Ex-Bayern-Spieler Jan Wouters im Legenden-Interview: "Dann eben ohne Schnauzer"

Jan Wouters spielte Anfang der 1990er Jahre zwei Spielzeiten für den FC Bayern München
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SPOX: Sie sind 1988 Europameister mit der niederländischen Nationalmannschaft geworden und haben dabei für die Superstars Marco van Basten und Ruud Gullit im Mittelfeld abgeräumt. Wie denken Sie an diese Zeit zurück?

Wouters: Mir hat diese Rolle im Hintergrund gefallen. Ich hätte nicht mit van Basten oder Gullit tauschen wollen, sie standen ja permanent im Fokus. Wenn aber auf dem Platz etwas angepackt oder irgendetwas verändert werden musste, waren Ronald Koeman und ich diejenigen, die den Ton angaben. Wir gehörten zu den Vertrauten von Trainer Rinus Michels, das war eine Art Mannschaftsrat. Die Mischung in der Truppe war damals einfach perfekt.

SPOX: Wie groß war daran auch der Verdienst von Michels?

Wouters: Zu meiner Zeit hatte er die Zügel fest in der Hand. Wir haben uns mit ihm über die Taktik ausgetauscht, er hat uns zugehört. 1974 stand er noch im Ruf, extrem streng zu sein. 1988 aber konnte er auch locker sein. Wir hatten gehörigen Respekt vor ihm. Wir wussten alle, dass wir die Grenze nicht übertreten durften, da es sonst bitter für uns geendet wäre. (lacht)

SPOX: Während Ihrer gesamten Karriere hat Sie der Ruf als harter Knochen begleitet. In Anlehnung an den niederländischen Sänger Lee Towers wurden Sie später auch "Lee Wouters" genannt. Wie kam das zustande?

Wouters: Das weiß man in Deutschland nicht: Lee Towers macht beim Singen immer eine Bewegung, die wie ein Ellbogenschlag aussieht. Damit spielte man auf den Zweikampf zwischen Paul Gascoigne und mir an.

SPOX: Der fand 1993 statt. Gascoigne musste anschließend eine Maske tragen. Die Niederlande lag in dieser Partie gegen England 0:2 zurück, kam aber noch zum Ausgleich - und brachte England damit um die Teilnahme an der WM in den USA. War das damals Absicht?

Wouters: Nein, auf keinen Fall. Ich hatte mir nicht gedacht, dass ich ihm im nächsten Duell eine mitgebe. Wir lagen 0:2 zurück, ich war etwas gefrustet. Schon in der Jugend gab es immer mal wieder solche Episoden. Mein Vater hat damals zu mir gesagt: Du bist doch verrückt, so kannst du dich nicht verhalten. Ich wusste selbst, dass das eigentlich nicht in Ordnung war. Und trotzdem ist es wieder passiert.

SPOX: Englische Medien bezeichneten Sie anschließend als "holländischen Rowdy", Sie standen tagelang unter Beschuss.

Wouters: Das war nicht angenehm. Ich stand bei den nächsten Spielen mächtig unter Druck, alle Augen waren auf mich gerichtet. Am meisten Angst hatte ich nach dem Gascoigne-Foul vor der Reaktion meines Vaters. Ich habe ihn gleich am nächsten Tag schon gesehen, bereits im Auto auf dem Weg zu ihm war mir bange. 'Ich schäme mich für dich", hat er gesagt. Andererseits war er aber auch mächtig stolz, dass wir uns für die WM qualifiziert haben. (lacht)

SPOX: Hat Ihnen denn dieser Ruf als Raubein geschmeichelt?

Wouters: Ja. Ich war gerne der harte Hund, das war meine Art zu spielen. Sobald ich auf dem Platz stand, ist etwas mit mir passiert. Ich hatte einen unglaublich großen Siegeswillen. Der war auch größer als mein Talent, ohne ihn wäre ich nie so weit gekommen. Er war allerdings auch dafür verantwortlich, dass ich als Spieler Dinge getan habe, auf die ich nicht besonders stolz bin. Das waren eben emotionale Momente im Spiel, da konnte ich einfach nicht immer vernünftig reagieren.

