"Deutscher Meister wird nur der FCB, nur der FCB, nur der FCB", skandierten die Fans in der Südkurve der Allianz Arena, kurz nachdem Schiedsrichter Marco Fritz die Begegnung mit RB Leipzig für beendet erklärt hatte.
Im Gästeblock adaptierten die mitgereisten Fans die Sprechchöre kurzerhand, ersetzten natürlich das "FCB" durch "RBL". Eine Szenerie, die das zuvor Geschehene recht passend skizzierte. Keiner der beiden Klubs hatte sich über 90 Minuten einen zählbaren Vorteil verschafft, das Top-Spiel, das gleichzeitig den 21. Spieltag der Bundesliga abschloss, endete torlos.
Dabei hatten die Zuschauer zwei unterschiedliche Halbzeiten gesehen. Der erste Durchgang ging an die Bayern, die dominant auftraten, knapp 70 Prozent Ballbesitz hatten und immerhin sieben Torschüsse zustande brachten, während die Gäste lediglich zwei Abschlüsse verbuchten.
Nach dem Seitenwechsel zeigten sich die Roten Bullen stark verbessert und erspielten sich vor allem in Person von Timo Werner (49., 63.) und Marcel Sabitzer (46.) einige hochkarätige Chancen, sodass nach den zweiten 45 Minuten eine Torschussbilanz von sieben zu vier aus Sicht der Sachsen in den Statistikbüchern stand. Auch die Zweikampfquote drehte der Tabellenzweite zu seinen Gunsten (51,7 Prozent zu 48,3 Prozent, in Hälfte eins: 48,4 Prozent zu 51,6 Prozent).
Zieht man die beiden vorhergegangenen Spiele der Münchner gegen den FSV Mainz und die TSG 1899 Hoffenheim zu Rate, wird dabei ein Muster deutlich, das Trainer Hansi Flick am Mittwoch nach dem Pokal-Duell mit den Kraichgauern bereits in Alarmbereitschaft versetzt hatte. Von einem "Weckruf" hatte der 47-Jährige gesprochen und damit auf die jeweiligen Leistungseinbrüche seiner Schützlinge nach der Pause verwiesen.
Ähnliches Bild wie gegen Hoffenheim
Jener Weckruf blieb allerdings offensichtlich ungehört. Ähnlich wie gegen Hoffenheim, als der FCB trotz zwischenzeitlicher 4:1-Führung letztlich noch ums Weiterkommen bangen musste, war nämlich auch gegen Leipzig die anfängliche Dominanz in der zweiten Halbzeit dahin.
Der Grund dafür war im Anschluss schnell gefunden. Die Protagonisten waren sich einig, dass die taktischen Umstellungen, die RB-Coach Julian Nagelsmann in der Kabine augenscheinlich vorgenommen hatte, die Probleme beim Rekordmeister auslösten.
"Wir haben ganz gut begonnen, nach der Dominanz hat Leipzig umgestellt und Mann gegen Mann gespielt. Dann hatten wir Probleme im Aufbauspiel und mussten lange Bälle spielen", sagte FCB-Kapitän Manuel Neuer in der Mixed Zone.
"Leipzig hat zwei bis drei taktische Dinge verändert. Sie haben mit ihren Außenverteidigern höher gepresst und sind dann auch zu Chancen gekommen, die sehr gut waren", befand Hasan Salihamidzic und schob nach: "Vielleicht waren wir auch ein bisschen geschockt."
RB Leipzig stellt um, FC Bayern mit Problemen
Doch wie äußerte sich das, was Salihamidzic beobachtet hatte, konkret? Dadurch, dass die Leipziger Außenverteidiger höher pressten, ihre Münchner Pendants bei ihrer Marschroute blieben, also analog dazu agierten, ergaben sich für die schnellen RB-Offensivkräfte zwangsläufig mehr Räume.
Jerome Boateng, der im ersten Durchgang noch sehr souverän aufgetreten war, wurde beispielsweise mehrfach ins direkte Laufduell mit dem deutlich schnelleren Christopher Nkunku geschickt, weil Benjamin Pavard überspielt wurde. Auf dem anderen Flügel ergab sich ein vergleichbares Bild, wenn Alphonso Davies sich ins Offensivspiel einschaltete, Leipzig aber nach Ballgewinn rasch umschaltete.
Leon Goretzka: "Ich bin frustriert"
"Ich bin frustriert", gestand Leon Goretzka, der kurz vor Schluss den vermeintlichen Siegtreffer auf dem Fuß hatte, aber im Bauch der Arena an Peter Gulacsi scheiterte. Er führte aus: "Wir haben super angefangen und in dieser Phase hätten wir ein Tor machen müssen. Das haben wir leider nicht geschafft, dann ist Leipzig besser ins Spiel gekommen. Sie haben taktisch umgestellt, damit haben wir uns ein bisschen schwergetan."
Die Quintessenz der Aussagen: Der Kontrahent hat sich beim Pausentee gesammelt, beschlossen, mutiger vorzugehen - darauf vermochten die Münchner nicht vollumfänglich zu reagieren. Eine Situation, die schon in Ansätzen beim Auswärtsspiel in Mainz, wo die Bayern die Weichen aber früh genug auf Sieg gestellt hatten, und gegen Hoffenheim in Ansätzen zu beobachten war.
"Es kann nicht immer alles über 90 Minuten perfekt laufen. Wir nehmen uns zwar immer vor, unseren erfolgreichen Stil fortzusetzen, aber das hat gegen Leipzig nicht zu hundert Prozent geklappt", sagte Neuer mit Blick auf die Tatsache, das eigene Übergewicht erneut nicht über die volle Distanz abgerufen zu haben.
"Das ist eine gute Frage", reagierte Salihamidzic, als er darauf angesprochen wurde, wie die Bayern ihren Gegner wieder über die gesamte Spielzeit beherrschen können. "Der Trainer wird sicherlich die richtigen Schlüsse ziehen. Dann werden wir schauen, dass wir wieder dahin zurückkommen, wie wir gegen Schalke gespielt haben. Wir müssen versuchen, wieder dominant zu werden, wir müssen den Ball wieder laufen lassen und uns in der gegnerischen Hälfte festsetzen." All das sei "heute phasenweise nicht der Fall" gewesen.
Müller: "Sind nicht super zufrieden, aber Tabellenführer"
Trotz der verpassten Chance, den Verfolger zu distanzieren, herrschte am Ende aber nicht ausschließlich gedämpfte Stimmung. "Wir sind nicht super zufrieden, aber wir sind Tabellenführer. Deshalb ist es okay", konstatierte Thomas Müller, der eine Zweite-Halbzeit-Schwäche abwiegelte: "Das ist kein Problem. Die Formkurve des FC Bayern ist exzellent."
Und wie fasste der Weckrufer Flick das Spiel zusammen? "Die erste Halbzeit waren wir besser. Dann ist ein bisschen die Seriosität in unserem Spiel abhandengekommen. Am Ende muss man einfach sagen, war es ein verdientes 0:0." Ein diplomatisches Resümee.
Hinsichtlich des engen Meisterrennens sagte er: "Es ist ja das, was alle wollen - dass eine spannende Meisterschaft gespielt wird. Ich glaube, dass wir dem in diesem Jahr auch gerecht werden."
Das kann man nach dem Spiel so unterschreiben. Alleine schon anhand dessen, dass beide Fanlager immer noch berechtigterweise davon ausgehen dürfen, am Ende ganz oben zu stehen.