Es ist der Leitsatz des Machiavellismus: Der Zweck heiligt die Mittel. Der italienische Staatsphilosoph Niccolo Machiavelli begründete im 15. und 16. Jahrhundert die Lehre von Macht und Herrschaft, wonach fast jedes politische Verhalten erlaubt sei, um sein Ziel zu erreichen. Ein Ziel wie etwa die grundlegende Umstrukturierung eines Traditionsvereins.
Vor einem Jahr begann Felix Magath mit der Neuordnung des FC Schalke 04. Mit einer Radikalität, die einzigartig ist in der Bundesliga - und offenbar keinerlei Rücksicht nimmt auf zwischenmenschliche Befindlichkeiten. Dies ist spätestens seit dieser Woche offensichtlich.
Auf Bestreben Magaths hin entband Schalke per Telefonanruf seinen seit 1988 tätigen Fan-Beauftragten Rolf Rojek von seinen Aufgaben. Offiziell wurde der Entschluss mit Rojeks Doppelfunktion als Fan-Beauftragten und Vorsitzenden des Schalker Fanklub-Dachverbands erklärt, welche zu einem Interessenkonflikt führen würde. Inoffiziell jedoch habe Magath den weiterhin im Aufsichtsrat tätigen Rojek verdächtigt, Informationen weiterzugeben und Stimmung gegen die Vereinsführung zu schüren.
Rojeks Absetzung könnte für Magath jedoch gravierende Folgen haben: Erstmals seit seinem Amtantritt formiert sich Widerstand gegen ihn. Alle großen Fan-Organisationen unterzeichneten eine Erklärung, wonach sie "ein öffentliches Bekenntnis von Felix Magath zu den demokratischen Strukturen Schalkes" verlangen. Beim Pokalspiel in Aalen wurde ein übergroßes Protest-Plakat aufgehängt: "Unser Verein ist keine Diktatur!"
Magath verteidigte seine Linie und seinen Führungsstil am Donnerstag vehement. Laut "Kicker" sei "nichts von einem tiefen Riss zwischen Basis und Magath zu spüren", für "Westline" ist hingegen sogar "der Vereinsfrieden massiv gefährdet".
Dass zudem die Ticketpreise teils deutlich erhöht wurden, gleichzeitig jedoch die luxuriösen Logen für die Spieler und deren Angehörige für 1,8 bis 2,6 Millionen Euro aufwändig aus- und umgebaut wurden, wie "Reviersport" berichtet, trägt zu einer möglichen Eskalation bei. Und das alles wenige Tage vor dem Saisonstart beim Hamburger SV.
Das ist neu
Bereits im Laufe der letzten Saison installierte Magath mit Ronny Gersch (Sportlicher Bereich), Olaf Prang (Administration), Rolf Dittrich (Medien) und Markus Kern (Finanzen) eine zweite Führungsebene bestehend aus loyalen Gefolgsleuten.
Vor allem Gersch kommt spätestens seit diesem Sommer eine Schlüsselrolle zu, immerhin wurde der ehemalige Cottbus-Pressesprecher von Magath auserkoren, die Verhandlungen mit Raul und wie es heißt auch mit Diego zu führen, wenn der Cheftrainer verhindert war.
Neu zur sportlichen Führung hinzugestoßen ist der vormalige Stuttgarter Sportvorstand Horst Heldt, der zwar wie Magath und Peter Peters auch auf Schalke einen Vorstandsposten erhält, jedoch in der Hierarchie klar unter Magath angesiedelt wurde.
Sinnbildlich, dass die Jobbezeichnung "Vorstand Sport und Marketing" in "Vorstand Spielbetrieb und Marketing" umgeändert wurde. Damit besitzt Magath weiter die Hoheit über alle Transfers, Heldt soll unter anderem für den Kontakt zu den Verbänden verantwortlich zeichnen.
Die Mannschaft bekam ebenfalls ein neues Gesicht: Mit dem Weggang aktueller und ehemaliger Leistungsträger (Kuranyi, Westermann, Rafinha, Bordon, Asamoah) sowie Fehleinkäufe (Ze Roberto, Grossmüller, Sanchez) befreite sich Magath vom Kostendruck. Die drei Talente Lewis Holtby, Carlos Zambrano und Jan Moravek wurden verliehen, um Spielpraxis zu sammeln.
Als Neuzugänge fest in der Stammelf eingeplant sind Raul und Christoph Metzelder. Um die Position des Rechtsverteidigers bewerben sich der schmächtige Atsuto Uchida sowie Tim Hoogland, für links hinten wurde der spanische Junioren-Nationalspieler Sergio Escudero eingekauft. Das 18-jährige Abwehr-Juwel Kyriakos Papadopoulos und Erik Jendrisek, vormals Torjäger von Aufsteiger Kaiserslautern, sind als Alternativen von der Bank angedacht.
Im Gespräch sind außerdem internationale Hochkaräter (Misimovic, Diego, Huntelaar, Robinho), mögliche Verstärkungen (Hoarau, Jelen) und Geheimtipps, über deren Wertigkeit nur wenig bekannt ist (Deac, Skjelbred, Mantovani, Gobbi). Insgesamt kann Schalke rund 35 Millionen Euro Ablöse investieren.
Die Taktik
Die Grundformation hängt einzig und alleine davon ab, ob es Magath gelingt, einen Spielmacher von Format zu verpflichten. Einen wie Wolfsburg Zvjezdan Misimovic, der nach dem geplatzten Deal seines (Noch-)Vereins Wolfsburg mit Diego jetzt wohl doch nicht mehr kommen darf. Es bleibt jedoch weiter der Wunsch nach einem echten Zehner .
