Etwa der Louis van Gaal, der sich mit beinahe jedem beim FC Bayern angelegt hat? Der sich von Journalisten überhaupt nichts hat gefallen lassen, der am Ende kaum noch einen seiner Spieler hinter sich wusste? Derartige Fragen werden in Deutschland vielleicht aufgekommen sein. Die klare Antwort: Ja, genau der.
Van Gaal kann unangenehm werden, Kompromisse passen nicht unbedingt zu seinem Arbeitsstil. Solche Vorwürfe muss er sich auch in den Niederlanden gefallen lassen. Und genau dort liegt das Problem. Denn im speziellen Fall van Gaal bedarf es nicht einmal eines Misserfolges, um die Medien auf die Barrikaden zu bringen. Einige, darunter unser größtes Fußball-Magazin "Voetbal International", sind mit der Entscheidung des KNVB nämlich bereits jetzt alles andere als einverstanden.
Mit Cruyff legt man sich nicht an
Dabei geht es nicht um den Trainer van Gaal, der ist über jeden Zweifel erhaben. Der Mensch, so die landläufige Meinung, ist das Problem. Der schreckt nämlich vor keinem Streit zurück. Schon gar nicht mit Johan Cruyff.
Nachdem sein Engagement als Sportdirektor von Ajax Amsterdam auf Cruyffs Intervention hin von einem Gericht als illegal eingestuft und die Verträge vernichtet worden waren, gab Van Gaal bei uns in "ELF Voetbal" ein sehr emotionales Interview. Der Verein sei bei Cruyff in schlechten Händen, meinte er damals.
Gefährlich. Mit Johan Cruyff legt man sich in den Niederlanden genauso wenig an, wie mit Franz Beckenbauer in Deutschland. Beide haben einen Großteil der einflussreichen Medien hinter sich. Da gibt es nur wenig zu gewinnen. So bezeichnete Johan Derksen, Chef von "Voetbal International", van Gaals Verpflichtung bereits kurz nach dessen Ernennung zum Bondscoach im Fernsehen als großen Fehler. Geduld? Fehlanzeige.
Eine schnöde Pressemitteilung
Die teils heftigen Reaktionen erklären auch das Vorgehen des niederländischen Fußball-Verbands KNVB. Man stelle sich einmal vor: Man hat die größte Nachricht des Jahrzehnts zu verkünden, schickt aber lediglich eine Presseerklärung heraus. Eine schlichte Presseerklärung. Nicht mehr.
Was beinahe lächerlich klingt, war meiner Meinung nach die absolut richtige Entscheidung. Denn eine Pressekonferenz hätte ein immenses Eskalationspotenzial geboten. Ein Streit wäre beinahe vorprogrammiert gewesen - noch bevor van Gaal seinen Job überhaupt angetreten hat. Derart angespannt ist die Situation.
Alte Bekannte wie Robben und Sneijder
Doch all das soll nicht über Van Gaals fachliche Eignung für die Aufgabe hinwegtäuschen. Er ist ein fantastischer Trainer, der genau weiß, worauf es ankommt. Das beweisen seine Erfolge mit Ajax, AZ Alkmaar, aber auch mit dem FC Bayern.
Und gerade für eine Mannschaft, die nach all den Querelen im Umbruch steckt, kann er genau der richtige Mann sein. Er weiß genau, welche Spieler er streicheln muss, welche er braucht. Einige Ehemalige behaupten sogar, sie hätten nie einen besseren Trainer als Van Gaal gehabt.
Auch der ein oder andere Nationalspieler kennt van Gaal bereits seit 2000: Arjen Robben. Wesley Sneijder. Robin van Persie. Klaas-Jan Huntelaar. Alle spielten sie unter ihm bei der Jugend-Weltmeisterschaft in Argentinien.
