"Lattek fegte in die Bar und schrie"

Rainer Zobel (r.) gewann die Champions-League-Trophäe dreimal: 1974, 1975 und 1976
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SPOX: In den beiden darauffolgenden Jahren haben Sie den Titel verteidigt. Trotzdem haben Sie beispielsweise in der Saison 1974/75 beim FC Ararat Eriwan verloren oder im Jahr drauf bei Malmö FF. War jedes Spiel eine Wundertüte?

Zobel: Natürlich, wir sind teilweise mit einem blauen Auge ins Endspiel gekommen. Der FC Bayern hatte durchaus mehr Glück als spielerisches Können. (lacht) Trotzdem haben wir es geschafft, dreimal in Folge den Europapokal zu gewinnen beziehungsweise zwischen 1972 und 1974 dreimal die deutsche Meisterschaft.

SPOX: Vier Meistertitel in Folge schaffte aber noch niemand. Was würde es bedeuten, wenn der FCB das in diesem Jahr schafft?

Zobel: Bis heute ist unser damaliges Team noch die erfolgreichste Bayern-Mannschaft aller Zeiten - aber nicht die beste. Das heutige Team ist viel stärker. Wenn man aber etwas Besonderes erreicht, bleibt das für die Fußballgeschichte. Das ist uns in den 70ern gelungen und das wird der FCB auch dieses Jahr schaffen. Solche Erfolge sind für die Ewigkeit. Ich wünsche den Bayern, dass sie in diesem Jahr auch das Triple holen. Sie haben es verdient.

SPOX: Sie bestritten Ihr letztes Profispiel für den FC Bayern beim 7:4-Sieg über Hertha BSC am letzten Spieltag der Saison 1975/76. Mit 27 Jahren gingen Sie zum Lüneburger SK in die Verbandsliga Niedersachsen. Wieso so früh? Sie standen ja eigentlich noch voll im Saft.

Zobel: Ich hätte ohnehin nur noch zwei oder drei Jahre beim FCB dranhängen können. Also fasste ich den Entschluss zu studieren, um nach der Karriere etwas anderes zu machen. Außerdem waren zu der Zeit einige Klubs wie Schalke oder Offenbach ziemlich verschuldet. Beim FC Bayern war damals Wilhelm Neudecker Präsident. Um eine ähnliche Misere zu vermeiden, führte er ein neues Bezahlprinzip ein. Das war vom Ansatz her richtig, von der Ausführung her aber falsch.

SPOX: Erklären Sie es.

Zobel: Die Verträge von Johnny Hansen und mir liefen 1976 aus. Wir hätten zwar verlängern können, jedoch wollte man unser Gehalt nur dann bezahlen, wenn wir auf eine gewisse Anzahl an Einsätzen gekommen wären. Wir hätten deutliche Abzüge gehabt, wenn wir die Anzahl der Spiele nicht erreicht hätten.

SPOX: Das Risiko war Ihnen zu groß.

Zobel: Natürlich, der FC Bayern konnte ja steuern, welcher Spieler auf wie viele Einsätze kam. Beckenbauer, Müller, Maier, Breitner und Hoeneß hätten so oder so alle Spiele gemacht. An den anderen Spielern konnte man aber viel Geld sparen. Johnny und ich haben das nicht mitgemacht.

SPOX: Sie hätten doch aber sicher bei einem anderen Verein unterkommen können.

Zobel: Der HSV wollte mich gerne haben und dort hätte ich nebenher auch studieren können. Es scheiterte aber an der Ablösesumme, denn ich wäre zu der Zeit der teuerste Spieler der Bundesliga-Geschichte gewesen.

SPOX: Um welchen Betrag ging es denn?

Zobel: Die Ablösesumme errechnete sich anhand eines bestimmten Koeffizienten und des Gehalts. Bayern München hatte den höchsten Faktor: fünf oder sechs. Dieser wurde mit meinem Jahresgehalt multipliziert. Das wären insgesamt über zwei Millionen Mark gewesen. Das wollte natürlich kein Mensch ausgeben. Also ging ich nach Lüneburg. Ich wäre aber fast noch einmal beim FC Bayern eingestiegen.

SPOX: Wie kam es?

Zobel: Zum 30. Juni lief mein Vertrag aus. Man musste damals aber drei Monate warten, um sich wieder reaktivieren zu lassen. Vor Ablauf dieser Zeit durfte ich in Lüneburg also nicht spielen. Anfang Oktober sollte ich mein erstes Spiel bestreiten. Das Spiel wurde von einem Sonntag auf den Samstag vorverlegt. An diesem Tag spielte auch der FC Bayern zuhause gegen Schalke 04 - und verlor 0:7. Nach der Partie rief mich Bayerns Manager Robert Schwan an und sagte: 'Du kannst alles vergessen, was gesagt wurde. Wir machen das mit der Bezahlung wie früher. Komm wieder zurück.'

