Ungeil - aber alles easy

Antonio Rüdiger erlitt im ersten Training der DFB-Elf am Dienstag einen Kreuzbandriss im rechten Knie
© getty

Nach nicht einmal zweieinhalb Stunden in Evian traf das DFB-Team bereits die erste Hiobsbotschaft: Antonio Rüdiger wird aufgrund eines Kreuzbandrisses die EM verpassen. Das schlägt sich auf die Stimmung nieder, nicht aber auf das große Ganze. Löw bleibt gelassen und hat Alternativen.

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Es gibt Momente, in denen man das Gefühl hat, dass alle Komponenten zum Gesamt-Stimmungsbild passen. Der Mittwochmorgen war so ein Beispiel. Die Tristesse der Rüdiger-Botschaft zeichnete in Evian auch das Wetter: Den Blick aus dem Hotel-Zimmer verschleierten graue Nebelschwaden und viel Regen.

Im Vergleich zum Dienstag war das ein deutlicher Kontrast. Bei der Anreise und dem ersten Training der DFB-Elf im EM-Camp an der französischen Grenze zur Schweiz strahlte überwiegend die Sonne. Vor der malerischen Kulisse des Genfer Sees vermittelten Spieler und Funktionäre vor allem Vorfreude und Lockerheit. Wir sind da, die EM kann kommen - das war der Eindruck.

Als um 19.17 Uhr Antonio Rüdiger im Zweikampf mit Thomas Müller aber zu Boden ging und mehrere Spieler wild in Richtung Physio-Team gestikulierten, war es erst einmal dahin mit der Herrlichkeit. Wenige Stunden später stand die Diagnose Kreuzbandriss fest. Rüdiger verpasst die EM. Ungeil für die Nationalmannschaft.

Umplanen - mal wieder

Es hätte jedoch sicherlich Spieler gegeben, bei denen der Aufschrei größer gewesen wäre. Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Toni Kroos oder Thomas Müller, zum Beispiel. Das heißt keinesfalls, dass der Ausfall nicht schwer wiegt - im Gegenteil. Jedoch muss Joachim Löw seinen generellen Optimismus nicht abgeben.

"Der gestrige Tag war getrübt von Antonios Verletzung", sagte Löw am Mittwoch auf der ersten Pressekonferenz in Evian: "Mir tut es gerade für ihn extrem Leid. Er hat im letzten Jahr große Schritte gemacht. In Rom und bei uns. Wenn so etwas am ersten Tag passiert, ist das äußerst unglücklich."

Von allen Seiten kamen Mitleidsbekundungen und Genesungswünsche. Jeder hatte Rüdiger diese EM nach seiner starken Entwicklung in Italien und seiner aktuellen Form von Herzen gegönnt. Für den Bundestrainer war der 23-Jährige gerade für die ersten Spiele der passende Baustein, der Hummels zudem Zeit geben sollte, im Hintergrund sein Leistungsmaximum zu erreichen. Im ersten Gruppenspiel gegen die Ukraine (So., 21 Uhr im LIVETICKER) hatte Rüdiger seinen Platz neben Boateng daher schon so gut wie sicher.

Jetzt muss Löw aber umplanen. Mal wieder.

Tah kommt ohne tragende Rolle

Große Aufregung kommt deshalb aber gar nicht auf. Das Trainerteam hat schnell entschieden, Jonathan Tah nachzunominieren. Der habe sich Löw zufolge in den vergangenen drei Wochen individuell fit gehalten. Entsprechend sei man optimistisch, "ihn schnell und perfekt in die Mannschaft zu integrieren."

Mit 20 Jahren bringt es Tah bereits auf 45 Bundesliga-, 23 Zweitliga- und zwölf Europapokalpartien. Sein bisher einziges Länderspiel für Deutschland bestritt er beim 2:3 gegen England im März - damals in der Innenverteidigung neben Rüdiger.

"Wir hatten Jonathan ohnehin auf dem Radar. Er zählte zum erweiterten Kreis. Bei ihm weiß ich, dass er sehr professionell arbeitet. Deshalb mache ich mir keine Gedanken, dass etwas nicht passen könnte", begründete Löw den Nominierungs-Entscheid: "Außerdem wollten wir einen Innenverteidiger eins zu eins ersetzen."

Auch, wenn der Leverkusener mit guten Werten einer überdurchschnittlichen Saison (unter anderem 68 Prozent gewonnene Luft-Zweikämpfe) zur Nationalmannschaft stößt, wird er dort aber nicht die tragende Rolle übernehmen, die Rüdiger - zumindest in der Gruppenphase - zugedacht war.

"Wir schrauben Ansprüche nicht nach unten"

Die Besetzung der Abwehr wird Löw nun anders handhaben. Benedikt Höwedes, der eigentlich für die Außenverteidiger-Positionen vorgesehen war, und Skhodran Mustafi sind die beiden Möglichkeiten für den Platz neben Boateng. Das machte Löw am Mittwoch klar: "Ich habe Vertrauen in beide Spieler."

Gleichzeitig steigert das nochmals die Einsatzchancen von Joshua Kimmich als Rechtsverteidiger. Zwar fehlte Bayerns Youngster am Mittwochmorgen mit einer Erkältung, bis zum Wochenende sollte er aber wieder voll einsatzfähig sein.

Während er die einzelnen Personalien durchging, wirkte Löw völlig entspannt. Anspannung? Druck? Bedenken? Nein. Nein. Nein. Der Bundestrainer machte deutlich, dass das Ziel EM-Titel nicht von Einzelnen abhängig ist. Nicht von Gündogan, nicht von Reus und auch nicht von Antonio Rüdiger.

"Wir schrauben unsere Ansprüche nicht nach unten - auch, wenn einige Spieler ausfallen, die in meinen Planungen noch vor Wochen eine wichtige Rolle gespielt haben", so Löw.

Ungeil - aber alles easy

"Ich habe immer gesagt, wir werden nicht jammern. Wir werden versuchen, aus den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten das Beste zu machen", sagte Löw, der trotz der Verletzungen von der Stärke des Kaders überzeugt ist.

"Ich kenne das aus vielen Turnieren der letzten Jahre. Es ist immer wieder mal etwas passiert, auf das wir reagieren mussten. Für mich ist es am wichtigsten, dass wir immer Lösungen dafür finden." Für Rüdiger ist das schon geschehen. Dadurch kann die Mannschaft unaufgeregt weiterarbeiten.

Und so bleibt über die ersten 24 Stunden des EM-Camps zu sagen: Die Situation war nach dem ersten Training zunächst einmal heikel. Problematisch war sie aus Sicht des Nationaltrainers aber nie. Alles easy, also. Zumal Hummels auch schon wieder mit dem Ball trainiert.

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