In diesem Fall stellt Magath von der flachen 4-4-2 auf das bevorzugte 4-4-2 in der Raute um, in der er 2008 Wolfsburg zur Meisterschaft geführt hatte. Diese Aufstellung mache einen offensiveren und attraktiveren Stil als letzte Saison möglich, so Magath. Für eine der restlichen drei Positionen im Mittelfeld ist Rakitic eine Fixgröße, um die weiteren Plätze bewerben sich Jermaine Jones, Peer Kluge, Christoph Moritz, Joel Matip, Lukas Schmitz und Junmin Hao, neben Edu der Gewinner der Vorbereitung.
Ein Verlierer der Raute wäre Jefferson Farfan, dessen favorisierte Position auf dem rechten Flügel wegfallen würde. Es droht womöglich sogar die Bank. Solange jedoch nach Raul kein zweiter Top-Stümer gekauft wird, beginnt Farfan, der von Magath zuletzt explizit gelobt wurde, wohl im Angriff.
Der Spieler im Fokus
Jermaine Jones. Nach 13 Monaten Zwangspause beginnt der defensive Mittelfeldspieler ein neues Kapitel seiner Karriere. Beim LIGA total! Cup fügte er sich recht gut ein, beim Supercup gegen die Bayern musste er wegen einer Nagelbettentzündung wieder aussetzen.
Ein vollkommen genesener Jones ist jedoch unerlässlich für eine erfolgreiche Saison der Schalker. Seine Zweikampfstärke und Dynamik machten ihn vor seiner Verletzung zu einem der besten Sechser Deutschlands, weder die unerfahrenen Matip, Moritz und Schmitz, noch der biedere Kluge erreichen nur ansatzweise die Klasse des 28-Jährigen.
Mit dem etwas weniger aggressiven, dafür aber technisch beschlagenen Rakitic könnte sich Jones im 4-4-2 in der Raute die Position auf der Sechs und eine der Halbpositionen teilen oder gemeinsam im flachen 4-4-2 die Doppelsechs bilden. Ein Duo von internationaler Klasse - solange Jones fit bleibt.
Das Interview
Frage: Trotz der finanziellen Situation haben Sie es geschafft, Raul zu engagieren. Wie haben Sie ihn überzeugt?
Felix Magath: Das alles war ziemlich unvorstellbar. Ich glaube, Raul hatte sich entschieden, Real Madrid zu verlassen, aber er wollte weiterhin in der Champions League Fußball spielen. Wir hatten das Glück, dass wir Christoph Metzelder zu uns geholt haben. Er war einer seiner Teamkollegen in Madrid und hat den Kontakt mit ihm hergestellt. Ich bin mir sicher, dass dies ein entscheidender Faktor war. Die andere Sache ist: Hier hat Raul ein Team, das sich entwickelt und als erfahrener Spieler kann er dem jungen Team definitiv helfen.
Das ganze Interview mit Felix Magath zum Nachlesen
Die Prognose
Magaths langfristige Vision beinhaltet die Meisterschaft und womöglich sogar den Champions-League-Sieg, mittelfristig jedoch schwebt ihm für Schalke dies vor: "Ein Verein, der sich als feste Größe im europäischen Wettbewerb etabliert und entsprechend respektiert wird. So wie aktuell Bayern oder Bremen. Schalke wäre dann in Deutschland der dritte Klub dieser Art."
Hätte Magath in den letzten Jahren mit seinen Methoden nicht solch einen Erfolg gehabt, die Skepsis wäre noch größer als sie es derzeit schon ist. Denn: Dem Kader mangelt es an Tiefe und an Klasse. Die Innenverteidigung besteht aus Höwedes, zwei Teenagern (Matip, Papadopoulos), einem für die zweite Mannschaft verpflichteten Ex-Nationalspieler (Fahrenhorst) und dem formschwachen Metzelder, dessen Verletzungsmisere sich auch bei Schalke fortzusetzen droht. Wegen einer schmerzenden Hüftbeuge droht er beim Bundesliga-Start vielleicht auszufallen.
Auf den Außenverteidiger-Positionen sind die Alternativen verletzt (Hoogland), müssen sich erst akklimatisieren (Uchida, Escudero) oder haben ihre Stärken eher im Mittelfeld (Hao, Schmitz).
Dort wiederum muss sich erst zeigen, ob die Automatismen mit einem Spielmacher und im 4-4-2 in der Raute sitzen, nachdem ein Großteil der Vorbereitung im flachen 4-4-2 absolviert wurde.
Und: Für Raul fehlt nach wie vor ein Sturmpartner, der mit seiner Kopfballstärke und Robustheit dem neuen Superstar Räume verschafft, so wie es Magath ursprünglich angedacht hatte. "Wir haben nicht die nötige Qualität in der Offensive. Ich habe Spieler im Auge, die mehr Qualität haben als die, die da sind", sagt Magath.
Solange diese Spieler aber nicht verpflichtet wurden, wird eine erneute Qualifikation für die Champions League nur schwer möglich sein. Anders als die Konkurrenten ist die Mannschaft noch immer nicht komplett, hinzu kommt: In dieser Saison erleben viele Spieler erstmals die Tücken der Doppel- beziehungsweise Dreifachbelastung.
Schalke 04 - Der Kader im Überblick