Chelsea hat in der Saison 2022/23 bekanntlich nicht viel richtig gemacht. Bei all den Problemen ärgerte die Fans vor allem die Abschlussschwäche. Der mittlerweile zu Arsenal gewechselte Kai Havertz bekam dafür die meiste Kritik ab, doch er war natürlich nicht der einzige Schuldige.
Letztlich schoss Chelsea 14 Tore weniger, als es der Expected-Goals-Wert (xG) erwarten ließ. Nur Everton und Manchester United hatten in dieser Statistik eine noch schlechtere Bilanz. Nicht nur deshalb haben die Blues die Suche nach einem neuen Mittelstürmer zu ihrer Priorität in diesem Sommer gemacht - auch wenn sie in den letzten beiden Transferfenstern bereits insgesamt rund 700 Millionen Euro ausgegeben haben.
Der jüngste Neuzugang an der Stamford Bridge heißt Nicolas Jackson, der für 37 Millionen Euro vom FC Villarreal kam. Der Senegalese ist alles andere als ein bekannter oder großer Name. Im Januar wäre er beinahe zum FC Bournemouth gewechselt, einem Abstiegskandidaten der Premier League. Bei Villarreal hat er vor allem zum Saisonende hin starke Leistungen gezeigt. Und er passt genau in das von Chelsea gesuchte Profil.
SPOX wirft einen Blick auf Jacksons bisherigen Werdegang und erklärt, warum ihn Chelsea so früh im Transfersommer unbedingt haben wollte - und dafür sogar mehr als seine Ausstiegsklausel zahlte.
Nicolas Jackson: Im Senegal begann alles
Jackson wurde in Gambia, dem kleinsten Land des afrikanischen Kontinents, geboren und wuchs dann im benachbarten Senegal auf. Für deren Nationalmannschaft entschied er sich später auch.
Er verbrachte seine Kindheit in der im Westen des Landes gelegenen Stadt Ziguinchor und begann beim örtlichen Verein ASC Tilene mit dem Fußballspielen.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis der regionale Spitzenklub Casa Sports auf seine Qualitäten aufmerksam wurde. Mit 16 Jahren wurde er schon in die erste Mannschaft berufen und verhalf ihr zu einem Platz im Mittelfeld der senegalesischen Premier League.
Die ganz große Würdigung für seine Leistungen ließ nicht lange auf sich warten. Im November 2018 wurde Jackson in die senegalesische U20-Nationalmannschaft berufen. Trainer Youssouph Dabo lobte danach seine Fähigkeit, "eine Show abzuziehen", und hob seine starken Dribblings hervor.
Nicolas Jackson: Der Wechsel nach Europa zu Villarreal
Den großen Sprung machte Jackson, wie viele andere Kicker aus Afrika auch, mit dem Wechsel nach Europa. Doch sein Transfer zum 'Gelben U-Boot' wurde nicht mit viel Tamtam begleitet: Villarreal machte sich im Sommer 2019 nicht einmal die Mühe, seine Unterschrift in den sozialen Medien zu verkünden.
Am Anfang seiner Zeit in Villarreal deutete nichts darauf hin, dass es mit dem Durchbruch überhaupt klappen sollte. Während einer Leihe zum Zweitligisten Mirandes erzielte er in 16 Ligaspielen nur ein Tor. Für das A-Team Villarreals kam er überhaupt nicht in Frage - und deswegen musste er in der zweiten Mannschaft ran. Und dort gelang ihm nach seiner Rückkehr aus Mirandes die Wende: Mit fünf Toren und sieben Vorlagen trug er entscheidend dazu bei, dass die Villarreal-Reserve in die Segunda Division aufstieg.
Schon in der Saison 2021/22 erhielt er einige Kurzeinsätze in der ersten Mannschaft und feierte dann sein Startelf-Debüt in der Copa del Rey. Auf einmal wurden die Fans und die anderen Vereine Nicholas Jackson aufmerksam.
