Mitten im Campo Bahia steht dieser riesige Video-Touchscreen. Die Ergebnisse des Scoutings sind darin versteckt. Spieler und Trainer haben dort Zugang zu allen wichtigen Daten und Informationen rund um das eigene Spiel sowie das des Gegners. Das Ganze gibt es auch noch "to go" als App, damit die Spieler auch auf ihren Smartphones und Tablets jederzeit Zugriff darauf haben.
Wenn Joachim Löw will, könnte er da jetzt ein Video einspeisen, das relativ leicht im Internet zu finden ist und dann direkt an Benedikt Höwedes schicken. Etwas mehr als vier Minuten dauert der Clip und ist laut Protagonist ein "Ratgeber für Linksverteidiger".
Löw könnte sich Zeit und Arbeit sparen und sich dafür anderen Problemen zuwenden, denn die Tipps kommen vom "besten Außenverteidiger der Welt", wie der Bundestrainer erst vor ein paar Monaten feststellte.
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Höwedes auf einmal links
Höwedes könnte sicher noch den einen oder anderen Hinweis gebrauchen vor dem Spiel am Montag gegen Portugal, denn eigentlich ist der Schalker ja gar kein Linksverteidiger. Er ist gelernter Innenverteidiger, der ab und zu mal auf der rechten Verteidigerposition eingesetzt wurde.
Dass Höwedes auch ein Linksverteidiger mit WM-Tauglichkeit ist, hat Löw erst bekanntgegeben, als er Marcel Schmelzer wegen anhaltender Knieprobleme nach dem Trainingslager in Südtirol aus dem Kader gestrichen hatte.
Höwedes könnte sich das Video also anschauen und hören, dass man als Linksverteidiger "sehr gut in der Defensive spielen, aber auch die Fähigkeiten haben muss, das Offensivspiel anzukurbeln und Torchancen zu erarbeiten".
Höwedes könnte aber auch einfach in eines der vier Spieler-Häuser im Mannschaftsquartier der Nationalmannschaft gehen und Philipp Lahm fragen, was er da in diesem Lehr-Video für den europäischen Fußballverband UEFA über die Linksverteidigerposition gesagt hat.
Lahm und die Lücken
Es ist ja so, dass die DFB-Elf seit Jahren ein Außenverteidigerproblem hat auf der Seite, auf der Lahm gerade nicht spielt. Das war anfangs rechts, später links und jetzt ist es überall. Weil Lahms Vereinstrainer Pep Guardiola beschlossen hat, Lahm im Mittelfeld spielen zu lassen.
Auch in der Nationalmannschaft spielt Lahm mittlerweile im Mittelfeld, auch gegen Portugal. Das hat der Bundestrainer bestätigt.
Nur anders als beim FC Bayern, wo links der Weltklasse-Außenverteidiger David Alaba und rechts der Nicht-ganz-Weltklasse-Außenverteidiger Rafinha spielen, hat Löw Jerome Boateng, Kevin Großkreutz, Erik Durm und Höwedes als Kandidaten in seinem Kader.
Keine geborenen Außenverteidiger
Keiner dieser vier ist wie Lahm als Außenverteidiger auf die Welt gekommen. Boateng und Höwedes wollen Innenverteidiger spielen, Großkreutz und Durm hat BVB-Trainer Jürgen Klopp erst umerziehen müssen, beide spielten lieber offensiv.
Die beiden Dortmunder könnten aufgrund ihrer Vergangenheit erst mal mit den Ersatzbänken in Salvador, Recife und Fortaleza Bekanntschaft machen. Denn Löw hat wie schon nach dem Spiel gegen Armenien, als er erstmals die Abwehr mit Boateng, Höwedes sowie Per Mertesacker und Mats Hummels testete, sein neu gewonnenes Faible für die Vierer-Innenverteidiger-Kette offenbart.
Offensive Außenverteidiger nicht gefragt
"Wir brauchen bei diesem Turnier die hohen Außenverteidiger nicht", sagte Löw. "Offensive Außenverteidiger sind anders als in der Qualifikation nicht unbedingt gefragt." Die Außenverteidiger sollten sich zwar schon auch am Spielaufbau beteiligen, aber in erster Linie sollen sie für Stabilität sorgen und das Zentrum schließen. Das hat Löw als eines der Hauptprobleme auf dem Weg nach Brasilien ausgemacht.
Es ist schon eine kleine Revolution im deutschen Team, die defensiven Außenpositionen mit robusten Kerlen zu besetzen. Vor nicht allzu langer Zeit galten die Außenverteidiger wie dann auch Sechser und Innenverteidiger als heimliche Spielmacher einer Mannschaft. Spieler auf dieser Position hatten regelmäßig die meisten Ballkontakte, der Spielaufbau lief fast immer über die Außenverteidiger, der Angriff über Außen wurde zum Mantra.
Der Weg durch die Mitte
Doch das Spiel hat sich geändert. Mannschaften, die ihr Spiel über Ballbesitz definieren, suchen vor allem den Weg durch die Mitte, das Risiko bei Ballverlust soll minimiert werden, um gegen konterstarke Mannschaft nicht ins offene Messer zu laufen. Mit Boateng und Höwedes baut Löw zwei zusätzliche Abfangjäger ein.
Dass durch die Aufstellung auch mehr körperliche Präsenz ins Spiel kommt und die Mannschaft an Kopfballstärke gewinnt, nimmt Löw als Nebeneffekt gerne mit. Denn Standardsituationen, das hat mittlerweile auch der in diesem Bereich lange skeptische Bundestrainer akzeptiert, "haben Gewicht" und "sind eine Waffe".
Mehr Platz für Mittelfeldspieler
Mit den defensiveren Außenverteidigern kann Löw auch seinem Überangebot an offensiven Mittelfeldspielern gerecht werden. Im zu erwartenden 4-3-3 könnten beispielsweise Toni Kroos und Bastian Schweinsteiger oder sogar Mario Götze oder Mesut Özil auf den Halbpositionen beginnen, weil die Viererkette anders als bei hoch stehenden Außenverteidigern mehr Schutz bietet. Nur für Sami Khedira wäre kaum noch Platz, weil Lahm seine Position besetzt.
In Löws Überlegungen spielt auch eine Rolle, dass Boateng vor zwei Jahren beim EM-Duell mit den Portugiesen Ronaldo gut im Griff hatte. Sollte Boateng dennoch Fragen haben, wie er sich gegen Ronaldo verhalten muss, könnte auch er bei Lahm nachfragen, dessen Anweisung in diesem Fall universell gültig ist. "Wenn ein schneller Gegenspieler auf einen zukommt, muss man schnelle Füße haben, sich schnell bewegen, immer dabei bleiben und dann irgendwann zuschlagen."