Ansturm auf Europa?

Von Marco Nehmer
Mit diesem Team geht Hertha BSC in die Saison 2014/2015
© getty

Vor dem Start der 52. Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Hertha BSC.

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Wunschelf: Kraft - Langkamp, Heitinga, Brooks - Pekarik, Hosogai, Hegeler, Plattenhardt - Beerens, Schieber, Stocker

Hertha BSC Berlin will sich im zweiten Jahr im Oberhaus nach dem Wiederaufstieg weiter etablieren und hat dem Kader ein Upgrade verpasst, auch im taktischen Bereich wurde bei der Alten Dame in der Vorbereitung umfassende Arbeit geleistet. Spieler wie Trainer sind vorsichtig optimistisch, was die anstehende Saison anbelangt.

Vieles hat sich bei der Hertha getan, jedoch nicht nur positiver Natur. Hinter der Torgefahr des Teams steht nach den prominenten Abgängen im Sturmzentrum ein großes Fragezeichen. Die Kaderplaner haben in den kommenden Wochen eine Entscheidung zu treffen. Kommt noch jemand - oder vertraut man auf das Kollektiv?

In der Hauptstadt will man die ruhige Arbeit der letzten beiden Spielzeiten fortsetzen und den Verein geduldig weiterentwickeln - doch die vergangene Saison, auf dem Papier eine gute, sollte den Verantwortlichen ein warnendes Signal sein. Einer phänomenalen Hinrunde folgte eine enttäuschende Rückserie. Irgendwo zwischen diesen Extremen will sich die Alte Dame etablieren - Ausgang ungewiss.

Das ist neu:

Trotz für einen Aufsteiger vernünftiger Vorsaison einiges. Die Hertha will sich weiterentwickeln - personell wie spielerisch. In fast allen Mannschaftsteilen wurden punktuell neue Reize gesetzt. Gleich sieben neue Spieler lotsten die Kaderplaner um Manager Michael Preetz an die Spree.

"Wenn wir als Hertha uns in der Bundesliga etablieren wollen, ist es wichtig, die Mannschaft Jahr für Jahr durchzuselektieren", erklärt Trainer Jos Luhukay die Frischzellenkur in der Hauptstadt. Defensiv wurde mit Johnny Heitinga und Marvin Plattenhardt nachgerüstet, nach einem halben Jahr im Krankenstand ist auch Kapitän Fabian Lustenberger wieder eine Option.

Im Mittelfeld steigerte die Hertha mit Jens Hegeler, Valentin Stocker und Roy Beerens ihre Optionen. Besonders der Schweizer Stocker, für 3,5 Millionen Euro aus Basel gekommen, schürt die Hoffnungen auf mehr Torgefahr von den Flügeln - doch auch der Neue ist nicht vor dem Luhukay-Credo, dem allumfassenden Konkurrenzkampf, gefeit: Für den Pokalauftakt wurde Stocker nicht nominiert.

"Ich habe hier vom ersten Tag an gesagt, dass hier jetzt eine ganz andere Situation herrscht", so Luhukay. Das gilt auch für die Neuzugänge Julian Schieber und Genki Haraguchi, die für den Angriff kamen. Hier klafft nach wie vor die größte Lücke: Nach dem Abgang von Adrian Ramos und dem endgültigen Verkauf von Pierre-Michel Lasogga soll noch ein treffsicherer Stürmer her.

Die Taktik:

4-2-3-1, 4-3-2-1, 3-4-3. Luhukay hat im Trainingslager keine Mühen gescheut, seiner Elf einen taktischen Enigma-Code einzupflanzen. Die Hertha soll für die Gegner fortan schwerer zu dechiffrieren sein. "Wir haben durch unsere Neuzugänge die Möglichkeit, unser System nicht nach dem Gegner zu richten, sondern nach uns selbst. Es ist reizvoll, unberechenbarer zu sein."

