Die einen befürchten nun "Anarchie" und "Chaos", andere sehen die Dinge weitaus gelassener. Fakt ist: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Freitag dem Fußball-Weltverband FIFA einen Schuss vor den Bug verpasst, weil er "einige" der derzeit geltenden Transferregeln für nicht vereinbar mit EU-Recht hält.
Die Richter in Luxemburg sehen "die Freizügigkeit der Spieler" und den "Wettbewerb zwischen den Vereinen" behindert.
Massive Umwälzungen des Transfersystems wie einst im "Fall Bosman" sind aber wohl kaum zu erwarten. Paul Lambertz, Fachanwalt für Sportrecht aus Düsseldorf, sagte im Gespräch mit dem SID, Entscheidungen des EuGH seien "immer etwas vage, man weiß nie genau, was dabei herauskommt". Er betonte aber: "Das ganz große Beben bleibt für mich aus - ich sehe kein Bosman 2.0." Und die Aufregung über den Fall sei eher "ein Sturm im Wasserglas".
Lassana Diarra auf den Spuren Bosmans
Wie einst der Belgier Jean-Marc Bosman hatte der Franzose Lassana Diarra (39) gegen das System aufbegehrt. Weil ihm sein damaliger Verein Lokomotive Moskau im August 2014 das Gehalt gekürzt hatte, sah sich Diarra nicht mehr an seinen Vertrag gebunden.
Der Klub verklagte ihn auf Vertragsbruch, die FIFA verhängte eine Geldstrafe von zehn Millionen Euro gegen den Spieler und drohte Vereinen, die ihn verpflichten wollten, ebenfalls mit einer Geldstrafe.
Diarra und die Anwälte, die einst auch Bosman vertreten hatten, gingen juristisch gegen die FIFA vor. 2017 bekamen sie von einem belgischen Handelsgericht in erster Instanz eine Entschädigung in Höhe von 60.001 Euro zugesprochen, da ein Wechsel zum belgischen Klub Royal Charleroi wegen der Strafandrohung der FIFA nicht zustande gekommen war. Der EuGH schickt den Fall nun mit seiner Entscheidung zurück an das belgische Gericht.
Drohen nun "Anarchie" und "Chaos", wie der Guardian schon vor der Urteilsverkündung mutmaßte? Können Spieler künftig nach Lust und Laune ihren laufenden Vertrag kündigen, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, etwa auch durch eine Geldstrafe für kritische Äußerungen dem Verein gegenüber? Nein, sagt Fachanwalt Lambertz, "das sehe ich Gott sei Dank nicht. Ich sehe auch keine große Disruption des ganzen Fußballmarktes."
Fachanwalt Lambertz: "Es wird Einzelfälle geben"
Verträge, zumal befristete, könnten nur bei einem triftigen Grund gekündigt werden, betont Lambertz. Außerordentliche Kündigungen seien "wirklich ein krasser Einzelfall, und das sollte auch genau so bleiben". Der vorliegende Fall und die Aufregung darüber hält Lambertz für übertrieben. "Ich sehe da tatsächlich den Sturm im Wasserglas. Es wird Einzelfälle geben, aber dass das ganze System über Haufen geworfen wird - sicher nicht."
Es wird vermutlich dabei bleiben, dass die FIFA ihre Transferbestimmungen in den fraglichen Punkten anpasst. Was das EuGH moniert: Spieler und Verein wurden bestraft, also "gesamtschuldnerisch" in Haftung genommen.
Eine Strafe für den aufnehmenden Verein plus die Verweigerung der Freigabe aber sei, sagt Lambertz "im Gesamten unionsrechtswidrig" weil eben dazu geeignet, die Freizügigkeit der Spieler und den Wettbewerb der Vereine zu beschränken.
DFL: Urteil betrifft "unmittelbar nur internationale Transfers"
Die Führung der Deutschen Fußball Liga (DFL) teilte in einer Stellungnahme mit, das Urteil betreffe "unmittelbar nur internationale Transfers".
Um jedoch Rechtssicherheit beim Abschluss von Verträgen zu haben und deren Stabilität zu gewährleisten, sei die "FIFA nun angehalten, auf Grundlage der Urteilsbegründung und in Konsultation mit Ligen und Spielergewerkschaften Änderungen an den internationalen Transferregularien zu erarbeiten".
Und wer hat nun gewonnen? "Je nachdem wessen Hut ich aufhabe, kann man das unterschiedlich interpretieren", glaubt Lambertz. "Die FIFA wird sicherlich sagen: Im großen Ganzen bleibt's unverändert, die Anwälte von Diarra werden sagen: ein Riesenerfolg, wir haben die FIFA mal wieder auf die die Knie gezwungen. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte."