Die hausgemachte Problemzone

Robert Lewandowski und Thomas Müller sind Bayerns einzige Optionen auf der Mittelstürmerposition
© getty

Der FC Bayern München muss im Champions-League-Gruppenspiel bei Celtic Glasgow (20.45 Uhr im LIVETICKER) auf den angeschlagenen Robert Lewandowski verzichten. Zwar ist der Ausfall gegen die Schotten zu verkraften, er legt jedoch dar, wie dünn die Personaldecke in der Offensive ist. Im Winter wird es jedoch ein schwieriges Unterfangen, die Problemzone zu schließen.

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Begeistert ist ein Trainer nie, wenn er einen Spieler verletzungsbedingt auswechseln muss. Aber in diesem Moment sind die Sorgenfalten auf der Stirn von Jupp Heynckes besonders tief.

Gleich ist Halbzeit im Spiel gegen RB Leipzig. Aber sein Spieler schafft es nicht mehr bis zum Pausenpfiff, er muss angeschlagen raus. Ausgerechnet derjenige, der sich beim FC Bayern unter gar keinen Umständen verletzen darf: Robert Lewandowski.

Ein Schock, der zumindest einen Teil der Freude über den 2:0-Sieg und die damit übernommene Tabellenführung überlagert. "Es ist besorgniserregend, wenn so viele Offensivspieler ausfallen", äußerte Jerome Boateng angesichts der Tatsache, dass der Pole auszufallen droht, während die einzige Alternative Thomas Müller wegen eines Muskelfaserriss derzeit ebenfalls nicht zur Verfügung steht. Auch Joshua Kimmich gab zu, dass ihm ein Ausfall Sorgen bereiten würde.

Bereits am Sonntag gab der Verein Entwarnung: Lewandowski habe nur "leichte muskuläre Probleme" und stünde schon bald wieder zur Verfügung. Kein Grund zur Panik, alles halb so wild.

Lewandowski reist nicht nach Glasgow

Die Reise nach Glasgow trat Lewandowski dennoch nicht an. Eine Vorsichtsmaßnahme, wie der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge vor dem Abflug am Münchner Flughafen erklärte: "Wenn wir gegen Real Madrid gespielt hätten, wäre er möglicherweise mitgefahren. Der Trainer will nichts riskieren. Man kann davon ausgehen, dass er Samstag gesichert wieder auf dem Platz steht."

Der Schock war also nur von kurzer Dauer. Dennoch steht die Personaldecke im Sturm wieder auf der Tagesordnung. Dabei hat das Thema eine kurzfristige, aber auch eine mittel- bis langfristige Ebene.

Wer stürmt beim FC Bayern gegen Celtic?

Kurzfristig stellt sich die Frage nach der Besetzung des Sturmzentrums gegen Celtic. Dass die Münchner die Schotten nicht auf dem Niveau von Real sehen und Lewandowski deswegen schonen, fußt zwar auf einer realistischen Einschätzung. Testspielcharakter hat das Auswärtsspiel dennoch nicht, schließlich wollen die Münchner den Achtelfinaleinzug klarmachen. Wer also kommt für den Angriff in Frage?

Im zweiten Durchgang gegen Leipzig wechselten sich Thiago und Arturo Vidal ab, die Position des Mittelstürmers zu besetzen, sozusagen als doppelte falsche Neun. Sebastian Rudy fand's gut: "Sie haben das sehr gut gemacht, waren immer anspielbereit, sind sehr viel gelaufen und auch zu der einen oder anderen Torchance gekommen."

Dass der Teamkollege die Performance des Duos in ungewohntem Aufgabengebiet lobte, war verständlich. Dennoch war nicht zu übersehen, dass es das Team seit langer Zeit nicht mehr gewohnt ist, mit einer bzw. zwei falschen Neunen als Zielspieler zu agieren, die anders eingebunden werden müssen als ein gelernter Angreifer.

Natürlich ist es nicht einzig vor den Füßen der beiden abzuladen, dass die Münchner in der zweiten Hälfte nicht mehr so zwingend waren. Vielmehr war es die generelle Haltung und Bereitschaft auf dem Platz, das Tempo hochzuhalten.

Trotzdem entpuppten sich Thiago und Vidal nicht unbedingt als 1a-Lösung für den Angriff. Beide zusammen gaben einen Torschuss ab, keinen davon aufs Tor. Auch die Laufwege und die Bewegungen in und um den Sechzehner waren ineffektiv. Nicht automatisiert. Wie auch?

Robben und Coman als Doppelspitze?

Alternativ könnte auch Robben in der Spitze beginnen: "Vielleicht wird es eine Überraschung geben. Wir haben nicht viele Kandidaten, die das machen können. Aber ich kann das vielleicht auch", sagte der Niederländer beim Abflug nach Glasgow. Robben spielte im Pokalfinale 2014 gegen den BVB in der Spitze.

