"Super, super Jack! Super, super Jack! Super Jacky Grealish!" Bei der EM im vergangenen Sommer musste sich Jack Grealish nur zum Aufwärmen bewegen, schon besangen ihn die englischen Fans. Am liebsten hätten sie ihn in jedem Spiel in der Startelf gesehen. Obwohl Grealish auf dem Weg ins letztlich gegen Italien verlorene Finale kein Stammspieler war, avancierte er zum Liebling einer Nation.
Grealish ist besonders und gleichzeitig normal. Mit heruntergelassenen Stutzen umweht sein Spiel ein Hauch Genialität, ein Hauch Anarchie. Als er im Achtelfinale gegen Deutschland für die letzten 20 Minuten eingewechselt wurde, stand es 0:0. Er belebte das Spiel sichtlich, auch dank seines Assists siegte England am Ende 2:0.
"Ich liebe es", sagte Grealish damals über die Gesänge, später sprach er vom "besten Sommer meines Lebens". Die Fans sahen in Grealish einen von ihnen. "Jack the Lad".
Es gibt Party-Geschichten und es gibt dieses legendäre Foto, auf dem er im im Alter von 19 Jahren zwischen Zigarettenpackungen offensichtlich stark betrunken am Boden schläft. Grealish spielte an keiner englischen Eliteadresse, sondern für seinen Lieblingsklub seit Kindestagen Aston Villa.
Jack Grealishs Wechsel: Pfiffe und Skepsis
Einen 118-Millionen-Euro-Wechsel zu Manchester City später scheint all die Liebe verflogen zu sein. "Es ist interessant, wie sich die Wahrnehmung seiner Person in England dadurch verändert hat", sagt David Mooney, der als Journalist und Autor über City schreibt und den Podcast "Blue Moon" betreibt, im Gespräch mit SPOX und GOAL. "Bei der EM wurde Grealish in ganz England für die Startelf gefordert und gefeiert. Mittlerweile wird er bei fast jedem Auswärtsspiel ausgebuht."
Jetzt ist Grealish nicht mehr der vermeintliche Rebell, jetzt ist er der teuerste Spieler der Premier-League-Geschichte. Mit seinem Wechsel scheint er die neutralen Fans enttäuscht zu haben - und die von City? "Viele haben im Sommer nicht verstanden, warum der Klub so viel Geld für Grealish ausgegeben hat und nicht stattdessen einen Stürmer gekauft hat", sagt Mooney.
Sergio Agüero hatte City schließlich verlassen, mit Gabriel Jesus steht nur mehr ein echter Mittelstürmer im Kader. Wohl auch wegen der hohen Investition in Grealish scheiterte letztlich ein Transfer des englischen Nationalstürmers Harry Kane von Tottenham Hotspur. Aber wer Trainer Pep Guardiola kennt, der weiß: in dubio pro Mittelfeldspieler. Bei ihm ist die falsche Neun die richtige.
Ein halbes Jahr später ist Grealish laut Mooney zwar kein Fanliebling: "Aber die meisten Fans sind ganz zufrieden mit ihm." Der City-Experte würde ihm für seine bisherige Saison die Note 2 geben, was ob der Statistiken auf den ersten Blick überrascht. Grealish stand nur bei knapp der Hälfte aller Pflichtspiele in der Startelf. In 22 Einsätzen gelangen ihm lediglich drei Treffer und drei Assists. Eher wenig für einen Offensivspieler, zumal der überlegene Tabellenführer der Premier League im Schnitt 2,6 Tore pro Spiel schießt.
Jack Grealishs veränderte Spielweise bei Manchester City
Grealish hat bei City eine andere Rolle als bei seinem Ex-Klub Aston Villa, wo er als Kapitän und alleiniger Superstar über einen unumstrittenen Stammplatz und alle Freiheiten verfügte. Nun ist er einer von vielen, vor allem im Offensivbereich setzt Guardiola auf Rotation. Gabriel Jesus, Riyad Mahrez, Phil Foden, Raheem Sterling und Grealish kamen bisher ähnlich viel zum Einsatz. "Hier gibt es nicht den einen Superstar", sagt Mooney.
