung. Dortmunds Identität ist mit den Jahren zusehends verblasst. Was fehlt, sind eine zukunftsfähige Vision und übergeordnete Strategie, die außerhalb und auch auf dem Spielfeld stringent umgesetzt wird. Es ist nicht mehr klar, wofür der BVB eigentlich steht.
Es fällt schwer, dem Prozess unter Nuri Sahin zu vertrauen
Die Attraktivität und Emotionalität der sportlichen Darbietungen, die in der Ära Jürgen Klopp noch Fundament für eine beachtliche Entwicklung und identitätsstiftend waren, hat zuletzt extrem gelitten. Dortmunds Mannschaft schrumpfte angesichts des stets zweitteuersten Kaders der Liga und regelmäßiger prominenter Transfers viel zu oft auf Mittelmaß.
Eine Saison ist lang, da könne sehr viel möglich sein, sagte Terzic einst noch, als der Herbstblues beim BVB mal wieder Einzug erhalten hatte. Selten gäbe es zu diesem Zeitpunkt der Saison eine Vorentscheidung, "sondern eine Richtung". Mit Blick in die Gegenwart fällt es dennoch schwer, dem von Sahin so oft zitierten Prozess noch allzu lange zu vertrauen.
Trainerunabhängig hat die Borussia arge Probleme, wenn der Gegner früh anläuft und mannorientiert über das gesamte Spielfeld verteidigt. Tun die Kontrahenten dies nicht, sondern stellen sich hinten rein und lassen den BVB anlaufen, sind die Schwierigkeiten ähnlich markant. Ein Phänomen, das am Samstag beim FCA, aber in den vergangenen Jahren in steter Regelmäßigkeit zu beobachten war.
Statistik untermauert besorgniserregenden Zustand des BVB
Sahins mehr spielerischer Ansatz ist dieser Schwäche noch nicht beigekommen. Dortmund muss machen und tun, um zu aussichtsreichen Torchancen zu kommen - den Gegnern reichen dagegen nur wenige gute Momente. Gerade in der Liga fehlen seit langem Konstanz und eine Entwicklung.
Den Verantwortlichen sollte es zu denken geben, dass den Spielern bereits so früh in der Saison Selbstverständnis (Sahin: "Wir sind gerade sehr verkopft.") und Entschlossenheit, gerade auch nach Rückständen, abhanden gekommen sind. Eine wirklich konzentrierte Leistung über die gesamte Spieldauer war unter Sahin kaum einmal zu sehen. Längere Passagen völliger Desorientierung dagegen schon häufiger. Dies sind zweifelsfrei Merkmale einer durchschnittlichen Mannschaft und fehlender Qualität.
Den besorgniserregenden Zustand untermauert derzeit auch die Statistik: 13 Punkte nach acht Spielen bedeuten den schwächsten Saisonstart seit zehn Jahren, mit nur einem Zähler aus vier Auswärtsspielen startete man zuletzt vor 35 (!) Jahren. Seit sechs Partien und über ein halbes Jahr hat der BVB in der Fremde nicht mehr gewonnen - das gab es zuletzt 2018. 18 Gegentore hagelte es in den jüngsten sieben Begegnungen.
Watzkes Übergang hat vorzeitig erste beträchtliche Kratzer abbekommen
Sieben Punkte mehr und keine statt drei Niederlagen wies die Borussia zum selben Zeitpunkt der Vorsaison auf. Am Ende reichte es zu Platz fünf. Bei der Frage nach Besserung flüchtete sich Sahin nach der Pleite beim FCA in Phrasen: "Die Führungspersonen und Führungsspieler sind gefragt und müssen voran marschieren. Das müssen wir viel besser machen. Fakt ist, dass wir das bisher nicht hinbekommen haben."
Der vom 2025 scheidenden Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke initiierte Übergang in das nächste Zeitalter hat unter dem nun handelnden Führungszirkel, in dem mit Sahin, Sport-Geschäftsführer Lars Ricken und dem Technischen Direktor Sven Mislintat gleich drei neue Leute aufgenommen wurden, vorzeitig erste beträchtliche Kratzer abbekommen. Der BVB wird auf Zeit spielen und auf eine positive Entwicklung unter Sahin hoffen, dem von Kehl "vollstes Vertrauen" zugesichert wurde.
Diese Hoffnung muss der Coach jetzt mit einem Rumpfkader schleunigst bedienen. Das Tabellenbild in der Bundesliga ist nach gut der Hälfte der Hinrunde noch so sortiert, dass die Champions-League-Ränge für den BVB (noch) nicht außer Reichweite gelangt sind. Geschieht dies und läuft man der Musik weiterhin so sehr hinterher, würde das mit Sahin der nächste Trainer zu spüren bekommen.
"Es gibt so viele Warum-Fragen und Wieso-Fragen. Ich kann sie gar nicht alle beantworten", sagte mit Julian Brandt ein Führungsspieler. "Ich sage ganz ehrlich: Ich bin seit sechs Jahren hier. Ich habe so eine Phase hier noch nie erlebt." Dortmund muss zügig den Trend umkehren. Kurz-, aber vor allem auch langfristig.
BVB: Die nächsten Spiele von Borussia Dortmund
Datum, Uhrzeit | Wettbewerb | Gegner |
Di., 29. Oktober, 20.45 Uhr | DFB-Pokal | VfL Wolfsburg (A) |
Sa., 2. November, 18.30 Uhr | Bundesliga | RB Leipzig (H) |
Di., 5. November, 21 Uhr | Champions League | Sturm Graz (H) |
Sa., 9. November, 15.30 Uhr | Bundesliga | 1. FSV Mainz 05 (A) |
Sa., 23. November, 15.30 Uhr | Bundesliga | SC Freiburg (H) |