"Angst zu versagen ist stark verankert"

Raimunt Zieler bei der Jugendarbeit
© Raimunt Zieler
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SPOX: Xi Jinpings sehnlichste Wünsche sind eine WM-Teilnahme, eine WM-Austragung und ein WM-Titel. Und das in nicht allzu ferner Zukunft.

Zieler: Es wird 15, meiner Rechnung nach vielleicht sogar 20 Jahre dauern, bis China zur internationalen Spitze aufschließen könnte. Aber warum sollte man davor nicht eine Weltmeisterschaft organisieren? Das würde dem Ganzen noch einmal Schub geben. Was ich positiv sehe: Mädchen- und Frauenfußball ist weiter als der Herrenfußball.

SPOX: Aber mit den Geldern, den Reformen und der Unterstützung aus der Regierung sollten zumindest die Weichen richtig gestellt sein.

Zieler: Einerseits ja, dennoch fehlt es noch überall. Man bräuchte mehr europäische, qualifizierte Trainer in den Schulen, es müssen Meisterschaften organisiert werden, es muss eine für die Nachwuchsförderung einheitliche Aubildungsphilosophie konzipiert und verabschiedet werden, es muss ein Passwesen eingeführt werden, die Verbände müssen mehr Kompetenzen bekommen. Die Leute wissen, was zu tun ist, aber die Umsetzung und vor allem die Entscheidung für einen für alle verbindlichen Weg dauert. Aber mittelfristig - warum nicht? Wenn ich hier etwas gelernt habe, dann, dass die Chinesen ehrgeizig sind und sich das, was sie sich in den Kopf gesetzt haben, meistens schaffen.

SPOX: Auch mit einer sehr strengen, züchtigenden Art und Weise, die Kinder zu erziehen und zu trainieren?

Zieler: Das kann man nicht ganz von der Hand weisen. Viel wird mit Disziplin gearbeitet. Vor allem die älteren Lehrer gehen in diese Richtung, das bisherige Training ist sehr auf Drill und Strenge ausgerichtet. Die körperliche Fitness hat vielerorts einen höheren Stellenwert, als der Umgang mit dem Ball. Die meisten Fußball-Trainer leiten ihr Training noch mit der Trillerpfeife! Es geht auch viel um Druck: 'Du musst jetzt gewinnen! Verliere ja nicht!' Aber die jüngere Trainer-Generation geht vernünftig mit den Spielern um, da sehe ich keinen Unterschied zu Europa.

SPOX: Könnte das ein Grund für das fehlende fußballerische Niveau sein: Kein Spaß am Sport?

Zieler: Das kann durchaus sein. Erfolg im Sport hat ja auch viel mit Selbstvertrauen sowie der Fähigkeit zu tun, selbständige und eigene Entscheidungen zu treffen. China ist eine Ellenbogengesellschaft. Man muss fleißig sein, zu den Besten gehören, der richtige Kindergarten, auf die beste Schule gehen, damit man etwas wert ist. Bereits bei den Kindern ist der Druck enorm. Die Angst zu verlieren, zu versagen ist deshalb stark verankert. Das ist auch vermutlich der Grund, warum man nicht so viele Spiele macht: Aus Angst, zu verlieren. Und das muss aufgebrochen werden. Ich glaube aber auch, dass da ein Umdenken stattfindet.

SPOX: Wie viel Einfluss und Gewicht hat denn Ihr Wort, vielleicht auch auf einer Ebene außerhalb Ihres Verbandstrainer-Daseins - in Sachen Reformen, die sie anpeilen?

Zieler: Das muss ich noch herausfinden. Man hört mir auf jeden Fall zu. Ich habe auch ein über 100-seitiges Konzept geschrieben zur Entwicklung des Fußballs in Hohhot und in der Inneren Mongolei. Auch für die Schulen habe ich beispielhafte Trainingspläne und Trainingseinheiten für Grund-, Mittel- und Oberschulen verfasst. Ich habe vorgeschlagen, sich jetzt primär auf die Grundschulen zu konzentrieren - weil das ja die Spieler sind, die in zehn, 15 Jahren Weltmeister werden sollen. (lacht) Und das wurde auch so umgesetzt. Ich habe auch ein sehr gutes Verhältnis zum Vizegouverneur, der gleichzeitig der Sportminister ist, und der es gern möchte, dass ich den Finger in die Wunde lege und derartige Sachen offen anspreche.

SPOX: Sie haben bereits den Enthusiasmus für den Fußball angesprochen. Wie haben Sie die vergangene Transferperiode erlebt? Haben die Superstars wie Jackson Martinez noch einmal eine Begeisterungswelle ausgelöst?

Zieler: Ich glaube ja! Die Stadien sind voll, die Stimmung ist hervorragend, die Medienpräsenz steigt. In der Super League, der ersten Liga, wird guter Fußball gespielt, und die ausländischen Spieler tragen natürlich ihren Teil dazu bei - auch wenn die Summen natürlich utopisch sind. Ich sage dann in meiner Position als Verbandstrainer: Stattdessen etwas mehr in den Nachwuchs stecken, wäre mittelfristig effizienter. Insgesamt ist es aber natürlich etwas, das den chinesischen Fußball voranbringt.

SPOX: Und wie lange werden Sie den chinesischen Fußball noch voran bringen?

Zieler: Ich habe Mitte Oktober meinen Dienst angetreten und habe bislang einen befristeten Vertrag über ein Jahr. Im Juli werden wir uns zusammensetzen und die Köpfe zusammenstecken: Was haben wir erreicht? Was können wir noch erreichen? Wie kann's weitergehen?

SPOX: Stand jetzt: Kann's weitergehen?

Zieler: Unter gewissen Voraussetzungen. Ich kann in der kurzen Zeit ja nur Impulse setzen, keine Missionen erfüllen. Wirklich bewirken könnte man etwas, wenn man über einen längeren Zeitraum hier wäre und die Dinge mitentwickeln kann. Ob das passiert, muss ich zunächst mit mir selbst abklären, weil man irgendwann auf dem deutschen Trainermarkt von der Bildfläche verschwindet. Und auch im privaten Umfeld muss man Lösungsmöglichkeiten suchen. Letztlich ist alles auch eine Frage der Alternativen. Außerdem fehlt mir hier auch der Blick auf den Kölner Dom! (lacht) Von der Aufgabe her kann ich es mir aber sehr gut vorstellen, länger zu bleiben.