Neben vereinzelten Einsätzen als falsche Neun ist Grealish im 4-3-3-System meist als Linksaußen Teil einer Ballbesitz-und Spielkontroll-Maschine. "Eigentlich erwartet man von ihm Dribblings. Aber seine Aufgabe unter Guardiola ist es, Räume für andere Spieler zu schaffen, beispielsweise für die Achter Bernardo Silva und Kevin De Bruyne und Außenverteidiger Joao Cancelo", erklärt Mooney. "Er zieht Gegenspieler auf sich und ist sehr gut darin, anschließend in den freien Raum zu passen."
Ging Grealish in der vergangenen Saison im Schnitt noch alle 20 Minuten ins Dribbling, liegt dieser Wert nun bei 25 Minuten. Dafür hat sich seine Anzahl an Pässen prozentual erhöht. Beachtlich ist Grealishs geringe Fehlerquote: Von allen regelmäßig eingesetzten Offensivspielern verzeichnete er die wenigsten Ballverluste und die zweitbeste Passquote - obwohl er gleichzeitig auf die zweitmeisten Ballkontakte kommt.
"Er hat sich perfekt eingelebt und spielt gut. Wenn man die Spiele analysiert, hat er nicht schlecht gespielt", lobte Guardiola. Grealish präsentiert sich weniger spektakulär als einst, dafür aber offenbar nicht minder wichtig. Aus einem Spieler für die Fans wurde ein Spieler für den Trainer - wobei sich dieser auch schon über Grealish ärgern musste.
Jack Grealish: "Ich habe noch so viel mehr zu geben"
Im Vorfeld einer Partie gegen Newcastle United kurz vor Weihnachten wurden Grealish und sein Kollege Foden beim Feiern in einem Nachtklub fotografiert, woraufhin Guardiola das Duo für zwei Spiele aus der Startelf strich. "Das war keine Rotation, nein", stellte er klar. "Ich habe mich für diese Mannschaft entschieden, weil es diese Jungs verdient haben zu spielen - und die anderen nicht." Immerhin ein Hauch "Jack the Lad".
Grealish selbst äußerte sich in einem Sky-Interview kurz danach überraschend selbstkritisch über seine bisherige Zeit bei City. "Ich habe noch so viel mehr zu geben. Es war viel schwieriger, als ich es mir vorgestellt habe", sagte er. "Nächstes Jahr möchte ich mehr Tore schießen und mehr Vorlagen geben."
Journalist Mooney vermutet, dass es Grealish langfristig ins Zentrum des Spielfelds zieht. Doch dort ist die Konkurrenz groß: Auf den Achterpositionen präsentieren sich Bernardo Silva und Kevin De Bruyne seit Wochen in bestechender Form. De Bruynes Platz zu beanspruchen, würde sich Grealish wohl nicht einmal selbst trauen - der 30-jährige Belgier ist schließlich eines seiner fußballerischen Vorbilder.
"Meiner Meinung nach ist er neben Ronaldo und Messi der Beste der Welt", sagte Grealish nach seinem Wechsel im vergangenen Sommer über KDB. "Ich habe mir früher viele Videos von De Bruyne angeschaut. So wie er spielt, wollte ich auch spielen. Ich wollte, dass mein finaler Pass genau wie seiner ist." Der einstige Superstar ist bei City einer von vielen - und manchmal sogar selbst ein Fan.
Jack Grealish bei Manchester City
Pflichtspiele | 22 |
Einsatzminuten | 1587 |
Tore | 3 |
Assists | 3 |
Passquote | 88,18 Prozent |
Zweikampfquote | 53,77 Prozent |