Nicolas Jackson: Haaland-ähnliche Torquote am Saisonende
Die ersten Einsätze hatte Jackson schon in der Saison 2021/22, doch erst in der abgelaufenen Spielzeit zeigte er, was wirklich in ihm steckt. Schon am ersten Spieltag erzielte er am zweiten Pfosten nach einer flachen Hereingabe von Yeremi Pino sein erstes Profi-Tor.
Ein furioser Start - aber danach ging es erst einmal nicht so weiter. Bis zur Winterpause und der WM 2022 in Katar, für die er nominiert wurde, traf er nur ein weiteres Mal. An Silvester verletzte er sich dann schwer an der Hüfte und fiel zwei Monate lang aus. Diese Auszeit erwies sich rückblickend für ihn jedoch als Segen.
Als Jackson wieder auf dem Platz stand, machte er keine halben Sachen mehr. Anfang April kam er für die letzten 28 Minuten des Spiels gegen Real Sociedad (2:0) auf den Platz und traf zum Endstand - holte sich danach aber auch noch zwei völlig unnötige Gelbe Karten ab und flog in der Nachspielzeit vom Platz. Im kommenden Spiel bei Real Madrid war er also gesperrt und verpasste damit die große Chance, es auf einer noch größeren Bühne allen zu zeigen.
In seinen letzten acht LaLiga-Spielen für Villarreal erzielte er aber dann neun Tore und verhalf dem 'Gelben U-Boot' bis auf den fünften Platz in der LaLiga-Tabelle. In wettbewerbsübergreifend 38 Spielen kam er so letztlich in der abgelaufenen Saison auf 13 Tore und fünf Vorlagen.
Nicolas Jackson: Seine großen Stärken
Jackson hat einiges zu bieten. Seine Abschlussstärke ist wohl die offensichtlichste Stärke, auch wenn er erst zum Saisonende 2022/23 richtig auftrumpfte.
Doch seine persönliche Bilanz im Vergleich zu anderen Talenten ist überragend. In der abgelaufenen Spielzeit gab es keinen anderen Stürmer, der 21 oder jünger war, der in den Top-fünf-Ligen ohne Elfmeter auf eine solche Torquote pro Minute wie Jackson kam. Da konnten nicht einmal Dortmunds Youssoufa Moukoko, Bayerns Jamal Musiala oder Brightons Evan Ferguson mithalten.
Der Senegalese beeindruckt vor allem mit seiner Fähigkeit, gleich mit dem ersten Kontakt im Sechzehner abzuschließen. Durch seine Schnelligkeit kann er sich hervorragend Platz zwischen den Verteidigern verschaffen, den er dann für seine Abschlüsse nutzt.
Doch der 22-Jährige ist auch flexibel. Den Ball kann er sich auch tief im Mittelfeld holen und dann einige Meter mit der Kugel machen. In der vergangenen Saison kam er im Schnitt auf 2,75 Läufe, bei denen er den Ball in Richtung des gegnerischen Tores brachte - mehr als Mason Mount oder Marcus Rashford.
Jackson hat in der vergangenen Saison 62,2 Prozent seiner Dribblings erfolgreich abgeschlossen, nur fünf Mittelstürmer in den Top-fünf-Ligen Europas waren in dieser Hinsicht besser.
Das alles spricht für seine fußballerische Intelligenz. Jackson weiß, wann er sich zurückfallen lassen muss und wann er die Abwehr mit seinen Dribblings überrennen kann. Das sind sehr vielversprechende Qualitäten für einen jungen Spieler.
Nicolas Jackson: Hier kann er sich noch verbessern
Zum Grübeln regen jedoch einige Defizite an. Bei Villarreal hatte er Probleme, wenn er der zentrale Ball-Festmacher im Sturmzentrum sein sollte. Denn er hat Schwierigkeiten, die Kugel gegen eng deckende Gegenspieler zu behaupten. Gerade erfahrene Spieler könnten es ihm in der Premier League in dieser Hinsicht noch schwerer machen.
