EM

Fan-Rekrutierung auf Vertrauensbasis

Mario Gomez durfte zum ersten Mal bei dieser EM von Beginn an ran
© getty

Deutschland zieht mit einem 1:0-Sieg gegen Nordirland zum Abschluss der Gruppenphase als Tabellenführer ins Achtelfinale ein. Mit einer Standortbestimmung tut man sich aber schwer. Thomas Müller hält sie gar für unmöglich. Und doch appelliert man ans Vertrauen - auch außerhalb der Mannschaft.

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Im Vergleich zu den ersten beiden Gruppenspielen wirkten die deutschen Nationalspieler am Dienstagabend in den Katakomben des Parc des Princes deutlich gelöster und kommunikativer. Thomas Müller hatte seinen Humor wieder, einen besseren Indikator für die lockere Stimmung gibt es gar nicht.

Etwas sprachlos wurden die Spieler aber alle bei einer Frage. Die nach der Standortbestimmung. "Wo man steht, das weiß man ja nie. Das kann man im Fußball nicht sagen, zumindest lässt das Ergebnis keine Rückschlüsse darauf zu", sagte Müller.

Womit er definitiv Recht hatte, war der Fakt, dass Nordirland nicht das Kaliber Gegner war, mit dem man sich bei dieser EM noch einmal messen wird. Das DFB-Team war gerade defensiv kaum gefordert und erhielt in der Offensive Lücken, die man vor allem gegen Polen vergeblich suchte. Wirklichen Aufschluss über die Verbesserungen im Team konnte die Partie daher nicht geben.

Von Baustelle zu Baustelle

Und doch sind seit Turnierbeginn zumindest kleine Entwicklungsschritte in der deutschen Nationalmannschaft erkennbar. Die Baustellen wanderten von Spiel zu Spiel aber immer weiter. Erst die Defensive, dann Lösungsmöglichkeiten in der Offensive und am Dienstag die Kaltschnäuzigkeit: Auf alte Problemzonen folgten stets neue. Man könnte sagen, Löws Team arbeitet sich Schritt für Schritt nach vorne.

Dabei ist die schlechte Torausbeute längst kein neues Problem. Wie oft wurde das Thema Chancenverwertung in den letzten Jahren nicht schon bemängelt? Die Konsequenz im Abschluss ist ein alter Hut, aber eben auch einer, den man schnell ablegen können sollte.

"Wir haben jetzt drei Mal zu Null gespielt. Wir haben einiges besser gemacht in diesem Spiel. Wir müssen in der nächsten Runde aber die Chancen, die wir hatten, auch verwerten. Das ist dann auch eine Frage der letzten Konzentration", lautete Löws Fazit.

Gruppenphase deckt Schwächen auf

Die drei Gruppenspiele haben gezeigt, dass das DFB-Team angreifbar ist, wenn der Gegner schnell umschaltet. Selbst gegen die Nordiren gab es einige wenige Szenen, in denen Deutschlands Rückwärtsbewegung nicht hundertprozentig geordnet aussah.

Die Gruppenphase hat ebenfalls aufgedeckt, wie schwer sich Deutschland damit tut, wenn der Gegner die Räume rund um den Strafraum extrem verengt und damit kaum Platz für schnelle Kombinationen lässt. Dazu gehört auch der Bereich zwischen dem Sechzehner und etwa 15 Metern davor.

Diese Fläche deckte Nordirland nicht gut ab. Entsprechend kamen vor allem Özil und Kroos in den Genuss, den Ball länger am Fuß zu haben und das Spiel in die Schnittstellen öffnen zu können. Doch wie gesagt: Das funktionierte gegen Nordirland. Gegen Polen hätte es am Dienstag womöglich genauso ausgesehen, wie im zweiten Spiel.

"Gut gerüstet für die K.o.-Spiele"

Löw hat gegen Nordirland aber begonnen, personelle Anpassungen vorzunehmen - etwas, das er in den ersten beiden Spielen quasi überhaupt nicht tat. Kimmich und Gomez belebten Deutschlands Offensivspiel. Beide trugen viel dazu bei, dass das DFB-Team wieder häufiger in die Endzone des Platzes kam. Und dort zu Abschlüssen.

"Wir sind Gruppensieger ohne Gegentor. Ergebnistechnisch war das sicherlich noch nicht brillant, aber der Weg stimmt und wir sind gut gerüstet für die K.o.-Spiele", befand Müller. Der Müller, der zuvor auch ausgesagt hatte, den Standort der Mannschaft nicht ausmachen zu können.

Sami Khedira sagte dazu: "Wir sind voll im Soll, also bin ich mit der Gruppenphase sehr zufrieden. Es soll ja auch so sein, dass es im Turnier Steigerungspotenzial gibt. Und das Gefühl wird immer besser."

Fan-Rekrutierung auf Vertrauensbasis

Das DFB-Team geht aus einer von vornherein als "machbar" eingeschätzten Gruppe als Sieger hervor. Selbstkritik ist vorhanden, soll aber nicht ausufern, wie Mario Gomez klarmacht: "Wir sollten alle wieder ein bisschen mehr Fan werden von dieser Mannschaft und nicht nur das Schlechte suchen - wir alle. Die Vorrunde ist ab morgen Vergangenheit. Dann interessiert sie keinen Menschen mehr."

Doch auf was gründet der geforderte Optimismus? Die Frage nach dem 'Wo stehen wir überhaupt?' zeigt, dass zumindest ein Teil der momentanen Überzeugung der Nationalmannschaft auf dem Vertrauen in die eigenen Qualitäten beruht - etwas, das in den bisherigen Spielen nicht immer messbar war. Weil der Maßstab ein anderer war.

Glauben und Vertrauen in die Stärken des Kaders wünscht sich die Mannschaft also auch wieder von Fans und Berichterstattern. "Die Grundzutaten für den Erfolg sind da. Jetzt müssen wir das Spiel für Spiel umsetzen", versicherte Müller und Gomez unterstrich: "Es ist noch nie einer nach der Gruppe Europameister geworden. Wir müssen nicht alles in Grund und Boden spielen."

Im Achtelfinale am Sonntag wartet mit großer Wahrscheinlichkeit die Slowakei. Die ist - trotz Deutschlands jüngster Testspielpleite in Augsburg - eine Mannschaft, gegen die man sich aufgrund der individuellen Klasse ähnlich durchwurschteln kann, wie gegen die Gegner in der Gruppe. Spätestens danach wird die deutsche Qualität aber wohl auch messbar gemacht: Im Viertelfinale wartet der Sieger aus dem Spiel Italien gegen Spanien. Dann hilft auch alles Vertrauen nichts. Spätestens dort wird sich zeigen, ob die Mannschaft wirklich so gefestigt ist, wie sie es selbst vermutet.

Nordirland - Deutschland: Die Statistik zum Spiel