Motivationshilfe oder wahrhafte Überzeugung - die Botschaft des Chefs ist jedenfalls eindeutig. "Wenn wir uns schon für ein wichtiges Turnier qualifizieren", sagte der italienische Verbandspräsident Carlo Tavecchio vor dem EM-Start der Squadra Azzurra, "dann wollen wir es natürlich auch gewinnen." Der 73-Jährige scheint den Glauben an einen großartigen Sommer also noch nicht verloren zu haben - er gehört damit freilich zu einer Minderheit.
In der Tat sind die Azzurri blass geworden, die Realität ist trist, und sie wird deshalb um einiges besser beschrieben vom scheidenden Trainer Antonio Conte, der vor dem Auftaktspiel am Montag gegen den Geheimfavoriten Belgien (21 Uhr im LIVETICKER) in Lyon sagt: "Wir müssen bescheiden bleiben und ehrlich zu uns sein. Am Ende werden wir sehen, was dabei herausspringt."
Für den größtmöglichen Erfolg forderte Kapitän und Torwart-Ikone Gianluigi Buffon jedenfalls die richtige Balance zwischen Erfahrung und Unbekümmertheit. "Die älteren Spieler müssen ihr absolutes Top-Niveau abrufen und unsere Debütanten gleichzeitig Mut zum Risiko haben und mit einem Schuss Verrücktheit auftreten", sagte der 38-Jährige.
Es ist nicht das erste, aber vielleicht das letzte Mal, dass Tavecchio und Conte unterschiedlicher Auffassung sind. Auch wegen fehlender Unterstützung des Verbandes in den nicht immer einfachen Verhandlungen mit den Klubs, beispielsweise über ein im Februar geplantes Trainingslager, wird Conte den viermaligen Weltmeister nach der EURO verlassen und in die englische Premier League zum FC Chelsea wechseln.
EM 2012 vergessen machen
Der sehnlichste Wunsch einer ganzen Nation ist ein Happy End der gerade einmal zweijährigen Amtszeit Contes. Es soll die bitteren Erinnerungen an die vergangenen sechs qualvolle Jahre mit den Vorrunden-Desastern bei den WM-Endrunden 2010 und 2014 und der Finalklatsche (0:4 gegen Spanien) bei der EM 2012 vergessen machen. "Ich besitze aber keine Kristallkugel und kann keine Prognose geben", sagt Conte (46), der als Nationaltrainer am Wenigsten kann für die Misserfolge.
Die Ursachen für den Niedergang des italienischen Fußballs liegen an der Basis. Mit Ausnahme von Rekordmeister Juventus Turin besitzen die Vereine der einst stärksten Liga der Welt kein Top-Niveau mehr. Transfers aus dem Ausland sollen das auffangen - bislang ohne Erfolg.
"Wie kann man da hoffen, dass sich aus dieser Situation eine starke Nationalelf entwickelt?", fragte Trainer-Idol Arrigo Sacchi, 1994 WM-Finalist, im Gespräch mit dem SID. Ähnlich sieht es Inter-Legende und 1968-Europameister Sandro Mazzola, der feststellt, dass die Serie A-Klubs kaum noch italienische Spieler einsetzen: "Es ist daher nicht einfach, neue Talente für die Nationalelf zu finden."
Juve-Quartett macht hinten dicht
Die Hoffnung ruht daher einmal mehr und wenig überraschend auf einem erfahrenen Juve-Quartett. Buffon sowie die Abwehrspieler Andrea Barzagli (35), Leonardo Bonucci (29) und Giorgio Chiellini (31) sollen "Erfolg durch Catenaccio" garantieren. Die Offensive ist, anders etwa als bei den Belgiern, schlichtweg unbrauchbar.
Die Zeiten, in denen sich Italien auf einen Christian Vieri, Alessandro Del Piero oder Filippo Inzaghi verlassen durfte, sind vorbei. Heute heißen die Angreifer Eder, Pelle oder Immobile. "Ich bin absolut davon überzeugt", sagt der ehemalige BVB-Flop Ciro Immobile, "dass dieses Team in diesem Jahr tolle Resultate erreichen wird."
Ein bisschen spricht Immobile da ja Verbandsboss Tavecchio aus der Seele - doch wieder hat Conte so seine Bedenken. Tolle Resultate? "Dazu muss man Tore schießen", sagt er, "und dafür benötigen wir auch ein bisschen Glück."
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