Wer nicht spurt, kann gehen
Das kann durchaus von Vorteil sein. Doch inzwischen hat sich die Ausgangslage verändert. Aus Nachwuchsspielern sind mächtige Fußballmillionäre geworden. Fußballmillionäre, in deren Reihen der Neid regiert, deren Streitereien die Niederlande um ein besseres EM-Ergebnis gebracht haben. Es wird darauf ankommen, ob sie noch bereit sind, van Gaals Umgangston zu akzeptieren, ob sie bedingungslos seinen klaren Vorstellungen folgen.
Denn die hat van Gaal nun mal. So wird Huntelaar mit ziemlich großer Sicherheit Mittelstürmer Nummer eins werden. Van Gaal ist ein großer Fan des Schalkers, bezeichnete ihn einst als besten Strafraumstürmer der Welt. Für van Persie bleibt da nur eine andere Position.
Sei es hängend, sei es auf dem Flügel. Zieht er nicht mit, lautet die klare Antwort: "Du kannst gehen!" Unbequeme Entscheidungen sind van Gaals Stil. Das bringt ihm Respekt, aber eben auch Feinde.
Das größtmögliche Debakel
Zudem ist da immer noch die Erinnerung an das Jahr 2001. Damals verpassten die Niederlande die Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea. Der Bondscoach: Louis van Gaal. Dass aus der Kombination der vielleicht besten Spieler, die die Niederlande je hatten und dem wohl besten Trainer ein solcher Misserfolg hervorging, ist eigentlich kaum zu glauben.
Doch es gibt durchaus Gründe. Gründe, die zum Teil auch van Gaal zu verantworten hat. Das größte Problem: Der Klub-Trainer van Gaal brachte sein Methoden mit zur Elftal. Akribie und Detailversessenheit bestimmten die Trainingseinheiten.
Anstatt den Spielern lediglich eine gute Atmosphäre zu bieten, in der sie ihre fußballerischen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen konnten, anstatt schlicht die beste Elf aufzustellen, war er zu sehr darauf aus, ein herausragender Trainer zu sein. Alles musste perfekt passen, was in der Kürze der Zeit gar nicht zu bewerkstelligen, vor allem aber nicht nötig war. Die meisten Spieler kannten seine Methoden, wussten eigentlich, was zu tun war. Ob er daraus sein Schlüsse gezogen hat? Abwarten.
Schwere Aufgaben in der WM-Quali
Ein Lernprozess ist aber notwendig. Denn mit dem Freundschaftsspiel in Belgien und dem ersten WM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei stehen direkt zwei nicht zu unterschätzende Aufgaben an. Gerade die Belgier sehen endlich die Chance gekommen, ihren großen Rivalen zu schlagen. Es geht um eine Menge Prestige, mehr noch als gegen Deutschland.
Und auch die Türkei hat nach der verpassten Europameisterschaft einiges gutzumachen. Wie schnell die derzeit zweifellos vorhandene Unterstützung der breiten Öffentlichkeit dahinsein kann, hat das Beispiel Bert van Marwijk gezeigt.
Ein schlechtes Turnier, und der eigentlich immense Sympathiebonus war verbraucht. Van Gaal bekäme wohl schon ordentlich Gegenwind zu spüren, sollte ihm zum Auftakt nicht mindestens ein Sieg gelingen.
Bleiben auch danach die Ergebnisse aus, würde der Druck irgendwann so groß, dass dem Verband wohl nichts anderes übrig bliebe, als van Gaal wieder zu entlassen. Denn zurücktreten, so viel ist sicher, wird er nicht. Dazu ist er schlicht zu stolz.
Van Gaal wird also sein eigenes Team finden müssen, mit jungen Spielern. Vielleicht muss er dafür sogar die verwöhnten Kinder rausschmeißen. Denn eines ist sicher: Für ein junges Team, das Veränderungen benötigt, gibt es keinen besseren Trainer. Sollte van Gaal es also tatsächlich schaffen, die Nebenkriegsschauplätze zu umgehen, sollte er tatsächlich keine unnötigen Streitereien mit der Presse beginnen, im zweiten Anlauf könnte ihm die WM-Qualifikation mit der Elftal gelingen.
Louis van Gaal im Steckbrief