Ein Farmteam ist per Definiton dazu da, um junge Spieler auszubilden oder etablierten Rekonvaleszenten die Möglichkeit zu geben, Spielpraxis zu sammeln. Sind die Spieler (wieder) bereit für höhere Aufgaben, werden sie dann wieder nach oben beordert.
Im US-Sport sind Farmteams Gang und Gäbe. Die NBA etwa hat ihre eigene Farmliga namens NBDL, beim Baseball gibt es eine ganze Reihe der sogenannten Minor Leagues.
Im Fußball sind Farmteams noch nicht so verbreitet. Das Beispiel von Vitesse Arnheim und dem FC Chelsea jedoch macht deutlich, dass sich dies nach und nach ändern könnte.
Im Jahr 2010 bekam der niederländische Klub mit dem ehemaligen georgischen Fußballer Merab Jordania einen neuen Besitzer. In den fünf Jahren zuvor hatte der Klub nie mehr als den zehnten Platz erreicht und war hoch verschuldet, Jordania versprach trotzdem umgehend die Meisterschaft in "spätestens drei Jahren" sowie einigen Aufruhr in der Champions League.
Strohmann für Abramowitsch?
Vielleicht war er so optimistisch, weil er etwas wusste, was andere nur vermuten konnten. Medienberichten aus dieser Zeit zufolge war Jordania nämlich in Wirklichkeit nur ein Strohmann. Als Geschäftsmann war der Georgier zwar auch recht erfolgreich, für die Führung eines Fußballvereins fehlten ihm aber schlichtweg die Mittel, hieß es.
Dieses Problem hat Roman Abramowitsch bekanntlich nicht, ebenso wenig wie sein Geschäftspartner Alexander Tschigirinski. Letzterer ist seit Oktober 2013 Mehrheitsbesitzer von Vitesse, er hat die Anteile von Jordania übernommen. Allerdings sollen er und Abramowitsch tatsächlich schon seit 2010 die Fäden im Hintergrund gezogen haben.
Ob das der Wahrheit entspricht, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Jordania zumindest hat stets beteuert, alle Entscheidungen selbst zu treffen. Dass Abramowitsch in Sachen Kader Aufbauhilfe leistete und leistet, ist jedoch offensichtlich.
Geben und (hauptsächlich) nehmen
Seit der Saison 2010/11 laufen regelmäßig Chelsea-Talente im schwarz-gelben Leibchen Arnheims auf. Die Liste der Spieler, die als Gastarbeiter dort eingesetzt wurden, umfasst beispielsweise Namen wie den unlängst für 25 Millionen Euro gewechselten Nemanja Matic oder, um ein weniger positives Beispiel zu nennen, den mittlerweile beim HSV aussortierten Slobodan Rajkovic.
Die Kooperation ist beiderseitig: Vitesse profitiert natürlich von den jungen Talenten, Chelsea hat dafür ein Vorrecht auf Spieler Arnheims wie etwa Marco van Ginkel, der vor der laufenden Saison den Wechsel in die andere Richtung vollzog. Außerdem können sich die Spieler weiterentwickeln und sich potenziellen Käufern präsentieren, will Chelsea sie nicht selbst zurückholen
Das Ziel Meisterschaft in drei Jahren wurde zwar nicht erreicht, allerdings hat sich Arnheim seit 2010 sukzessive verbessert und zuletzt den vierten Platz erreicht. In dieser Saison könnte die Krönung winken - mit freundlicher Unterstützung aus dem Westen Londons.
Gebaut auf Leihspielern
Überwintert hat Vitesse auf dem zweiten Platz, punktgleich mit Tabellenführer Ajax Amsterdam. Ein Großteil des Kaders besteht dabei abermals aus Leihspielern, gleich sieben davon laufen normalerweise in Blau auf.
Sam Hutchinson und Gael Kakuta gingen in diesem Winter zurück nach London, dafür kam mit Bertrand Traore direkt der nächste Azubi von der Insel. Christian Atsu, Patrick van Aanholt, Cristian Cuevas und Lucas Piazon absolvieren die komplette Saison in der Eredivisie.
