"Oh nein, Grundausbildung!"

Von Interview: Thomas Jahn
Lena Goeßling absolvierte bislang 18 Länderspiele für die Auswahl des DFB
© Getty

DFB-Nationalspielerin Lena Goeßling führt ein turbulentes Doppelleben zwischen Bundeswehr und Bundesliga. Im Interview mit SPOX offenbart die 24-Jährige Nehmerqualitäten und berichtet von Platzwunden am Auge, Zelten bei minus zehn Grad und Einsätzen gegen ärztlichen Rat.

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SPOX: Lena Goeßling, vor kurzem gab es im bayrischen Frauenfußball einen kleinen Skandal. Ein Schiedsrichter sagte zu einer Spielerin: 'Geh doch nach Hause und koch Kartoffelsuppe.' Was hätten Sie dem Mann entgegnet?

Lena Goeßling: Oh, ich glaube da hätte ich erstmal gar nichts sagen können!

SPOX: Werden Sie nie zur Furie?

Goeßling: Es kommt schon vor, dass ich mich im Spiel nicht mehr zügeln kann. Dann wird es auch lauter. Privat rege ich mich aber sehr selten auf.

SPOX: Haben Sie denn schon eine ähnlich kuriose Situation auf dem Feld erlebt?

Goeßling: Es ist noch nicht lang her, da hat eine Schiedsrichterin den Arm ausgestreckt und ich bin voll dagegen gelaufen. Danach hatte ich eine Platzwunde am Auge.

SPOX: Und dann?

Goeßling: Die Wunde wurde geklebt und es ging weiter. Sie hatte mich nicht gesehen und sich später entschuldigt. Heute lache ich darüber, zu dem Zeitpunkt konnte ich das aber definitiv nicht.

SPOX: Gab es jemals Zweifel am Berufswunsch Fußballerin?

Goeßling: Ich habe nie daran gezweifelt. Die Entscheidung, von zu Hause wegzuziehen und das Ganze professionell anzugehen, habe ich nie bereut.

SPOX: Nun spielen Sie seit 2006 beim SC Bad Neuenahr. Wie zufrieden sind Sie dort?

Goeßling: Bad Neuenahr ist zwar ein ruhiger Kurort, in dem nicht allzu viel los ist, aber man ist schließlich in einer halben Stunde in Köln oder Bonn. Außerdem macht es Spaß, in dem jungen Team zu spielen. Die Atmosphäre ist familiär und es ist vieles anders als bei den großen Klubs.

SPOX: Als Kapitän und A-Nationalspielerin ragen Sie dort heraus. Kommen da nicht zwangsläufig Angebote von eben diesen größeren Klubs?

Goeßling: Natürlich gibt es die. Es würde mich schon reizen, in einem größeren Klub zu spielen, der in der Champions League mitmischt und Chancen auf die Meisterschaft hat. Ich mache mir gerade Gedanken darüber, wann ich diesen Schritt gehen will. Ich habe noch eineinhalb Jahre Vertrag, bin aber offen was meine Zukunft angeht.

SPOX: Auch auf die Gefahr hin, woanders nicht mehr die erste Geige zu spielen?

Goeßling: Natürlich ist man bei den Topklubs nur eine von vielen. In Bad Neuenahr wird man auf der Straße erkannt, alle schauen zu einem auf. Das ist natürlich schön. Sollte es aber zu der Situation kommen, dass ich in einen großen Verein wechsle, werde ich dort alles geben, um mich durchzusetzen und versuchen, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

SPOX: Für ihren Status in Bad Neuenahr haben Sie viele Opfer gebracht. Beispielsweise als sie 2009 im Topspiel gegen Turbine Potsdam trotz Verletzung und gegen ärztlichen Rat aufgelaufen sind.

Goeßling: Ich dachte, ich könnte der Mannschaft damit helfen. Das hat aber nicht funktioniert. Ich habe schon im Spiel gemerkt, dass es keinen Sinn hat und es dann irgendwann gelassen.

SPOX: Bundestrainerin Silvia Neid war im Stadion und hat danach deutliche Worte an Sie gerichtet.

Goeßling: Da hatte sie auch völlig Recht. Ich habe ihre Kritik angenommen und werde so etwas nicht noch mal machen. Die Leute, die nichts von meiner Verletzung wussten, haben bestimmt gedacht: 'Was spielt die sich denn da zusammen?'

SPOX: Silvia Neid war es auch, die Sie als Sportsoldatin in die Bundeswehr beordert hat.

Goeßling: Sie hat mich gefragt, ob ich in die Sportfördergruppe eintreten möchte. Zuerst habe gedacht: 'Oh nein, Grundausbildung!' Aber im Endeffekt war es das Bestmögliche, das ich machen konnte. Wir können professionell trainieren, haben tolle Voraussetzungen.

SPOX: War die Grundausbildung so schlimm wie befürchtet?

Goeßling: Die war so, wie man sich das vorstellt: Mit dem Rucksack durch den Wald marschieren, durch Schlamm kriechen und bei minus elf Grad draußen schlafen. Das war definitiv das Härteste. Dazu kam das frühe Aufstehen. Mit der Zeit hat man sich aber an alles gewöhnt.

SPOX: Die Bundeswehr steht dem Klischee nach für Ordnung und Disziplin. Sind das Eigenschaften, die Sie auch privat auszeichnen?

Goeßling: (lacht) Ordnung ist nicht so meins. Bei mir ist es zwar immer sauber, aber ich habe definitiv keinen Ordnungsfimmel.

SPOX: Haben Sie beim Bund etwas für den Fußball gelernt?

Goeßling: Man muss sich auf jeden einzelnen verlassen können, ist immer nur so stark wie das schwächste Glied in einer Gruppe. Das ist im Sport auch so, man kann das schon vergleichen. Zudem habe ich früher definitiv jemanden gebraucht, der mir in den Hintern tritt. Mittlerweile weiß ich, worum es geht. Ich bin älter und reifer geworden, trainiere inzwischen auch für mich alleine. Das muss mir niemand mehr sagen.

SPOX: Gibt es Schwächen in ihrem Spiel, die sie gezielt abzustellen versuchen?

Goeßling: Ganz klar das Kopfballspiel. Daran arbeite ich momentan mit meinem Vereinstrainer Thomas Obliers.

SPOX: Schließlich wollen Sie bei der WM 2011 nicht nur zuschauen. Wie tief saß der Stachel, dass sie kurz vor dem EM-Turnier aus dem Kader gestrichen wurden?

Goeßling: Die Enttäuschung war riesig - wenn man überlegt, was man in der Vorbereitung auf sich genommen hat und wie sehr man gehofft hat, dabei zu sein.

SPOX: Welche Lehren haben sie daraus gezogen?

Goeßling: Man sollte sich einfach nicht zu sicher sein. Man muss immer 100 Prozent geben. Nur dann kann man sich nachher keinen Vorwurf machen.

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