Auch in der Luft gewannen seine Gegenspieler die Zweikämpfe gegen ihn vielfach ohne Mühe. Jackson setzte sich nur in 28,8 Prozent der Kopfballduelle durch.
Im Defensivverhalten kann der 22-Jährige ebenfalls noch einiges dazulernen. Sein Wille und sein Einsatz sind zwar da, aber er gewann in der vergangenen Saison nur zweimal die Kugel für sein Team zurück - dafür blockte er aber einige Bälle. Im Spiel gegen den Ball kann sich Jackson zweifelsohne verbessern. Hier wird sein neuer Trainer Mauricio Pochettino gefragt sein, mit ihm zu arbeiten.
Nicolas Jackson: Vergleiche zu Neymar und Sadio Mané hinken
Es ist nicht besonders einfallsreich, aber Jackson wurde schon als "der senegalesische Neymar" bezeichnet. Man kann nachvollziehen, warum seine Spielweise manche Leute an den PSG-Zauberer denken ließ. Beide sind tolle Dribbler, die das Publikum mit ihren Tricks begeistern wollen. Neymar und Jackson wissen aber auch, wo das Tor steht, und können die Vorarbeit ihrer Teamkollegen gut nutzen.
Auch Sadio Mané wurde schon mit Jackson verglichen. Fairerweise muss man sagen, dass die beiden Spieler mehr gemeinsam haben als nur die Nationalität. Tatsächlich gab es sogar einige leise Rufe nach Jackson als Ersatz für Mané, als der Bayern-Spieler verletzt für die WM ausfiel..
Wenn Jackson seine Entwicklung bei Chelsea fortsetzt, könnte er eines Tages in seinem Heimatland genauso verehrt werden wie der Ex-Liverpooler Mané.
Nicolas Jackson: Wie geht es weiter?
Während Jacksons Torflaute im September 2022 prophezeite ihm der damalige Villarreal-Trainer Unai Emery, dass das Formtief schnell vorbeigehen wird: "Er ist gerade dabei, sich zu entwickeln. Manchmal müssen Spieler woanders hingehen, um besser zu werden, aber wir setzen auf ihn, weil er unserem Spiel sehr viel gibt", sagte der 51-Jährige. "Er muss Erfahrung vor dem Tor sammeln, das ist ein Lernprozess. Wir müssen junge Spieler entwickeln und wir wollen auf sie setzen."
Emery sollte Recht behalten - ging aber selbst im Oktober 2022 zu Aston Villa. Sein Nachfolger Quique Setien war letztlich für den Durchbruch Jacksons mitverantwortlich. Schon kurz vor dem Saisonende ahnte er, dass der Senegalese aufgrund seiner rasanten Entwicklung bald gehen könnte.
"Wir kannten bereits sein Potenzial. Er war zweieinhalb Monate lang verletzt und konnte sich nicht beweisen. Aber jetzt hat er acht Tore in sieben Spielen erzielt, dazu noch zwei Vorlagen. Er wird die Saison spektakulär beenden. Das Traurige für uns ist, dass wahrscheinlich jemand kommt und für ihn nun das Doppelte bietet."
Wenige Wochen später erschien tatsächlich der FC Chelsea auf der Bildfläche und bot wohl sogar noch mehr, als Setien gedacht hatte. In der Premier League wird der 22-Jährige nun Teil eines bereits übervollen Chelsea-Kaders sein. Doch wenn es für ihn gut läuft, könnte er sofort Stammspieler bei den Blues werden. Kai Havertz ist weg, Armando Broja erholt sich noch von seinem Kreuzbandriss und Romelu Lukaku ist wahrscheinlich schon wieder auf dem Absprung: In der Angriffszentrale könnte Nicolas Jackson sofort die beste Chelsea-Option sein.
Bei seiner Abschlussstärke sollte man sich in ein paar Monaten nicht wundern, wenn sich Nicolas Jackson letztlich doch als ein kluger Transfer des FC Chelsea entpuppt.