Blockbildung? "Eine fantastische Entwicklung"

Von Interview: Stefan Rommel
DFB-Sportdirektor Matthias Sammer findet den "FC Bayern Deutschland" sehr gut
© Getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Wie meinen Sie das?

Sammer: Wenn der Jubel unserer Jungs in der Öffentlichkeit mehr Beachtung findet, als die Art und Weise, wie wir das Tor herausgespielt haben, ist das bedenklich. Unsere Spieler haben es dann zum Beispiel im Spiel gegen Mexiko nicht verstanden, ihren Fokus bei zwei Standardsituationen auf eine einfache Sache zu lenken: das eigene Tor zu verteidigen. Da kann sich keiner rausnehmen. Und was passiert? Beim Gegentor eine Minute vor dem Abpfiff - das Elfmeterschießen ist greifbar - kann es nicht sein, dass zwei Spieler, die für diesen Raum eingeteilt sind, sich gedanklich schon nach vorne orientieren.

SPOX: Die U 19 ist im Entscheidungsspiel für die EM-Teilnahme an der Türkei gescheitert.

Sammer: Eigentlich ein Witz - aber noch so ein Beispiel. Wir haben die Türken zeitweise an die Wand gespielt, haben einen Elfmeter verschossen, ein reguläres Tor erzielt und hatten sieben zu eins Großchancen. Und verlieren dann 0:1. Das ist jetzt nicht negativ gemeint: Gerade die Spieler mit Migrationshintergrund geben unserer Spielweise eine gewisse Leichtigkeit, die uns sehr gut tut, aber wir tun uns doch in den entscheidenden Spielsituationen oft schwer gegen Gegner auf Augenhöhe. Momentan klopfen uns zu viele auf die Schulter für unsere Spielweise. Früher haben sie uns auf die Schulter geklopft, weil wir Titel gewonnen haben. Wir müssen da einen guten Mittelweg finden.

SPOX: Wie sieht der aus?

Sammer: Es sind unter anderem drei Komponenten: Im athletischen Bereich benötigen wir weiterhin die nötige Ausdauer und Schnelligkeit. Im technisch taktischen Bereich müssen wir uns weiter verbessern. Aber wir brauchen vor allen Dingen wieder diese mentale Stärke, die bewirkt, dass man sich von unwesentlichen Dingen im Verlauf eines Turniers nicht ablenken lässt. Natürlich gepaart mit einer gewissen Lockerheit und Leichtigkeit. Das ist uns noch nicht stabil gelungen.

SPOX: Ein schwieriges Unterfangen bei 15-, 16- oder 17-Jährigen.

Sammer: Die U-Trainer beim DFB und in den Leistungszentren leisten da Schwerstarbeit - gerade unter den oberflächlichen Betrachtungsweisen, die wir in Deutschland haben. Unsere Jugendlichen sind ja täglich mit Verführungen und Ablenkungen aller Art konfrontiert.

SPOX: Spanien hat den Titel bei der U-21-EM geholt, die A-Nationalmannschaft und der FC Barcelona gewinnen seit einigen Jahren fast alles - mit einem Spiel, das von kleinen, wendigen Spielern geprägt wird. Der Trend ist erkennbar.

Sammer: Klein, schnell und beweglich sind individuelle Komponenten, dazu kommen noch außergewöhnliche läuferische und spielerische Fähigkeiten, die es aber zum Beispiel beim FC Barcelona auch früher schon gab. Das steht aber im völligen Widerspruch zu Spielern wie Gerard Pique, Carles Puyol oder Sergio Busquets. Auch hier gilt: Die Mischung macht's. Im spanischen Verband haben sie erkannt, dass sie immer nur gelobt wurden für ihr schönes Spiel, aber nichts gewannen. Dann haben sie etwas verändert: Das Sichtungssystem wurde umgestellt, plötzlich wurde die Komponente Siegermentalität wichtig. Eine bemerkenswerte 'neue' Tugend, wie ich finde.

SPOX: Können Sie beschreiben, wie sich die Technikausbildung im Jugendbereich in den letzten 10 bis 15 Jahren geändert hat?

Sammer: Zunächst darf man das Thema nicht losgelöst, sondern komplex betrachten. Einst wurde großen Wert auf Ballbehandlung gelegt, auf beidfüßige Ausbildung, trainiert an Prellwänden. Das gehört auch heute noch zur Basisausbildung, die ich nach wie vor für sehr wichtig erachte. Man muss aber auch alters- und entwicklungsgerecht eine neue Methodik aufbauen. Ein Aspekt unserer Prognoseleistung beim DFB lautet: Technik unter Zeitdruck. Wir beginnen heute deutlich früher mit einfachen Bewegungsformen und -mustern und mit einstudierten Abläufen, um diese dann wie ein Puzzlestück in Passformen und positionsspezifische Grundformen einzugliedern. Wir nähern uns hierbei komplexen Spielformen an.

SPOX: Was hat sich konkret verändert?

Sammer: Für diesen Bereich haben wir beim DFB jetzt einen holländischen Individualtrainer für die U-Mannschaften eingestellt.

SPOX: Der türkische Fußball wird derzeit durch einen Manipulationsskandal von offenbar enormem Ausmaß erschüttert. Das Krisenmanagement des Verbands agiert bisher aber eher halbherzig. Glauben Sie, dass die Ereignisse der letzten Wochen auch Einfluss nehmen auf mögliche 'Abwerbversuche' deutscher U-Nationalspieler mit türkischen Wurzeln?

Sammer: Der Vater von Samed Yesil (U-17-Nationalspieler, Anm. d. Red.) hat kürzlich über den türkischen Verband eine Aussage getätigt, die das vermuten lässt: viel versprochen, nahezu nichts gehalten. Und genau das wollen wir nicht tun. Wir wollen den Spielern in aller Deutlichkeit aufzeigen, wie schön - aber auch wie anstrengend und schwer - es ist, für Deutschland zu spielen. Wir werden die Spieler aber weder materiell noch ideell mit Versprechungen konfrontieren, die uns unglaubwürdig werden lassen. Akzeptieren sie unsere Richtlinien, sind sie bei uns herzlich willkommen.

Mehr zum DFB-Team

Artikel und Videos zum Thema