AC Milan: Der schwierige Epochenwechsel

Von Adrian Bohrdt
Gennaro Gattuso, Gianluca Zambrotta und Alessandro Nesta nach dem letzten Spiel für den AC Milan
© Getty

Nach dem Abgang seiner Senatoren konnte Milan wenigstens den Verlust von 42-Millionen-Euro-Mann Thiago Silva verhindern. Dabei bräuchten die Rossoneri dringend frisches Geld, um den Kader zu verstärken. Löst ein Scheich alle Probleme?

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"Marco van Basten erhielt damals ein Angebot von Barcelona, doch wir konnten ihn mühelos halten. Heute wäre das unmöglich." Treffender als Milans Geschäftsführer Adriano Galliani Anfang dieses Jahres kann man die Situation bei den Rossoneri nicht beschreiben.

Obwohl man mit der Titelverteidigung in der Serie A nur um vier Punkte am in der abgelaufenen Saison unbesiegten Juventus Turin scheiterte, steht der AC Milan vor einem großen Umbruch. Einige Änderungen sind bewusst herbeigeführt - andere aus finanziellen Gründen unumgänglich.

Abgang der Altmeister

In jedem Falle steht der Verein vor einer radikalen Verjüngungskur. "Bei Milan geht eine Epoche zu Ende", schrieb die "Gazzetta dello Sport" vor einigen Wochen, gemeint ist der Abgang zahlreicher Routiniers, der "Senatoren".

"Der Rhythmus bei Milan ist mit Champions League, Meisterschaft und Pokalspielen zu intensiv", begründete beispielsweise Alessandro Nesta seinen Abgang. Eine angebotene Vertragsverlängerung lehnte der Verteidiger ab. "Die heutigen Topstürmer laufen für mich zu viel und zu schnell", so die traurig anmutende Einschätzung des 36-Jährigen, der seine Karriere wohl in den USA ausklingen lassen wird.

Auch Gennaro Gattuso hat seinen Abschied im Mai bekanntgegeben: "Ich werde ein Jahr Pause machen. Nächstes Jahr werden wir dann weitersehen. Die Zeit ist gekommen, um anderen Spielern Raum zu schaffen." Der 34-Jährige hatte sich im ersten Saisonspiel einen Sehnerv eingeklemmt, feierte erst im April sein Comeback. Aus der angestrebten Pause wird nichts, Gattuso wird seine Karriere beim FC Sion fortsetzen.

Immerhin 25 Ligaspiele, davon 22 in der Startelf, sowie sechs Spiele in der Champions League absolvierte Mark van Bommel in der abgelaufenen Saison für Milan. Für den Niederländer geht es zurück in die Heimat zum PSV Eindhoven. "Das ist das Leben, an einem gewissen Punkt muss man weggehen", so der 35-Jährige.

Diesen Punkt haben scheinbar auch Gianluca Zambrotta und Clarence Seedorf erreicht. Während es den 36-jährigen Seedorf wohl nach Brasilien zu Botafogo zieht, will sich Zambrotta erst einmal um seine Familie kümmern: Im August wird der Weltmeister von 2006 Vater.

Milan verliert Erfahrung von 1200 Spielen

Und dann wäre da noch Filippo Inzaghi. Der 38-Jährige, der in 299 Pflichtspielen für Milan 125 Tore erzielte, wird den Verein wohl ebenfalls verlassen, will sich aber eine Option offenhalten. "Vielleicht mache ich es so wie Thierry Henry, spiele in Amerika und wenn sie mich brauchen, komme ich für ein paar Monate zurück."

Eine erfolgreiche Milan-Epoche geht zu Ende. Immerhin verliert der Verein die Erfahrung von über 1200 Milan-Partien. Da kommt es den Fans der Rossoneri sehr gelegen, dass AC-Patron Silvio Berlusconi sein Versprechen wahrgemacht hat, Zlatan Ibrahimovic und Thiago Silva zu halten, koste es was es wolle.

42 Millionen Euro bot Paris Saint-Germain für Thiago Silva, einen der derzeit besten Innenverteidiger der Welt. Galliani flog mehrfach nach Paris, um den Deal perfekt zu machen. Doch Berlusconi sagte "No".

Milan spart 50 Millionen Gehalt

Während Tochter Barbara, Mitglied im Aufsichtsrat, schwärmte, der Papa habe das alles nur für die Fans getan, reagierte Galliani mit kritischem Unterton: "Das war eine Entscheidung des Herzens, nicht des Verstandes."

Bei den Anhängern zeigte Berlusconis Machtwort Wirkung. Die Ultras verzichteten auf eine geplante Protestaktion. Auch die Spieler können aufatmen. "Ich hoffe, dass Thiago Silva nicht geht. Den besten Verteidiger der Welt zu verlieren wäre hart", hatte Kevin-Prince Boateng kurz vor dem geplatzten Transfer noch getwittert.

