In der heutigen Zeit gehört es als Fußballprofi längst zum guten Ton, sich über soziale Medien selbst zu vermarkten. Auch Mario Götze tut dies und hält Fans wie Freunde bei Facebook bei Laune. Bilder, die Götze von sich veröffentlicht, haben allesamt ein gemeinsames Merkmal: Den in die Höhe gereckten Daumen. Kaum ein Schnappschuss, auf dem der Dortmunder beide Arme am Körper behält.
Aus diesem scheinbaren Reflex lässt sich eine gewisse Symbolik herauslesen: Götzes Daumen zeigt genau die Richtung an, in die es für ihn in seinem fußballerischen Leben zumeist ging - nach oben.
Schambeinentzündung stoppt Götze
Es ist erst drei Jahre her, da kannte Götze im Grunde genommen noch kein Mensch. Der U-17-Europameister von 2009 brauchte dann aber lediglich eineinhalb Spielzeiten bei den Profis von Borussia Dortmund, um seine Bedeutung für das Team von Trainer Jürgen Klopp - und wenig später auch für die Nationalelf - um ein Vielfaches zu potenzieren. Dabei hatte der Coach im Meisterjahr 2011 überhaupt nicht vorgehabt, Götze so häufig von der Leine zu lassen.
Doch Götze strahlte während seiner teils grandiosen Leistungen auf dem Platz eine Unbekümmertheit und Selbstverständlichkeit aus, die es Klopp unmöglich machten, ihn aus der Mannschaft zu nehmen.
Erst zu Ende der Hinrunde in der Vorsaison stoppte eine Schambeinentzündung den rasanten Aufstieg des mittlerweile 20-Jährigen.
Götze lernt zwei neue Welten kennen
Es hatte damals den Anschein, dass alles etwas zu viel geworden ist: Die körperlichen Belastungen, die sich mit der Zeit immer weiter erhöhten. Die Anforderungen der neuen Welt, in der sich Götze plötzlich - vor allem auch außerhalb des Platzes - widerfand. Kaum ein Medium, das nicht von ihm berichtete.
Vergleiche mit Lionel Messi, Anpreisungen als deutsches Jahrhunderttalent, globale Werbespots. In dieser Zeit lehnte der BVB ein 40-Millionen-Euro-Angebot des FC Arsenal ab, Götze wäre der teuerste deutsche Spieler aller Zeiten geworden.
Der Spielplan von Dortmunds Champions-League-Gruppe D
"Das lernt man mit der Zeit. Am Anfang sagt man dann doch noch oft Ja, wenn man eigentlich hätte Nein sagen sollen. Von außen betrachtet sind das schon zwei unterschiedliche Welten, in denen man sich bewegt und zurechtfinden muss", sagt er heute zur neuen Intensität seines Lebens.
Doch auch wenn es Götzes Natur ist, diesem Trubel mit einer gewissen Ignoranz zu begegnen, musste er erst lernen, mit den sich rasch veränderten Gegebenheiten umzugehen und gleichfalls einzusehen, dass der Daumen eben auch einmal nach unten zeigen kann.
Götze: "Da gibt es kein Entkommen"
Die Blessur am Schambein sorgte für einen Bruch in seinem Karriereverlauf. Erstmals konnte er über Monate hinweg kein Fußballspiel absolvieren. Die Ungewissheit über den Zeitpunkt seiner vollständigen Genesung machte ihn ungeduldig.
Auch sein Verein merkte, dass Götzes Popularität bisweilen groteske Dimensionen annahm und zog den Youngster bewusst aus dem Verkehr. Interviewanfragen wurden abgelehnt, stattdessen schickte man Götze in den Urlaub. Abstand gewinnen, durchschnaufen.
"Es gibt Momente, wo jeder Fußballer sich nichts sehnlicher wünscht, als einmal unbeobachtet zu sein oder Zeit für sich allein zu haben. Ich würde schon gern Dinge machen, die andere auch machen in meinem Alter. Das ist nicht möglich. Die Erwartungshaltung wird von außen herangetragen, und wir müssen sie erfüllen. Da gibt es kein Entkommen", schildert Götze die Schattenseiten seines Daseins.
