SPOX: Wenger sagt aber auch: "Mesut und Robert sind sich ebenfalls ähnlich darin, dass sie eine Zeit benötigen, um sich an den Fußball in England zu gewöhnen."
Pires: Es stimmt, so einfach fiel es mir nicht wie anfangs erwartet. Als ich aus Frankreich zu Arsenal kam, dachte ich, dass es eine komplett andere Sportart ist. Die Toughness, das Physische, das Tempo, das alles kannte ich nicht. Ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre: Im ersten Saisonspiel mussten wir in Sunderland antreten. Nicht die talentierteste, dafür eine sehr körperbetonte Mannschaft. Arsene kam vor dem Anpfiff zu mir und sagte: "Robert, Du beginnst auf der Bank. Nicht weil du schlecht trainiert hast, sondern weil du dir die Premier League erstmal ansehen sollst." Ich wusste nicht, ob das wirklich nötig war, aber nach 20, 25 Minuten dachte ich mir: "Verdammt, ich will sofort zurück nach Frankreich, so einen Fußball will ich nicht spielen." Nach sechs Monaten Adaption war ich allerdings voll drin.
SPOX: Als entscheidend dafür erwies sich Wenger?
Pires: Absolut. Arsene zeichnet eine extrem hohe Empathie aus. Er kann sich wie kaum ein anderer in die Lage eines Spielers hineinversetzen. Was ich ihm hoch anrechne: Wenn es schwierig wird, versucht er nicht, den Druck an die Spieler weiterzugeben und sich plötzlich autoritär zu geben. Er bleibt immer ein Gentleman, extrem relaxt und verbindlich. Für mich war er der ideale Trainer.
SPOX: Wenger sagt wiederum über Sie: "Robert war das Öl für unseren Motor."
Pires: Ein großes Kompliment. Der Arsenal-Fußball passte wie Wenger genau zu meinen Vorstellungen. Ich mochte es immer, wenn der Fußball klar und einfach gespielt wird, plain and simple. Viele glauben, dass das Spektakuläre das wesentliche Merkmal von Arsenal war, dabei war unser Geheimnis die Schlichtheit und Klarheit der Aktionen.
SPOX: Aber Sie selbst standen doch für die Komplexität von Arsenal: Sie schossen teilweise so viele Tore wie ein Stürmer, gaben Vorlagen wie ein Spielmacher und griffen über die Flügel an wie ein Winger.
Pires: Am Ende war es trotzdem mein wichtigster Job, die Bergkamps, Henrys und Kanus mit Vorlagen zu füttern. Es ging darum, die Maschinerie am Laufen zu halten mit den Mitteln, die mir zur Verfügung standen. Ich bekomme nach wie vor Gänsehaut, wenn ich an unseren Fußball denke.
SPOX: Sie sind derart mit Arsenal verwurzelt, dass Sie im Wohnkomplex, der auf der Stelle des abgerissenen Highbury-Stadions gebaut wurde, ein Appartement kauften. Und das nur aus Reminiszenzgründen. Stimmt es, dass Sie fast eine Träne vergossen haben, als das alte Highbury verschwand?
Pires: Nicht nur fast, ich habe bei dem Anblick des abgerissenen Highbury richtig geweint, so wie viele andere Spieler von Arsenal. Das Highbury war nicht modern, nicht state of the art. Dafür hatte es so viel Geschichte, so viel Charme und Nostalgie. Wenn wir ein Heimspiel hatten, fühlte man sich immer besonders. Die Atmosphäre, das Gefühl, die Connection zu den Fans, das alles war etwas ganz Besonderes. Das Highbury war DAS Stadion in England. Nicht falsch verstehen: Ich gehe heute gerne ins Emirates, eine tolle Arena. Das Highbury wird mir trotzdem immer im Herzen fehlen.
SPOX: Sie sind mit voller Leidenschaft ein Gunner - und wurden 2011 bei der Fan-Wahl zum größten Arsenal-Spieler aller Zeiten auf den sechsten Platz gewählt.
Pires: Es gab keine Trophäe dafür, aber die Wahl gehört zu meinen wertvollsten Erfolgen. Ich war nur sechs Jahre bei Arsenal und mich dennoch in einer Reihe mit echten Legenden wiederzufinden, erfüllt mich mit Stolz.
SPOX: Ähnlich groß ist die Identifikation von Ihrem Landsmann Franck Ribery mit dem FC Bayern. Sehen Sie gewisse Parallelen?
Pires: Auf jeden Fall. 2000 hatte ich einige Angebote, neben Arsenal unter anderem von Real Madrid. Ribery hatte ja auch Möglichkeiten, zu Real zu wechseln, dennoch bevorzugte er es, bei seinem Herzensklub zu bleiben. Er liebt München, er liebt Deutschland, er liebt die Bundesliga. Er hörte auf sein Gefühl und machte alles richtig.
SPOX: Hingegen wirkt das Verhältnis zwischen Ribery und der französischen Öffentlichkeit weiter distanziert. Oder ist nach dem 3:0 gegen die Ukraine und der dramatischen WM-Qualifikation eine Annährung zu spüren?
Pires: Die Situation hat sich grundlegend verändert. Ich glaube, der Druck auf Ribery in der Equipe war lange zu groß. Es wurde zu viel von ihm erwartet und dann wird das Nationalmannschaftstrikot unendlich schwer, so dass selbst der leichtfüßigste Spieler seine Lockerheit verliert. Ich glaube jedoch, dass mit dem 3:0 gegen Ukraine der Knoten gelöst wurde. Es ist eine Aufbruchsstimmung zu verspüren - mit Ribery als demjenigen, der aus einer guten Mannschaft heraussticht. Deutschland ist für mich der große WM-Favorit, dann Brasilien und Spanien. Frankreich sehe ich gleich hinter den großen Drei.
Robert Pires im Steckbrief