Vor allem van Aanholt und Piazon sind dabei maßgeblich am Erfolg beteiligt. Van Aanholt, der seit Januar 2012 an Vitesse verliehen ist, ist als Linksverteidiger uneingeschränkter Stammspieler und hat im letzten Jahr den Sprung zum holländischen Nationalspieler gemacht. Unter anderem soll der 23-Jährige bei Bayer Leverkusen bereits auf dem Zettel stehen, wenn seine Leihe im Sommer ausläuft und Jose Mourinho keine Verwendung für ihn findet.
Piazon als Musterschüler
Beim 20-jährigen Brasilianer Piazon dürften die Interessenten vermutlich sogar Schlange stehen. Seit Jahren als Top-Talent gehandelt, konnte er sich im letzten Jahr beim FC Malaga nicht so recht auszeichnen, hat in Arnheim jedoch offensichtlich die richtige Berufsschule gefunden. Elf Tore und acht Assists hat Piazon bereits auf dem Konto, mehr Scorerpunkte hat in Holland nur Heerenveens Alfred Finnbogason.
Piazon nutzt seine Chance, lässt allerdings auch wenig Zweifel daran, dass er sich eigentlich an der Stamford Bridge spielen sieht. "In meinem Alter ist es schwierig, bei einem so großen Verein wie Chelsea zu sein", erklärt er. "Natürlich will jeder so schnell und viel wie möglich auflaufen, das ist aber nicht leicht. Ich wäre gerne geblieben, aber es gibt eben so viele gute Leute im Kader. Bei Vitesse macht es mir aber viel Spaß. Ich versuche, mich zu verbessern und mich dann in London durchzusetzen."
Angesichts der Talentfülle im Kader der Blues ist es keineswegs garantiert, dass ihm das jemals gelingen wird. Piazon spielt eine extrem starke Saison, allerdings eben auch "nur" in Holland - einer Liga, die traditionell stürmerfreundlich ist. Die Torquoten geben nicht unbedingt Aufschluss über den Erfolg in stärkeren Ligen, wie man etwa an den Beispielen von Afonso Alves, Bas Dost, Luuk de Jong und vielen anderen sehen kann.
Kooperation auch auf Führungsebene?
Will Mourinho ihn nicht zurückhaben, passt Piazon freilich trotzdem ins Geschäftsmodell des FC Chelsea: Kaufen, ausbilden (lassen), zurückholen und/oder verkaufen - oder verkaufen und später zurückholen, wie im Fall von Matic.
Ganze 25 Spieler hat Chelsea in dieser Saison in ganz Europa platziert, um zu lernen oder um lange genug in einem EU-Land zu arbeiten, dass sie auch für die Insel ein Arbeitsvisum bekommen können, wie im Fall von Traore.
Mit Arnheim soll die Kooperation offenbar sogar noch ausgebaut werden. Marina Granovskaia, enge Vertraute von Abramowitsch und Mitglied der Geschäftsführung bei Chelsea, wird Berichten des "De Telegraaf" zufolge in Zukunft auch bei Vitesse eine führende Rolle einnehmen.
Kritik wird laut
Nicht wenigen in Holland geht diese Kooperation langsam zu weit. Sie wittern Wettbewerbsverzerrung: Arnheim hat dank seinem Draht nach London als relativ armer Klub Zugang zu Talenten, die andere Klubs in der Eredivisie nicht bekommen könnten. Einige Stimmen fordern bereits Restriktionen, wie etwa ein Maximum von drei ausländischen Leihspielern pro Saison.
Vitesse kann sich allerdings nichts vorwerfen lassen. Der Klub tut nichts Verbotenes und zieht den größten Nutzen aus der Situation. Ob dafür Glück oder Verstand verantwortlich ist, interessiert später ohnehin keinen.
Gut möglich, dass der Verband dem Ganzen in den nächsten Jahren einen Riegel vorschieben wird. Bis dahin wird das Farmteam weiter machen wie bisher. Schließlich winkt der erste Titel in der höchsten niederländischen Spielklasse seit 122 Jahren.
Im Gegensatz zu den Protagonisten der Saison würde der Titel dem Verein sogar erhalten bleiben.
Vitesse Arnheim im Überblick