Skifahren zu gehen ist beim FC Bayern in dieser Saison keine gute Idee: Kapitän Manuel Neuer brach sich bei einer Skitour im Dezember das Bein; Julian Nagelsmanns Aus als Trainer wurde in München beschlossen, während er gerade im Zillertal auf der Piste war. Eigentlich wollte sich Nagelsmann für den Saison-Endspurt erholen, von seiner Entlassung wurde er dem Vernehmen nach genauso überrascht wie Fußball-Deutschland. Dass er davon über die Medien erfuhr, ist schlechter Stil der Bosse.
Während es durchaus Gründe für die Trennung gibt, erscheinen die Umstände und der Zeitpunkt zumindest auf den ersten Blick äußerst verwunderlich. Obwohl der FC Bayern am Sonntag die Tabellenführung in der Bundesliga verspielt hat, bestehen zweieinhalb Monate vor Saisonende noch in allen drei Wettbewerben Titelchancen. In beeindruckender Manier hatte Nagelsmann seine Mannschaft gerade erst zum Triumph über die Star-Truppe von Paris Saint-Germain gecoacht.
Nagelsmann hätte die Chance verdient gehabt, den schon acht Siege gegen teils hochkarätige Konkurrenz andauernden Lauf in der Champions League fortzusetzen und womöglich mit dem Titel zu krönen. Darüber hinaus hätte er in der Bundesliga schon am kommenden Spieltag im direkten Duell mit Borussia Dortmund die Tabellenführung zurückerobern können. Dass ihm diese Chancen verwehrt bleiben ist zwar unfair, hat aber mehrere Gründe.
FC Bayern: Woran Nagelsmann beim FC Bayern scheiterte
Nagelsmann formte während seiner fast zwei Jahre im Amt keine Sieg-Maschine, wie es Jupp Heynckes, Pep Guardiola und phasenweise Hansi Flick geschafft hatten. Die Punkteausbeute nach 25 Spieltagen ist so schlecht wie seit der letzten Nicht-Meistersaison 2011/12 nicht mehr. Unter Nagelsmann gab es keine Konstanz, vor allem nicht in den vergangenen Wochen. Weder mit Blick auf die Ergebnisse, noch auf die Leistungen.
Nach der 1:2-Niederlage bei Bayer 04 Leverkusen am Sonntag eröffnete Sportvorstand Hasan Salihamidzic eine Mentalitäts-Debatte. Der Tenor: Die Mannschaft würde nur in den großen Spielen alles geben, es im Alltagsgeschäft Bundesliga dagegen ruhiger angehen lassen. Die Kritik richtete sich nicht nur gegen die Spieler. Sondern auch gegen den Trainer, der sie offenbar nicht entsprechend motivieren kann.
Nagelsmann wurde Mannschafts-intern kritisch beäugt, vor allem sein Hang zur öffentlichen Selbstdarstellung und fehlender Selbstkritik. Während seiner ersten Saison galt Robert Lewandowski als großer Kritiker, in dieser gab es wegen der Entlassung von Torwarttrainer Toni Tapalovic Dissonanzen mit Kapitän Manuel Neuer. Eng, womöglich zu eng, war unterdessen seine Beziehung zu Schatten-Kapitän Joshua Kimmich.
Zuletzt gab ein Spieler oder Betreuer hochgeheime Matchpläne an die SportBild weiter - im Nachhinein betrachtet und ob der aktuellen Entwicklungen womöglich aus kaltem Kalkül.
FC Bayern: Hainer verteidigte Nagelsmann vor wenigen Tagen
Lange schien es, als würden die Bosse den 2021 für über 20 Millionen Euro verpflichteten Nagelsmann trotz allem stützen. Im vergangenen Sommer verstärkten sie den Kader nach Vorstellungen des Trainers kostspielig, vor allem für die Verpflichtung des 67 Millionen Euro teuren Matthijs de Ligt hatte sich Nagelsmann eingesetzt. Seine Wünsche wurden erfüllt.
Noch im Januar winkten die Bosse die Entlassung des jahrelangen Erfolgsgaranten Tapalovic durch und installierten als Nachfolger Nagelsmanns Vertrauten von der TSG Hoffenheim Michael Rechner. Ein riesiger Vertrauensbeweis.
Anfang dieser Woche beteuerte Präsident Herbert Hainer im kicker: "Wir wollen etwas mit ihm aufbauen. Man erkennt einen deutlichen Fortschritt in diesen eineinhalb Jahren. Julian macht es sehr gut. Die Trainer-Diskussion zwischendurch kam von außen, die haben nicht wir vom Zaun gebrochen."
FC Bayern: Thomas Tuchels Rolle bei der Entlassung
Dass Nagelsmann trotz allem nun doch überstürzt entlassen wird, liegt an Thomas Tuchel. Mit den Zweifeln an Nagelsmann im Hinterkopf wollten die Bosse keine weitere Chance auf eine Verpflichtung des Erfolgstrainers verstreichen lassen.
Tuchel galt schon 2018 als Kandidat: Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge und Salihamidzic trafen sich damals sogar mit ihm in München, doch Präsident Uli Hoeneß setzte alles auf eine Vertragsverlängerung mit Jupp Heynckes. Als dieser eine Unterschrift final verweigerte, stand Tuchel schon bei PSG im Wort. Trotz verzweifelter Avancen der Münchner Bosse änderte Tuchel seine Pläne nicht mehr - und der FC Bayern musste sich mit Niko Kovac begnügen.
Sowohl bei PSG als auch seinem darauffolgenden Klub FC Chelsea bewies Tuchel, dass er Mannschaften mit großen Charakteren führen und ansehnlich Fußball spielen lassen kann - beachtlich ist auch, wie es mit beiden Klubs seit seinem Abschied bergab ging und wie ihn sich Bosse sowie Fans bisweilen zurückwünschen.
Zuletzt stand Tuchel in engem Austausch mit Vertretern von Tottenham Hotspur. Womöglich wäre er bis zu einem geordneten Übergang von Nagelsmann im Sommer schon vom Markt gewesen - also handelten die Bosse des FC Bayern sofort. Sie hatten das Gefühl, keine andere Wahl zu haben.