SPOX: Woher kamen die physische Robustheit, die Härte, der Kampfgeist?

Wouters: Ich kann es mir selbst auch nicht richtig erklären. Ich habe acht Geschwister - und bin der Jüngste. Wie häufiger in größeren Familien ist der Jüngste derjenige, der am meisten verwöhnt wird und der vieles nachgetragen bekommt. So war es auch bei mir. Wir hatten nicht viel Geld und wenn etwas aufgeteilt werden musste, bin ich immer sehr gut weggekommen. (lacht) Ich kann nur sagen, dass meine Mutter sehr leidenschaftlich am Seitenrand war, wenn sie ein Spiel von mir gesehen hat.

SPOX: 1990 sind Sie als Typ Wadenbeißer Hollands Fußballer des Jahres geworden. Wie zum Teufel haben Sie das bei all den technisch begnadeten Konkurrenten geschafft?

Wouters: Ich war nicht nur der Kämpfer, sondern konnte auch ganz passabel Fußball spielen. In diesem Jahr sind wir mit Ajax Meister geworden, es lief sehr gut für mich. Ich gebe zu, dass mich die Ehrung überrascht hat. Es gab ja ziemlich hochkarätige Konkurrenz, allein schon aus der niederländischen Nationalelf. Normalerweise gewinnen die Spieler mit den meisten Toren. Aber ich habe selbst Romario, der zu dieser Zeit für Eindhoven spielte, abgehängt.

SPOX: Worauf sind Sie stolzer: Den Europameistertitel, den Gewinn des UEFA-Cups 1992 mit Ajax oder die Ernennung zum Fußballer des Jahres?

Wouters: Auf den Fußballer des Jahres. Die beiden anderen Titel machen mich auch stolz, aber Fußballer des Jahres in meiner Heimat zu werden, das war für mich der Höhepunkt. Auch deshalb, weil ich niemals damit gerechnet habe.

SPOX: In Eindhoven wurden Sie 1996 noch einmal Pokalsieger, im selben Jahr beendeten Sie dann Ihre aktive Karriere - und stiegen direkt in Ihrer Heimatstadt beim FC Utrecht als Co-Trainer ein. In dieser Funktion arbeiten Sie seitdem hauptsächlich, auch wenn Sie zwischenzeitlich immer mal wieder als Interimstrainer übernommen haben. Wird es den Cheftrainer Jan Wouters künftig nicht mehr geben?

Wouters: Nein. Wenn ich für ein paar Wochen übernommen habe, sagte ich meinen Klubs immer: Sucht einen Cheftrainer, ich bleibe es nicht. Den Grundstein für diese Haltung legte ein bisschen mein Einstieg ins Trainergeschäft. 1997 ging ich als Jugendtrainer zu Ajax, ein Jahr später wurde ich dort bereits Cheftrainer. Das war deutlich zu früh, ich hatte noch keinerlei Erfahrung. Mir wurde dabei aber klar, dass mir die Rolle im Hintergrund auch als Trainer besser gefiel. Ich beschäftige mich einfach lieber auf dem Platz mit den Spielern, als all diese unterschiedlichen Verpflichtungen eines Cheftrainers wahrnehmen zu müssen.

SPOX: 2001 sind Sie mit Dick Advocaat zu Glasgow Rangers nach Schottland gegangen und insgesamt fünf Jahre geblieben - Ihre längste Station als Trainer.

Wouters: Advocaat wollte eine Saison bleiben und hat mich gefragt, ob ich ihn nicht begleiten möchte. Mich hatte die Lust gepackt, doch nach einem halben Jahr wurde er bereits wieder entlassen. Dann kam Alex McLeish. Mit ihm hat es auf Anhieb gut geklappt, die Zusammenarbeit war über all die Jahre wirklich hervorragend. Ich glaube, diese Flexibilität zeichnet mich als Co-Trainer auch aus. Hinzu kam die schottische Mentalität, die hat mir sehr gefallen. Das waren zum Großteil Arbeiter mit einem guten Humor. Das machte es für mich leicht.