Götze-Rückkehr wird dosiert
Als er die Monotonie der Reha hinter sich lassen konnte und die Verletzung glücklicherweise ohne Komplikationen oder Rückschläge ausheilte, dosierte der BVB weiterhin sehr vorsichtig Götzes Belastungen. Zumal es durch Jakub Blaszczykowskis Renaissance im Dortmunder Trikot auch keinen Bedarf gab, den Genesenen direkt in ein funktionierendes Team zu implementieren.
Für den gegen Ende der letzten Saison wieder spielfähigen Götze war es dann auch bald zu viel der schützenden Hand. Das Verpassen des DFB-Pokal-Endspiels wie auch eines Stammplatzes bei der EM rief in ihm dieselbe Art von Ungeduld hervor, die er schon während seiner Pause verspürte.
"Das nagt an mir. Ich bin mit dieser Situation unzufrieden, ich zweifle an mir, wenn ich nicht spielen darf. Viele sagen zu mir, dass ich noch jung bin und meine Zukunft noch vor mir habe. Aber kein Spieler, der auf der Ersatzbank sitzt, kann damit zufrieden sein, das wäre ja schlimm", sagte Götze, sprach aber auch von einem Lernprozess im Umgang mit solch ungewohnten Situationen.
Götze nun vor dem nächsten Entwicklungsschritt
Erst am vergangenen Wochenende feierte Götze bei der Borussia sein Comeback in der ersten Elf. Es war im Jahr 2012 sein zweites Spiel in Dortmunds Startformation. Eine Entzündung am Auge hatte ihm während der Vorbereitung einen Rückschlag beschert.
Mit den nun folgenden intensiven Wochen, in denen der BVB über 20 Spiele in rund 80 Tagen zu absolvieren hat, geht auch für Götze die Saison so richtig los. Und wie in den drei Spielzeiten zuvor haben sich für ihn die Vorzeichen leicht verändert. Er steht jetzt wieder voll im Saft und wird dauerhaft von Beginn an auflaufen.
Die Erwartungen in dieser Saison und speziell das Programm bis zum Weihnachtsfest eröffnen Götze die Chance, nach dem bisherigen Quasi-Stillstand im Jahr 2012 den nächsten Schritt in seiner Entwicklung zu machen - er ist jetzt aber auch dazu verdammt, zu liefern, was man sich von ihm verspricht.
Götze dauerhaft auf der Zehn?
Es wird Götzes größte Aufgabe sein, die Leichtigkeit und Intuition aus der Vergangenheit wieder zu kanalisieren und sein Niveau mindestens zu halten. Dazu beitragen könnte die Rolle auf seiner ausgewiesenen Wunschposition im zentral-offensiven Mittelfeld. Beim Sieg gegen Leverkusen wirkte er als Zehner spritzig und wendig, etliche Angriffe liefen über seine Füße, auch die Bewegungen beim Gegenpressing waren effizient. Die Folge: Dortmunds Spiel sah erstmals in dieser Saison wie das aus dem Double-Jahr aus.
Da Götze Variantenreichtum, Torgefahr und Ideen einbringen kann und diese Komponenten im Idealfall die gesamte Mannschaft inspirieren sollen, könnte er auf der zentralen Position womöglich tatsächlich die Besetzung der Zukunft sein.
Zumal die offensive Reihe im Dortmunder Mittelfeld situationsbedingt sowieso oft die Positionen wechselt und Marco Reus über die Flügel kommend größere Chancen haben dürfte, seine Schnelligkeit einzusetzen und vor das Tor zu kommen.
Götze: "Ich fühle mich bereit"
Man sollte die Aussage von Sebastian Kehl nicht als Plädoyer dafür werten, wenn er zustimmt, dass Götze "in der Zentrale von seiner Beweglichkeit und Wendigkeit" her stark an Shinji Kagawa erinnern würde. Aber es könnte eine nützliche Hilfestellung für den BVB sein, mit Götze in der Mitte den Abgang des Japaners noch schneller zu kompensieren.
Götze hat seine Verletzungspause auch dazu genutzt, um in seinen Körper hinein zu horchen und Schwachstellen auszumerzen. Kraft- und Stabilitätstraining soll dabei helfen, noch robuster zu werden. Dies gilt auch für die Psyche: Er hat eine bittere, aber lehrreiche Erfahrung gesammelt, die auch zu einem Fußballerleben gehört.
Von einem Neustart zu sprechen wäre allerdings vermessen. Götze hat alles was es braucht, um die Karrierekurve aus der Waagerechten wieder in die Senkrechte zu bringen. "Ich fühle mich bereit dafür", sagt er.
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