"Nach sieben Jahren, in denen wir sechsmal die Premier League gewonnen haben, hat es dieses Jahr vielleicht ein anderes Team verdient", sagte Pep Guardiola der BBC. Es sind Töne des Katalanen, die man zu einem derart frühen Zeitpunkt in der Saison nicht erwarten würde.
Nach elf Spieltagen steht Manchester City immerhin auf dem zweiten Tabellenplatz. Fünf Punkte trennen sie zum FC Liverpool. Auf den ersten Blick keine dramatische Situation. Auch keine, die man nicht schon erlebt hätte. 2023 holte das Guardiola-Team einen Acht-Punkte-Rückstand gegen den FC Arsenal auf.
Und doch scheint sich die Krise von Manchester City zumindest für Guardiola diesmal anders anzufühlen. Am Wochenende kassierte City bei Brighton die vierte Niederlage in Serie: 1:2 gegen die Spurs, 1:2 gegen Bournemouth, 1:4 gegen Sporting und eben das 1:2 gegen die Mannschaft von Fabian Hürzeler. Für den 53-Jährigen ist das eine historische Krise.
Erst einmal musste er vier Niederlagen in Serie in Pflichtspielen hinnehmen: In der Saison 2014/15 verlor er mit dem FC Bayern im Halbfinale des DFB-Pokals gegen Borussia Dortmund im Elfmeterschießen, es folgten zwei Niederlagen in der Bundesliga (0:2 in Leverkusen, 0:1 gegen Augsburg) und dazwischen das 0:3 in der Champions League beim FC Barcelona. Vier aufeinanderfolgende Niederlagen nach 90 Minuten erlebte er noch nie.
"Wir sind in Schwierigkeiten", gab er schon nach dem Aus im League Cup gegen Tottenham zu. "Wir wussten von Beginn an, es würde eine schwere Saison werden", erklärte er nach dem 1:4 in der Champions League gegen Sporting. Doch was ist los mit dem Champions-League-Sieger von 2023?
Manchester City: Zahlreiche Ausfälle zerstören den Rhythmus
Ein großer Teil der Wahrheit ist, dass Manchester City eine Welle an Ausfällen hatte und hat, die es so vermutlich in den letzten Jahren nie gab. "Wir haben 13 Spieler", sagte er nach dem Tottenham-Spiel: "Wir hatten diese Situation noch nie in den neun Jahren, viele Verletzungen aus vielen Gründen."
Rodri ist der bekannteste Fall. Der Weltfußballer zog sich einen Kreuzbandriss zu, wird den Rest der Saison verpassen. Hinzu kamen mindestens zeitweise Ausfälle von Kevin De Bruyne, Kyle Walker, Jérémy Doku, Jack Graelish, Rúben Dias oder John Stones.
Junge Spieler wie Rico Lewis müssen seitdem fast jedes Spiel absolvieren. Die Belastung für den restlichen Kader steigt mit jeder Verletzung. Und das führt zu sportlichen Problemen, die nahezu unvermeidbar sind.
Manchester City: Ist mehr aktuell nicht möglich?
Guardiolas Fußball steht für die totale Dominanz, für Kontrolle und Präzision. Das Paradoxe an der Situation ist, dass sein Team nicht schlecht spielt. "Wenn wir schlecht spielen, bin ich der Erste, der sagt: 'Oh, oh, das mag ich nicht.'", so der Trainer jüngst: "Aber ich habe dieses Gefühl nicht."
City schien gegen Tottenham alles unter Kontrolle zu haben, schaffte es aber nicht, in der Offensive den notwendigen Punch auf den Platz zu bekommen. Selbst in der Champions League sah es bei der hohen Niederlage gegen Sporting zunächst so aus, als würde man den Trend umdrehen können.
Das Kernproblem ist aber, dass das Team die für die Dominanz notwendige Konzentration und Präzision nicht über 90 Minuten durchziehen kann. Einzelne Spieler wirken nicht frisch, können auch gar nicht frisch sein. Außerdem fehlt die enorme Qualität, die Achsenspieler wie Rodri oder De Bruyne normalerweise mitbringen. Qualität, die auch schwere Spiele in die eigenen Bahnen lenken kann.
Auch ein Klub, der Milliarden an Euro in den Kader investiert hat, ist nicht gefeit davor, dass Personalausfälle das gesamte Gebilde ins Wanken bringen.
Pep Guardiola: Seine Kader-Philosophie wird aktuell zum Nachteil
Was aber auch an der grundsätzlichen Kaderpolitik Guardiolas liegt. Denn eine große Parallele gibt es zur Saison 2014/15 mit dem FC Bayern, als er zuletzt vier Pflichtspiele in Serie verlor: Die Ausfälle und die Anzahl unfitter Spieler. Damals schleppten sich die Münchner durch die gesamte Rückrunde, mussten auf Schlüsselspieler in allen Mannschaftsteilen verzichten. In der entscheidenden Saisonphase wirkte das Team dann unfit.
Diskutiert wurden damals verschiedene Aspekte wie Belastungssteuerung, aber eben auch ein vermeintlich zu dünner Kader. Nun ist die Bezeichnung "dünn" in Bezug auf einen Kader immer recht subjektiv - und vor allem auch narrativgesteuert. In der vergangenen Saison absolvierten 17 Feldspieler mehr als 1.000 Minuten für die Skyblues. Darunter mit Lewis bereits ein Jugendspieler.