SPOX: Warum haben Sie es nicht gemacht?

Zobel: Das konnte ich nicht, weil ich das Amateurspiel schon bestritten hatte. Es hat mich total geärgert. Die ganze Angelegenheit ging sogar über den DFB. Man wollte den Wechsel rückgängig machen, der Lüneburger SK sollte Geld vom FC Bayern erhalten. Es war aber nicht möglich.

SPOX: Sie spielten noch einige Jahre in Lüneburg und wurden 1982 Trainer. Insgesamt 17 verschiedene Trainerstationen stehen in Ihrer Vita. Welche ist am meisten in Erinnerung geblieben?

Zobel: Im Profifußball zählt der Erfolg. Von daher waren die drei Jahre von 1998 bis 2000 bei Al-Ahly Kairo sicher die positivsten. Wir wurden dreimal ägyptischer Meister und haben den Arab Supercup gewonnen. Das waren fantastische Jahre, zumal Al-Ahly in der arabischen Fußballwelt eine absolute Größe ist. Ich erlebte dort auch einen der emotionalsten Momente meiner Karriere.

SPOX: Was ist passiert?

Zobel: Das war einen Tag nach dem Tod meines Vaters. Er starb im Alter von 89 Jahren an einem Donnerstag, am Freitag hatten wir ein Heimspiel. Die Leute in Kairo erwarteten, dass ich direkt nach Hause fliegen würde. Ich bin jedoch zum Spiel geblieben. Mein Vater hätte es auch nicht anders gewollt, er war Beamter. Er hätte es als Pflicht angesehen, zuerst die Arbeit zu erledigen. (lacht) Von daher bin ich erst nach dem Spiel geflogen. Diese Information stand am Freitagmorgen in der Zeitung.

SPOX: Und dann?

Zobel: Die Leute rechneten mir die Entscheidung hoch an. Fast 100.000 Zuschauer im Stadion hielten vor dem Spiel eine Gedenkminute für meinen Vater ab. Ein ganzes Stadion voller Muslime betete für meinen christlichen Vater. Das treibt mir heute noch Tränen in die Augen.

SPOX: Sie waren in so vielen verschiedenen Ländern und erlebten zahlreiche Kuriositäten, einige davon sicher auch in Afrika.

Zobel: Einmal wurde uns der Masseur geklaut.

SPOX: Wie?

Zobel: In Afrika wird mit allen Mitteln gearbeitet. Es war ein Spiel der afrikanischen Champions League in Burundi. In der Kabine merkte ich, dass unser Masseur und der Ballsack fehlten. Die Polizei hatte ihn abgefangen und ihn auf die Ehrentribüne gesetzt. Wir wussten nicht, wo er war. Zum Warmmachen hatten wir also weder Bälle, noch Masseur. Kurz vor dem Anpfiff brachten sie ihn wieder und entschuldigten sich mit der Aussage: 'Wir dachten, es sei der Präsident.' Das muss man sich mal vorstellen: Der Mann hatte eine kurze Sporthose an und trug zehn Bälle auf dem Rücken. Ich war unglaublich sauer, zumal es am Tag zuvor schon genauso angefangen hatte.

SPOX: Inwiefern?

Zobel: Uns wurde kein Trainingsplatz zur Verfügung gestellt. Überall, wo wir hinkamen, waren die Plätze belegt. Ich habe unseren Busfahrer nach zwei Stunden Suche auf einem Marktplatz anhalten lassen und den Jungs gesagt: 'Wir trainieren hier.' Die Spieler waren natürlich nicht sonderlich glücklich und haben vor Wut ständig Bälle in die Obst- und Gemüsestände geschossen. (lacht)

SPOX: Vermutlich könnten Sie unzählige dieser Anekdoten erzählen?

Zobel: Auf jeden Fall. Ich wurde auch einmal fast verhaftet, als ich bei der Platzbegehung mit dem Daumen in den Rasen drückte, um zu sehen, welches Schuhwerk für die Spieler am geeignetsten war. Plötzlich führten mich zwei Polizisten ab, weil sie dachten, dass ich irgendeinen Voodoo-Zauber anwende.

SPOX: Und mit all diesen Erfahrungen schließen Sie nun endgültig ab? Zur Saison 2016/17 werden Sie Trainer beim Braunschweiger Kreisligisten FC Wenden.

Zobel: Sofern keiner mehr mit richtig Bargeld droht, ist das mein Entschluss, mit dem Profifußball abzuschließen, ja. (lacht) Ich war lange unterwegs, jetzt ist die Familie wichtiger. Da ich aber nicht nur im Garten sitzen und meine Musiksammlung rauf- und runterhören kann, ist das der perfekte Ausgleich für mich.

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