Die wichtigste Neuerung ist neben der Tannenbaum-Option die situativ einsetzbare Dreierkette. Luhukay ließ sich dabei von der WM und seinem Landsmann Louis van Gaal inspirierten: "Teams mit einer Dreierkette waren bei der WM relativ erfolgreich." Luhukays favorisierte Formation im Defensivzentrum: Heitinga als Abwehrchef, flankiert von John Brooks und Sebastian Langkamp.

Gegen Austria Wien klappte das 3-4-3 in der Vorbereitung bereits hervorragend: Am Ende stand es 5:0 für den Bundesligisten. Trotzdem dürfte in den meisten Spielen der anstehenden Saison das bewährte 4-2-3-1 zum Tragen kommen. "Ein einziges System richtig zu beherrschen ist schon sehr anspruchsvoll", so Luhukay, bei dem sich unabhängig davon abzeichnet: Das Zentrum bilden Hegeler von Hajime Hosogai.

Der Spieler im Fokus:

Stocker ist ohne Frage ein interessanter Spieler, der der Hertha weiterhelfen kann. Auch Mister X, der noch zu verpflichtende Angreifer mit Torgarantie, dürfte nach seiner Ankunft das Interesse auf sich ziehen. Im Konzept von Luhukay scheint aber ausgerechnet dem günstigsten Neuzugang die wichtigste Rolle aller Hertha-Profis zuzukommen.

Heitinga, ablösefrei vom englischen Absteiger Fulham gekommen, wird künftig als Abwehrchef und verlängerter Arm des Trainers fungieren. "Er bringt Erfahrungen aus den großen Ligen in Spanien und England mit und soll die Rolle des Organisators übernehmen, egal in welchem System" stellt Luhukay klar.

Der Vizeweltmeister von 2010 will seine Karriere national wie international im Alter von 30 Jahren noch einmal ankurbeln. Heitinga, nach Marcel Ndjeng der älteste Spieler im Kader, dürfte mit seiner Erfahrung ein enormer Zugewinn sein: Bei Ajax erlernte er den Systemfußball, in Spanien das technische Spiel, in England Tempo und Physis.

"Ich glaube, es ist meine Siegermentalität, meine Erfahrung, so dass ich jüngeren Spielern helfen kann", so Heitinga über die von Luhukay geschätzten Vorzüge. "Wir haben einen jungen Kader, ein paar große Talente, und ich hoffe, wir können besser abschneiden als in der vergangenen Saison. Es ist alles da, um erfolgreich zu sein."

John Heitingas Statistiken der Saison 2013/14

Die Prognose:

Eine klare Zielvorgabe gibt es - vom Klassenerhalt abgesehen - in der Hauptstadt diesmal nicht. "Wir wollen uns weiter etablieren in der Bundesliga, dies ist keine Aufgabe von einer Saison, sondern ein wichtiger, nachhaltiger Prozess", so Preetz.

Die Rahmenbedingungen scheinen zu stimmen. Der Kader wirkt homogen, die Alternativen haben sich erhöht, zudem könnte das taktische Geschick von Luhukay zum Faktor werden - doch Systeme schießen keine Tore. Die Hertha muss die Baustelle im Sturm schließen. Im Vorjahr gelangen nur 40 Tore - 16 davon gingen aufs Konto des Neu-Dortmunders Ramos.

Die Hertha dürfte eine ganze Zeit lang den Blick nach unten richten müssen. Greifen die Mechanismen früh genug, fügen sich die Neuzugänge gut ins taktische Korsett der Berliner ein, ist der Klassenerhalt realistisch. Eine ähnlich gute Saison wie die vergangene (Platz elf, 41 Punkte) ist möglich, doch die Rückrunde sollte den Verantwortlichen eine Warnung sein.

Die Hertha landete auf Platz 17 in der Rückrundentabelle, erzielte lediglich 13 Tore (27 in der Hinrunde). Ein brauchbarer Abnehmer im Sturmzentrum ist unerlässlich. Ohne Tore könnte es im seit geraumer Zeit ruhigen Berlin schnell wieder hektisch werden.

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