Auch Kingsley Coman machte in seiner Zeit bei Juve einige Spiele vorne drin. Zudem wäre James Rodriguez eine Option.

Auf der Abschluss-PK am Montag in Glasgow gab Heynckes einen Einblick in seine Überlegungen: "Man kann 4-4-2 mit Robben und Coman spielen oder mit den beiden außen und einem Mittelfeldspieler als hängende Spitze."

Als einzigen echten Stürmer hat er U19-Stürmer Manuel Wintzheimer dabei, da der im Pokal eingesetzte Kwasi Okyere Wriedt nicht für die Champions League gemeldet ist. Jedoch bezeichnete Heynckes einen Einsatz von Wintzheimer als unwahrscheinlich.

Rummenigge jedenfalls setzt das volle Vertrauen in Heynckes: "Der Trainer ist bekannt dafür, dass er nicht lamentiert. Er wird Rezepte finden."

FC Bayern von Lewandowski abhängig

Kurzfristig Rezepte zu finden und die Problemzone zuzuschütten, ist das eine. Die langfristige Komponente der dünnen Personaldecke im Angriff steht jedoch auf einem anderen Blatt.

Die Bayern sind abhängig von Lewandowski wie von keinem anderen Spieler. Er ist der eine Akteur im Kader, der nicht zu ersetzen ist. "Es ist eigentlich Wahnsinn, dass wir nur einen Stürmer haben", kritisierte Boateng am Wochenende.

Wie gefährlich die Abhängigkeit sein kann, zeigte sich in der vergangenen Saison. Über das ganze Jahr setzte Carlo Ancelotti zu 100 Prozent auf die Karte Lewandowski. Die Folge: Als dieser ausgerechnet im Viertelfinal-Hinspiel gegen Real Madrid ausfiel, spielte dort Müller und machte eine unglückliche Figur. Es war die logische Konsequenz daraus, dass Ancelotti nie einen Plan B getestet hatte.

Trotz dieser Erfahrung entschieden sich die Münchner im Sommer dagegen, einen Backup für Lewandowski unter Vertrag zu nehmen. "Robert macht pro Jahr 90 bis 95 Prozent aller Spiele. Wenn er mal zwei, drei Spiele nicht zur Verfügung steht, ist das nicht problematisch", begründete Rummenigge seinerzeit.

Lewandowski nicht verletzungsanfällig

Und tatsächlich hatte der Vorstandsvorsitzende damit einen Punkt. Schließlich ist der Pole nicht verletzungsanfällig, seit seinem Wechsel nach München machte er 95 Prozent der Spiele (mehr als jeder andere in diesem Zeitraum) und verpasste nur eine (!) von 37 Champions-League-Partien.

Daraus jedoch den Schluss abzuleiten, Lewandowski werde auch künftig nie verletzungsbedingt ausfallen, wäre ziemlich optimistisch. Zumal mit konstanten Einsätzen auch das Verletzungsrisiko steigt.

Jüngst gab Lewandowski deswegen auch selbst zu, dass die aktuelle Saison für ihn "sehr schwer" sei: "Ich spiele derzeit bei Bayern und in der Nationalmannschaft alle drei Tage von Anfang an. Kein Spieler kann aber in einer Saison in jedem Spiel 90 Minuten spielen."

Allerdings gibt es keinen Backup, deswegen gebe es "aktuell keine andere Möglichkeit". Die Position hinter dem Polen ist die größte Problemzone im Münchner Kader. Und da sie bekannt war, ist sie hausgemacht.

Heynckes fordert Wintertransfer

Neben Lewandowski betonte auch Heynckes bei seinem Amtsantritt: "Unsere Decke vorne ist dünn. Da muss ich im Winter mal mit den hohen Herren reden."

Einer dieser "hohen Herren", nämlich Rummenigge, betonte am Montag: "Wenn die sportliche Leitung irgendeinen Namen uns sinnvoll vorträgt, dann werden wir uns damit befassen."

Die Einschränkung des sinnvollen Vortrags ist ein nicht zu unterschätzendes Detail. Denn es stellt sich die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, im Wintertransferfenster eine geeignete Alternative zu finden. Das Anforderungsprofil ist schließlich nicht unkompliziert: hohe Qualität, möglichst in der Champions League noch spielberechtigt, kein Mondpreis und bereit, sich hinter Lewandowski einzureihen und nur jedes vierte oder fünfte Spiel beginnen.

Nach den Forderungen der Spieler und des Trainers ist eine Lösung im Winter wahrscheinlich. Diese zu finden, erfordert jedoch Kreativität und Überzeugungsarbeit.

Bis sie gefunden ist, gibt es weiterhin einen Spieler im Kader, der sich unter gar keinen Umständen verletzen darf.

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