SPOX: Herr Herzog, gemessen an den Einwohnerzahlen wären die USA eine Fußball-Weltmacht. Warum klafft zwischen Realität und Anspruch eine nicht zu verachtende Lücke?
Andreas Herzog: Wir sind aktuell die Nummer 13 der Welt. Bedenkt man, dass Soccer erst seit Anfang der 90er-Jahre professionell betrieben wird, ist die Entwicklung anständig. Wir müssen da Schritt für Schritt weiterarbeiten. Früher waren die Bedingungen durch das vom Profi-Bereich ausgegliederte College nicht ideal. Für Top-Fußball war die Ausbildung fatal. Es wurde nicht das ganze Jahr gespielt, geschweige denn trainiert, sondern nur einige Monate - das ist zu wenig. Langsam werden diese Missstände behoben.
SPOX: Trotzdem wird etwa Ihr Landsmann David Alaba umjubelt - und kein amerikanischer Jungstar. Wo stecken die Rohdiamanten?
Herzog: Es tummeln sich zahlreiche Talente in Europa, die für zwei bis drei verschiedene Nationen spielen könnten. Mein Job besteht mitunter daraus, diese zu kontaktieren. Ich wohne deshalb weiterhin in Wien, reise mit Matthias Hamann, der neben mir Europa-Scout ist, herum und beobachte die Legionäre. Wir wollen uns einen genauen Überblick verschaffen. Jeder soll wissen, dass wir ihn auf dem Radar haben und um ihn kämpfen werden.
SPOX: Um Julian Green etwa. Auf den 18-Jährigen vom FC Bayern München hat auch der DFB ein Auge geworfen. Welche schlagenden Argumente können Sie bei der Spieler-Akquise vortragen?
Herzog: Julian ist noch jung. Wenn wir das in Betracht ziehen, könnte er in Zukunft bestimmt zu einem wichtigen Spieler für uns reifen. Ob ihm das in Deutschland gelingt? Vom Talent ist ihm das zutrauen, aber die Konkurrenz ist eben deutlich größer. Unsere Aufgabe ist es, solchen Spielern unsere Möglichkeiten aufzuzeigen und ihnen das US-Team schmackhaft zu machen.
SPOX: Anfang 2012 wurden Sie in den Betreuerstab beordert. Wie gestaltet sich eigentlich die Aufgabenteilung während der Camps?
Herzog: Ich bin kein klassischer Hütchen-Aufsteller. Martin Vazquez, der zweite Assistent, und ich unterstützen den Cheftrainer bestmöglich mit Ideen und Gedanken. Ob beim Training oder der Aufstellung - wir lassen unsere Beobachtungen einfließen. Es ist ein breites, sehr interessantes Aufgabengebiet. Dass Jürgen letztlich entscheidet, ist klar.
SPOX: Nachdem Sie zuvor Österreichs U-21-Auswahl coachten, schien die Beförderung nur reine Zeitfrage: Ihr Name wurde forciert, den Vorzug erhielten stets andere. Klinsmanns Anruf kam demnach zum richtigen Zeitpunkt.
Herzog: Er hat mich gefragt, ob ich denn Interesse hätte. Nachdem ich zum dritten Mal bei der Teamchef-Wahl leer ausging, habe ich keine fünf Sekunden gebraucht, um mich zu entscheiden. Für mich war die Zeit gekommen, mich zu verändern. Ich wollte etwas Neues machen. Für mich ist die Tätigkeit eine extreme Horizonterweiterung.
SPOX: In den USA scheint man neuen Impulsen aufgeschlossener: Wie erleben Sie den American Way of Life?
Herzog: Die Menschen machen einfach alles zu 100 Prozent. Nachdem Fußball nicht die große Geschichte hat, stehen sie Veränderungen sehr offen gegenüber. Es wird alles versucht, um besser zu werden. Neue Trainingsmethoden, Strukturen schaffen, Experten eingliedern - das ist eine Spur einfacher als bei traditionellen Verbänden. Die sind oftmals total verkrustet, da geht nichts weiter. Letztlich geht es darum, Spieler weiterzuentwickeln, um bei der Weltmeisterschaft zuzuschlagen.
SPOX: Vom US-Verband erhielt Jürgen Klinsmann die Entscheidungshoheit. Beim DFB wurde ihm dieser Allmachtsanspruch verwehrt, nicht zuletzt deshalb trat er nach dem Sommer-Märchen 2006 ab. Was konnte er bewegen?
Herzog: Was die Strukturen betrifft, ist das schwer zu beurteilen. Das Auffälligste im Vergleich zu meiner Zeit bei L.A. Galaxy im Jahr 2004 sind vermutlich die Stadien. Früher haben wir meistens in Football-Stadien gespielt. Neben der Infrastruktur wird der Konkurrenzkampf härter und härter. Trainer arbeiten professioneller, haben internationale Erfolge vorzuweisen. Nur darf man nicht unüberlegte Ziele ausgeben, denen man nicht gewachsen ist. Wir haben im Vergleich zu anderen Nationen noch Nachholbedarf.
SPOX: Pele und Franz Beckenbauer waren in den 1970ern gewissermaßen Pioniere, nach der Jahrtausendwende erhörten Superstars wie David Beckham oder Thierry Henry den Lockruf. In Europa genoss die Major League Soccer lange den Ruf einer Rentner-Liga. Zurecht?
Herzog: Die MLS wird durch solche Namen besser und interessanter. Die Superstars dienen als Aushängeschilder. Früher ging man rüber, um die letzten Karriere-Tage auszukosten und noch ein Abenteuer zu erleben. Man konnte sich mit Erfahrung behelfen und das Fitnessdefizit kaschieren. Diese Zeiten sind vorbei. Clint Dempsey kehrte im Sommer von den Tottenham Hotspur zurück - er ist 30, im besten Fußballer-Alter. Es werden keine 35-jährigen Altstars geholt.
SPOX: Klinsmann poliert das Image des US-Fußballs zusehend auf. Öffnen sich dadurch ungeahnte Türen für Sie?
Herzog: Für mich war es ein Anreiz, zu sehen, wie in anderen Ländern gearbeitet wird. Ich lerne wirklich viele interessante Leute kennen, darf bei einem Coach mitarbeiten, der Bayern München trainierte, deutscher Bundestrainer war. So schnell bietet sich diese Möglichkeit nicht mehr. Was mich am meisten begeistert: Jeder geht optimistisch und konzentriert an die Spiele heran, egal ob Italien oder Panama wartet. Jürgen hat es geschafft, die deutsche Siegermentalität im Team zu installieren.
SPOX: Von den Medien wurde Joachim Löw, selbst als Co-Trainer, zum Strippenzieher im damaligen DFB-Erfolgskonzept gemacht. Im Umkehrschluss würde das bedeuten...
Herzog: Nein, mich interessieren solche Vergleiche nicht. Du brauchst im Umfeld des Teams eben Vertrauenspersonen. Jogi machte sich gut und genießt jetzt ein exzellentes Ansehen. Jeder hat allerdings sein eigenes Schicksal, seinen eigenen Werdegang. Damit in Verbindung gebracht zu werden, bringt mich im Geschäft nicht weiter.
Seite 2: Herzog über Österreichs Trainer-Exporte, Arnautovic und seine Zukunft