1. Individuelle Formkrisen
Benjamin Pavard, Niklas Süle, Lucas Hernandez und vor allem Dayot Upamecano: Sie alle performen aktuell nicht auf Top-Niveau. Im tiefsten Loch steckt wohl Upamecano, der beim 2:4-Desaster in Bochum gleich an drei Gegentreffern beteiligt war. In Salzburg war es dann Hernandez, der gegen Karim Adeyemi oft zu zögerlich agierte und sich mehrmals abkochen ließ. "Der ein oder andere Verteidiger ist nicht gerade am Maximum und sucht im Moment nach seiner Form", sagt Experte Markus Babbel zu SPOX und GOAL. "Das müssen sie sich wieder erarbeiten, über Videoanalysen und über das Training."
Die Kritik von Lothar Matthäus ("Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht") an den beiden Letztgenannten findet er aber zu heftig: "Bei Hernandez gab es ja diese Statistik, dass Bayern fast jedes Spiel gewonnen hat, wenn er auf dem Platz stand. Er hat seinen Job gemacht. Jetzt ist er gerade mal nicht ganz so gut drauf, da sofort Kritik zu üben, finde ich überzogen. Er merkt ja auch, dass er im Moment nicht bei hundert Prozent ist und ihn viele kritisieren. Das ist auch mental keine einfache Phase. Wenn man weiß, dass man beobachtet wird, erschwert es das zusätzlich."
Über Upamecano sagte Matthäus weiter, er sei nach rund acht Monaten in München immer noch ein Fremdkörper.
"Bei Upamecano hat man Salihamidzic auf die Schulter geklopft und gesagt, da hast du eine Rakete geholt. Dass er sich so schwer tut, damit konnte man nicht rechnen. Das kommt für alle überraschend", nimmt ihn Babbel, früher selbst Verteidiger beim Rekordmeister, in Schutz. "Beim FC Bayern ist es eben etwas anderes als in Leipzig, da bist du alle drei Tage gefordert und musst liefern. Da zählt nicht, wie viele tolle Diagonalbälle du spielst, sondern es geht darum, dass hinten möglichst immer die Null steht. Das muss er noch lernen."
Die Defensiv-Probleme aber nur mit Formschwächen einzelner Spieler zu erklären, greift bei der Analyse zu kurz.
2. Fehlende Balance
"Mir ist das zu einfach, nur auf einzelne Spieler zu gehen. Die Statik im Spiel ist nicht zu hundert Prozent ausgewogen", analysiert Babbel. Was der Ex-Nationalspieler (63 Länderspiele) meint: Wenn Bayern in der Vorwärtsbewegung den Ball verliert, stimmt die Restverteidigung nicht. "Es fehlt die Bereitschaft, so gegen den Ball zu arbeiten, dass man möglichst wenig Probleme bekommt. Das fängt in der Offensive an. Man muss die Zweikämpfe gewinnen. Da passieren zu viele Fehler". Mit der Folge, dass wie gegen Leipzig oder wie jetzt in Salzburg die Abwehrkette auf sich allein gestellt ist. "Wenn die Stürmer mit Tempo auf dich zukommen, ist das nicht einfach zu verteidigen, das weiß ich aus eigener Erfahrung", sagt Babbel.
Auch Hernandez kann nach seiner Begegnung mit Adeyemi ein Lied davon singen. Babbel: "Wenn er am Mann ist, ist er sensationell. Er ist sehr aggressiv, hat das Geschick für die Zweikampfführung. Wenn jemand aber mit Tempo kommt, kriegt er Schwierigkeiten. Er ist nicht langsam, aber auch nicht der Allerschnellste."
Wie also die Balance wieder herstellen? Muss Nagelsmann seine Taktik ändern? In Bochum versuchte es der Trainer zuletzt mit einem 4-1-4-1-System, gegen Salzburg stellte er wieder auf ein 3-2-4-1 um. Jeweils mit voller Offensiv-Power und fünf Angreifern (Coman, Sane, Gnabry, Müller, Lewandowski).
"Man geht zum Teil auch bewusst das Risiko ein. Dann muss man auch damit rechnen, dass ich das ein oder andere Problem bekomme", sagt Babbel. "Eigentlich müsste er einen von den Offensiven opfern. Er muss es schaffen, in dieser Konstellation eine bessere Statik hinzubekommen."
3. Mangelnde Kommunikation
Ein weiteres Problem: Mangelnde Absprachen in der Defensive. Nach dem Salzburg-Spiel kritisierte Nagelsmann vor allem das Coaching der Abwehrspieler, sprich: fehlende Kommandos. "Hernandez, Pavard, Upamecano und Süle sind alle eher ruhig. Sie sind einfach vom Typus her keine Lautsprecher", sagt Babbel. "Nagelsmann kann und muss aber natürlich trotzdem einfordern, dass sie ihren Nebenmann coachen. Das müssen die Spieler auf dem Platz regeln. Das ist ein Kriterium, das ein Innenverteidiger erfüllen muss - auch ohne eine großer Lautsprecher zu sein."
Ein Typen-Problem sieht der Ex-Bayer in der Defensive aber nicht. Der Diskussion um einen fehlenden Abwehrchef kann Babbel nichts abgewinnen: " Wenn es nicht läuft, fehlen immer die Leader. Und wenn es läuft, sind alle Leader. Das ist mir zu banal. In der Vorrunde hat kein Hahn nach einem Abwehrchef gekräht, weil die Leistungen da waren."
Vielmehr sieht er ein strukturelles Problem. Tenor: Typen in der Bundesliga? Fehlanzeige! Babbel: "Die Spieler gibt's ja kaum mehr, weil man die nicht mehr will und produziert. Die sind ja meistens dann auch etwas schwieriger zu steuern und werden dann oft schon in der Jugend aussortiert, weil man sich nicht mit denen herumplagen will."
FC Bayern: BL-Gegentore seit der Saison 2016/17
Saison | Gegentore |
2016/17 | 22 |
2017/18 | 28 |
2018/19 | 32 |
2019/20 | 32 |
2020/21 | 44 |
2021/22 | 25 |