Kein Spiel des FC Chelsea ohne wildes Gefuchtel von Antonio Conte an der Seitenlinie. Der italienische Coach vermittelt bei den Blues stets das Gefühl, als ob er am liebsten selbst auf dem Platz stehen würde. Seine Gesten und Rufe sollen die Spieler in genau die Bahnen lenken, die er sich vor dem Spiel ausgedacht hat.
Conte ist kein Mann, der gerne die Kontrolle abgibt. Er überwacht das Spielfeld, sieht und korrigiert alles. Doch das Spielfeld ist nicht immer grün und nicht immer auf maximal 120 Meter Länge beschränkt. Das bekommt der so emotionale Trainer derzeit beim FC Chelsea zu spüren.
Denn Conte muss abseits des Rasens hinter den Kulissen um Macht, Zugeständnisse und die Erfüllung seiner Wünsche kämpfen. Und im Moment sieht es so aus, als müsse er dieses Spielfeld - oder besser: "Schlachtfeld" - als Verlierer verlassen. Zu mächtig sind seine Gegenspieler.
Antonio Conte dankt den Fans für ihre Unterstützung
"Ich bin den Fans dankbar, dass sie mich auf diese Weise unterstützt haben. Es ist sehr wichtig, dass Menschen meine Arbeit hier in Chelsea schätzen", sagte Conte nach dem 3:0-Sieg über West Bromwich Albion Mitte Februar. Ein klares Zeichen nach außen: Schön, dass mich hier überhaupt jemand unterstützt.
Seitdem ist ein Monat vergangen, die Lage hat sich etwas beruhigt. Und doch scheint es unmöglich, dass Conte noch ein weiteres Jahr bei den Blues verbringt. Gegen den FC Barcelona (20.45 Uhr im LIVETICKER) geht es um den Einzug ins Viertelfinale der Königsklasse, gegen die sportliche Führung geht es um jedes noch so kleine Maß an Entscheidungsgewalt.
Was sind die Streitpunkte? Die Transfers stehen ganz oben auf dieser Liste. Conte verscherzte es sich mit Diego Costa. Als Ersatz bekam er Olivier Giroud. Alvaro Morata, immerhin 66 Millionen Euro teuer, gelang in den letzten 15 Liga-Spielen ein einziger Treffer. Und in Dortmund schraubt Michy Batshuayi sein Konto Spieltag für Spieltag höher.
Neuzugang | Prozentuale Spielzeit 17/18 | Ablöse |
Alvaro Morata | 51 % | 66 Mio. Euro |
Tiemoue Bakayoko | 58 % | 40 Mio. Euro |
Danny Drinkwater | 26 % | 38 Mio. Euro |
Antonio Rüdiger | 65 % | 35 Mio. Euro |
Davide Zappacosta | 49 % | 25 Mio. Euro |
Emerson | 6 % | 20 Mio. Euro |
Olivier Giroud | 5 % | 17 Mio. Euro |
Ross Barkley | 3 % | 17 Mio. Euro |
Neuzugänge gefallen Conte nicht
Conte hätte die Leihgabe an den BVB laut eigenen Aussagen gerne behalten. Die Führung aber entschied, dass Batshuayi gehen dürfe. Der im Winter für fast 17 Millionen Euro verpflichtete Ross Barkley hat unter Conte bisher drei von 15 möglichen Spielen absolviert, kein einziges Mal war er über die volle Distanz im Einsatz.
Sportdirektorin Marina Granovskaia, enge Vertraute von Klub-Eigner Roman Abramowitsch, scheint ihr Ende des Taus in eine andere Richtung zu ziehen, als es Conte tut. Das gipfelt bisweilen in merkwürdigen Manövern wie etwa beim 0:1 gegen Manchester City. Conte ließ Giroud und Morata auf der Bank, an vorderster Spitze durfte sich Eden Hazard aufreiben.
Es mutete an wie ein trotziges Zeichen: "Was soll ich mit diesen Spielern anfangen?", schien der Trainer durch seine Aufstellung zu fragen. Die Blues verwunderten mit einem unglaublich passiven Auftritt nicht nur ihre eigenen Fans und verloren zwar knapp, aber doch verdient. Die Meisterschaft ist längst gelaufen, im Kampf um die Qualifikation für die Champions League scheinen Liverpool und Tottenham stabiler.
Chelsea will kein Underdog sein
Conte verweist derweil noch auf seinen Vertrag bis Sommer 2019. Dass er diesen auch erfüllen wird, glaubt kaum noch jemand. Der Italiener ist beim FC Chelsea nur die Exekutive. Die Aufstellung der Regeln liegt im Zuständigkeitsbereich anderer Personen. Conte ist der große Verlierer der Gewaltenteilung.
Andernorts funktioniert die Unterteilung im sportlichen Bereich in Trainer und Sportdirektor anstelle eines omnipotenten "Managers" prächtig. Bestes Beispiel sind Pep Guardiola als Head Coach und Txiki Begiristain als Director of Football beim designierten englischen Meister Manchester City. Offenbar passen bei den Skyblues die Ansichten und Vorstellungen der verantwortlichen Personen überein. Bei Chelsea funktioniert das nicht.
Conte zieht sich gerne in die Rolle des Underdogs zurück. Lauscht man seinen Worten, glaubt man, den Trainer des Tabellenzwölften über die Krux des Standortnachteils lamentieren zu hören: Die anderen haben mehr Geld, mehr Mittel, bessere Spieler, bessere Argumente auf dem Transfermarkt.
Antonio Conte erwartet Leiden in Barcelona
"Wir werden leiden", sagte Conte passend dazu vor dem Spiel gegen den FC Barcelona. Nach dem Unentschieden im Hinspiel sieht er sein Team wieder als Außenseiter. Das ist aber nicht das Selbstverständnis seiner Vorgesetzten. Sie sehen den FC Chelsea auf Augenhöhe mit den Katalanen und wollen auch so auftreten.
Bei Ausgaben von mehr als 250 Millionen Euro vor der Saison ist das nicht unbedingt verwunderlich. Chelsea hat groß investiert und wohl auch dementsprechend groß geträumt. Doch der Trainer kann mit den "Materialien" wenig anfangen und tanzt aus der Reihe.
Somit verwundert es nicht weiter, wenn Conte unzufrieden ist und es verwundert auch nicht, dass er derzeit als Nationaltrainer Italiens oder als Coach bei diversen anderen Klubs gehandelt wird. Denn derzeit ist er beim FC Chelsea nicht viel mehr als ein Dead Man Walking.