EM

Italiens anderer Weg

Von Daniel Börlein
Italiens Nationalcoach Prandelli und die Routiniers Pirlo und Buffon (v.l.)
© Getty
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Die Offensivabläufe

Durch den Verzicht auf offensive Außenspieler scheint das italienische System auf den ersten Blick flügellahm. Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Die Squadra Azzurra sucht regelmäßig den Weg über die Außenbahnen. Die Voraussetzung dafür sind auf beiden Seiten Außenverteidiger, die unaufhörlich die Linie entlang marschieren.

An der Spieleröffnung aus der Abwehr heraus sind Rechts- und Linksverteidiger deshalb nur äußerst selten direkt beteiligt. Stattdessen kommt der erste Ball aus der Viererkette meist von einem der beiden Innenverteidiger. Bevorzugt wandert dieser erste Pass zu Pirlo, gelegentlich greift man allerdings auch auf einen langen Ball nach außen oder in die Spitze zurück.

Sobald ein Innenverteidiger den Ball im kontrollierten Spielaufbau erhält, greifen verschiedene Automatismen: Die beiden Außenverteidiger schieben sofort zehn bis 15 Meter nach vorne und werden quasi zum Mittelfeldspieler.

Pirlo bietet sich im Zentrum für den kurzen Ball in den Fuß an, seine beiden Nebenleute rücken im linken und rechten Halbfeld einige Meter nach vorne, achten allerdings darauf, nicht zu weit nach außen zu schieben. Denn: Die Außenbahn soll für den jeweiligen Außenverteidiger offen bleiben.

Durch diese Rochaden bieten sich den italienischen Innenverteidigern und Spielmacher Pirlo zahlreiche Passmöglichkeiten - vor allem im Zentrum. Für den Gegner wird es so besonders schwierig, die Mitte und damit den kürzesten Weg zum Tor zu verteidigen.

Der Grund: Mannschaften mit einer Doppelsechs vor der Abwehr bekommen es zentral vor dem eigenen Tor gleich mit drei italienischen Mittelfeldspielern (Zehner und zwei Halbfeldspieler) zu tun.

Die Crux für den Gegner: Weil Italien mit zwei Stürmern spielt, kann im Normalfall auch kein Innenverteidiger des Gegners aus der Abwehr rücken, um gegen die Unterzahl im Mittelfeld auszuhelfen. So muss meist ein Flügelspieler oder der jeweilige Außenverteidiger weiter als gewöhnlich einrücken und ist damit veranlasst, weiter als üblich von seiner Position abzurücken. Durch das ballseitige Verschieben ergeben sich für den ballfernen italienischen Außenverteidiger bei schnellen Seitenwechseln zudem immer wieder Freiräume.

In der Spieleröffnung hat Italien nun verschiedene Optionen zur Verfügung: Den Weg über die Flügel, wo die beiden Außenverteidiger postiert sind. Den Weg durchs Zentrum über flache, kurze Pässe auf die Halbfeldspieler oder den Zehner. Oder den Weg direkt Richtung Tor über den langen Ball über die gegnerische Abwehr auf einen der beiden Angreifer.

In der Regel kombiniert die Prandelli-Elf diese Optionen. Heißt: Zunächst wird über zwei, drei Stationen im Zentrum gepasst, wobei die Halbfeldspieler wie auch der Zehner den Ball meist nur prallen lassen und sich nur selten aufdrehen. Dann folgt der weite Ball vertikal in die Spitze oder diagonal auf die Außenbahn.

Bisweilen rochieren ein Stürmer und der offensive Mittelfeldspieler auch, indem der Angreifer sich als Anspielstation ins Mittelfeld fallen lässt und der Zehner mit Tempo in den geöffneten Raum geht und das schnelle Anspiel in die Spitze fordert.

Teil 1: Das Mittelfeldsystem

Teil 2: Der Fixpunkt

Teil 4: Die Gefahren