Als Löw nicht reagierte

Von Für SPOX.com bei der EM: Stefan Rommel
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Ascona - Die "New York Times" bringt die Dinge ja bekanntlich sehr pointiert, aber doch exakt auf den Punkt.

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Nach dem Halbfinalspiel der deutschen Mannschaft gegen die Türkei prangte eine Headline, die zum Nachdenken anregte: "Deutschland 3, Türkei 2 - das größte Match, das wir nie gesehen haben".

Natürlich hatten alle ein Spiel gesehen, ein unglaubliches, Nerven zehrendes und dramatisches.

So es denn zu empfangen war. Ein Blitzschlag legte die Produktionszentrale in Wien lahm - das Unwetter räumte so ganz nebenbei auch die Fanmeile in wenigen Minuten leer - und ließ Millionen Fans auf der ganzen Welt im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln tappen.

Zwei Teams, eine Achterbahn

Was die Kollegen aus den USA damit aber vielleicht auch sagen wollten: Ein solches Spiel in einem solchen Stadium beim "härtesten Turnier aller Zeiten" (Joachim Löw) war nicht abzusehen. Es war fast unmöglich.

Zwei Halbfinalisten sollten sich eigentlich auf Augenhöhe begegnen und auf extrem hohem Niveau. Im Baseler St.-Jakob-Park war das anders. Für den neutralen Zuschauer hatte die Partie ungeahnt hohen Unterhaltungswert.

Für die Fans beider Mannschaften und alle, die damit zu tun hatten, war es aber eine Achterbahnfahrt.

War die Pause zu lang?

Aber wieso? Den Türken konnte man eine gewisse Müdigkeit noch zugestehen. Vier Spieler fehlten gesperrt, vier weitere saßen verletzt oder angeschlagen auf der Bank.

Die Türkei hatte einen Tag weniger zur Regeneration und einen 120-Minuten-Kampf gegen Kroatien in den Beinen.

Nun sind fünf Tage der Erholung für eine Profimannschaft schon respektabel genug. Die Deutschen hatten sogar noch einen Tag mehr. "Man konnte sehen, dass sechs Tage Pause keiner Mannschaft gut tun", hatte Teammanger Oliver Bierhoff schnell eine Erklärung für die lethargische Anfangsphase parat.

Kapitän Michael Ballack unterstützte Bierhoffs gewagte These, widersprach sich dabei aber: "Wir hatten ein bisschen schwere Beine. Vielleicht war die Pause einen Tag zu lang."

Löw erkennt Missstände...

Vor dem Spiel wurden zwei Themen besonders kontrovers diskutiert: Das Spielsystem, für das sich Bundestrainer Löw entscheiden würde, und die unterschwellig lauernde Gefahr, den angeschlagenen Gegner zu unterschätzen.

Trotz aller Beteuerungen muss man feststellen, dass sich die deutsche Elf erneut hat kalt erwischen lassen von einem Gegner, der frisch und frech sein Spiel durchdrückte und sich überhaupt nicht darum scherte, was sein Gegenüber so alles vorhatte.

"Wir waren am Anfang nicht richtig wach und hatten viele Ballverluste. Deshalb mussten wir sehr viel Kraft aufwenden", erklärte Löw. Die Aggressivität wich einer komischen Teilnahmslosigkeit, offenbar fehlte doch die richtige Einstellung zum Spiel.

...reagiert aber nicht

Löw hatte auch schon früh die Missstände im deutschen Spiel erkannt: Seine Mannschaft war ideenlos, berechenbar, geistig abwesend und im Offensivspiel bis auf sehr wenige Ausnahmen hilflos gegen den frischeren und leidenschaftlicheren Gegner.

Aber Löw reagierte nicht. Es war offensichtlich, dass das System mit nur einer Spitze diesmal überhaupt nicht griff. Eine Änderung - und damit auch indirekt ein Eingeständnis seines Fehlgriffs - wollte sich Löw nicht trauen.

"Wir hatten im Mittelfeld große Probleme, deshalb wollte ich nicht umstellen. Aber im Laufe des Spiels hätten wir heute sicherlich einen zweiten zentralen Stürmer gebraucht."

Keine Lösungen gefunden

Eine von Löws Lieblingsformulierungen ist "Lösungen finden". Gegen das 4-1-4-1 der Türken suchte seine Mannschaft vergebens danach. Wie schon gegen die Kroaten. Das gibt Anlass zur Sorge, spielen doch die Russen mit einem ähnlichen Konstrukt.

Erneut kam die deutsche Elf mit den ständigen Tempowechseln des Gegners nicht zurecht. Wie die Kroaten veschlepppten die Türken geschickt das Spiel, um dann plötzlich den schnellen Ball in die Tiefe zu spielen.

Die Doppelsechs mit Thomas Hitzlsperger und Simon Rolfes war im Vergleich zum Portugal-Spiel ziemlich verschenkt. Defensiv klafften unheimlich große Löcher im kritischen Raum vor dem eigenen Sechzehner, das Offensivspiel glitt beiden aus den Händen.

Türken schnürten die Deutschen ein

Die Abstimmung zwischen der deutschen Viererkette und dem defensiven Mittelfeld klappte bei der Übergabe der nach vorne stoßenden türkischen Mittelfeldspieler überhaupt nicht. So kam immer wieder einer der Türken hinter die Doppelsechs und konnte mit Zug auf die Viererkette draufgehen.

Vom sicheren ersten Pass blieb ein Großteil in den vielen türkischen Abwehrbeinen hängen. Kam dann doch ein Ball an, rückten defensives Mittelfeld und Abwehr zu zögerlich nach. Mit negativen Nebeneffekten: Das Spiel wurde nicht dicht genug gehalten, ein langes Zuspiel in die Spitze ließ den einsamen Kämpfer Miroslav Klose völlig alleine gegen drei Verteidiger zurück.

Nach dem dann programmierten Ballverlust standen immer noch mindestens sieben oder acht deutsche Spieler in der eigenen Hälfte und damit viel zu tief. So hatte man vor allem in der ersten Halbzeit den Eindruck, die Türken würden die DFB-Elf phasenweise regelrecht einschnüren.

Terim sticht Löw aus

"Wir haben schon im Aufbau nicht das gemacht, was uns stark macht - vertikale, flache Pässe - sondern haben die Bälle hoch gebracht. Und so war es für alle ein verwirrendes Spiel", gestand Löw.

Nach dem als Ausrutscher titulierten Spiel gegen die Kroaten zog der Bundestrainer im imaginären Vergleich mit seinem Trainerkollegen und dessen ausgefuchster Taktik schon wieder den Kürzeren.

Von den vielen guten Vorsätzen setzte Deutschland so gut wie keinen um. Die Partie schien wie eine Blaupause eines Turnierspiels aus den 80er Jahren. Was dann aber schon wieder Grund zur Hoffnung gibt.

Meister gegen Lehrling

Die Chancenverwertung war wie schon gegen Portugal phänomenal. Und offenbar hat Deutschland wieder die Gabe erlangt, auch schlechte Spiele noch positiv zu gestalten. "Es zeichnet uns aus, dass wir immer wieder zurückkommen", sagte Klose, "und dass wir aus wenigen Chancen Tore machen."

"Deutschland war Deutschland", schrieb die spanische "AS". Den Abend treffend auf den Punkt brachte aber ein User der BBC: "Wenn es auf dieser Welt eine Mannschaft gibt, die noch eher als die Türken weiß, wie man ein Spiel in den letzten Minuten gewinnt, dann ist dies Deutschland. Es war das Spiel des Meisters gegen den Lehrling!"

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