Zum Vergleich: Der FC Liverpool setzte trotz weniger Pflichtspiele insgesamt 20 Feldspieler in der vergangenen Saison ein, die mehr als 1.000 Minuten sammelten. Guardiola ist auf der ständigen Suche nach der perfekten Schnittstelle zwischen Rhythmus, Belastungssteuerung und Harmonie in der Kabine.
Mit Blick auf den immensen Erfolg, den er mit City hatte und hat, gibt es gute Argumente für seine Herangehensweise. In einer Ausnahmesituation wie der aktuellen kommt der Kader aber schnell an seine Grenzen.
Kevin De Bruyne und Co.: Ist Manchester City längst über dem Peak?
Kritik muss sich City in der Kaderplanung aber nicht nur deshalb gefallen lassen. Auch im Mittelfeld gibt es das eine oder andere größere Fragezeichen. Beispielsweise hinter der Rückkehr von Ilkay Gündogan, der seine besten Tage hinter sich hat und trotzdem oft von Anfang an ranmuss. Oder hinter De Bruyne, der mit 33 Jahren nicht nur immer anfälliger für Verletzungen zu sein scheint, sondern auch ein wenig an Qualität einzubüßen scheint.
Guardiola versuchte genau das mit einem abstrakten Beispiel zu erklären: "Wenn man etwas an einem Auto ersetzen muss, ist es nicht mehr dasselbe Auto. Da ist irgendetwas, das ein bisschen schlechter ist. Es ist nicht dasselbe, wenn du ein neues Auto kaufst. Es ist normal. Es ist Teil der Entscheidungen, die du treffen musst, wenn du über die Auswahl (der Spieler), die Zukunft des Teams und den Kader nachdenkst."
Es gebe Spieler, die älter sind und es sei normal, dass das passiere. Es gibt wohl kaum Zweifel daran, dass De Bruyne auch in dieser Saison wieder in der Lage sein wird, der Mannschaft zu helfen. Aber für wie lange? In der vergangenen Saison absolvierte er nur 26 Partien, kam immerhin auf sechs Tore und 18 Assists. Immer noch Weltklasse-Werte.
Und doch scheint sich bei Manchester City das Gefühl breit zu machen, dass man sich nach dem Leistungspeak der vergangenen zwei Jahre eher auf dem absteigenden Ast befindet.
Historische Krise für Guardiola: Was er aus dem Jahr 2015 lernen kann
Die Personalsituation hat sich in den vergangenen Tagen allein durch die Rückkehr des Belgiers wieder etwas entspannt. Doch einfacher wird es damit für Guardiola und Co. nicht. Nach der Länderspielpause geht es in der Liga erst gegen Tottenham und dann zum Auswärtsspiel gegen den FC Liverpool. Dazwischen steht das wichtige Heimspiel gegen Feyenoord in der Champions League auf dem Programm.
Ein letzter Blick auf das Jahr 2015 könnte vielleicht auch eine kleine Lösung für das anstehende Topspiel gegen Liverpool bieten: Damals traf man im April in einem wichtigen Bundesliga-Spiel auswärts auf den BVB. Guardiola tat, was eigentlich gegen seine Philosophie spricht: Er stellte die Bayern in einem 5-3-2 extrem defensiv auf.
Sechs gelernte Verteidiger standen auf dem Platz (Philipp Lahm spielte im Mittelfeld), dazu mit Bastian Schweinsteiger und Xabi Alonso zwei defensive Mittelfeldspieler. Vorn stürmten Robert Lewandowski und Thomas Müller. Die Bayern ermauerten und erkonterten sich ein schmutziges 1:0. Vielleicht muss Guardiola ja auch im Jahr 2024 seine Grundüberzeugungen für einen Moment bei Seite legen, um dann neuen Anlauf nehmen zu können.
Guardiola: "Die Ära wird mit Sicherheit zu Ende gehen"
So resignativ er derzeit zwischen den Zeilen wirkt, so klar ist aber auch jedem, der seine Karriere verfolgt hat, dass er nicht aufgeben wird. "Ich mag es. Ich liebe es. Ich will dem gegenübertreten und meine Spieler anstacheln", sagte er fast schon gewohnt verbissen und trotzig nach der Partie gegen Sporting.
City jetzt schon abzuschreiben, wäre naiv. Vor dem Hintergrund, dass Guardiolas Vertrag am Ende der Saison ausläuft und es auch für ihn schwer werden könnte, diese Krise mit großem Energieaufwand abermals umzudrehen, ist die jetzige Phase aber mindestens spannend.
Und wer weiß? Vielleicht ist die etwas trotzige Andeutung, dass es in dieser Saison jemand anderes verdient haben könnte, die Premier League zu gewinnen, diesmal gar nicht das für ihn typische Geraune in einer komplizierten Situation. "Die Ära wird mit Sicherheit zu Ende gehen. Sie ist nicht unendlich", erklärte Guardiola: "Und wenn das Ende der Ära kommt, dann wird es kommen." Die Frage nach dem Wann wird die aktuelle Saison noch eine Weile begleiten.