Sportlich ist Thiago Silvas Verbleib überlebenswichtig für Milan. Für die Innenverteidigung stehen sonst nur der 36-jährige Yepes, Daniele Bonera und Philippe Mexes zur Verfügung.

Finanziell dagegen wäre ein Verkauf von Thiago Silva ebenso überlebenswichtig gewesen. Zwar spart Milan durch die Abgänge von Seedorf und Co. etwa 50 Millionen Euro an Brutto-Gehaltskosten. Doch dem nach wie vor hochverschuldeten Klub fehlt frisches Geld, um den Kader zu verstärken.

Es ist eine verzwickte Situation für die Rossoneri, die Milan-Legende Paolo Maldini bei "Sky Sport Italia" auf den Punkt brachte: "Wenn man etwas gewinnen will, geht es nicht ohne Thiago Silva und Ibrahimovic. Wenn es das Ziel ist, die Bilanzen auszugleichen und eine ordentliche Saison zu spielen, kann man einen der beiden opfern."

Die Lösung: Scheich al-Maktoum?

Um den Haushalt einigermaßen zu konsolidieren, gab Milan in den letzten Jahren immer wieder Stars für viel Geld ab. 2006 wurde Andreij Schewtschenko für 46 Millionen Euro an Chelsea verkauft, 2009 durfte Kaka für 65 Millionen Euro zu Real Madrid und 2011 wechselte Andrea Pirlo ablösefrei zu Juventus Turin, weil Milan ihm keinen hochdotierten Vertrag mehr anbieten wollte. Drei Tore und 14 Assists steuerte Pirlo in der abgelaufenen Saison zur Turiner Meisterschaft bei, stand in 37 Spielen in der Startelf.

Die finanzielle Rettung könnte jetzt von Scheich al-Maktoum aus Dubai kommen, der gerne 25 Prozent der Klubanteile erwerben würde. Al-Maktoum ist Vorsitzender von Emirates Airlines, dem Trikotsponsor von Milan.

Sein Onkel, der das Geld seinem Neffen wohl zur Verfügung stellen würde, ist Premierminister, Verteidigungsminister und Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate und war bereits 2007 an einer Übernahme des FC Liverpool interessiert - damals erhielten die Amerikaner George Gillett und Tom Hicks den Zuschlag.

Geld spielt für die schätzungsweise 70 Milliarden schwere Scheich-Familie keine Rolle, und so soll quasi als Einstandsgeschenk Cristiano Ronaldo für 200 Millionen Euro verpflichtet werden. Milan selbst könnte die Finanzspritze gut vertragen. Ein Defizit von 80 Millionen Euro wurde im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftet, die Gesamtschulden des Klubs belaufen sich auf rund 350 Millionen Euro.

Montolivo soll Führungsrolle einnehmen

Der mögliche Einstieg des Scheichs ist allerdings noch in weiter Ferne. Noch sollen keine Gespräche zwischen al-Maktoum und Berlusconi stattgefunden haben und es erscheint auch mehr als fraglich, ob Berlusconi tatsächlich gewillt ist, Macht in "seinem" Verein abzugeben.

So aber sind Milan die Hände gebunden. "Wir müssen die Gehaltskosten in der nächsten Zukunft drastisch senken. Große Einkäufe sind deshalb erst einmal utopisch", beschreibt Galliani die Situation.

Bisher sind zwei Transfers für die neue Saison unter Dach und Fach, Ersatzleute für die scheidenden Mittelfeld-Stars: Aus Florenz kommt Riccardo Montolivo, dem in 257 Spielen für den AC 19 Tore und 24 Vorlagen gelangen. Der 27-Jährige ist ablösefrei, hat bis 2016 unterschrieben.

"Montolivo wird in der nächsten Saison für uns spielen, er verfügt über eine ausgezeichnete Technik. Und er wird bei uns eine Führungsrolle einnehmen", freut sich Trainer Massimiliano Allegri bereits auf seinen neuen Spieler. Vom AS Nancy kommt Bakaye Traore. Auch der Mann aus Mali kostet Milan keine Ablöse.

Maldini kritisiert Milans Jugend-Politik

Außerdem soll Alberto Aquilani jetzt doch nach Mailand wechseln. Der Mittelfeldspieler war vom FC Liverpool ausgeliehen, Milan zog allerdings die Kaufoption nicht. Die Italiener sollen an einer weiteren Leihe interessiert sein, Liverpool will den 27-Jährigen aber lieber verkaufen. Jetzt soll, das meldet die "Corriere dello Sport", Aquilani gewillt sein, sich aus seinem Vertrag bei den Reds raus zu kaufen, womit er ablösefrei nach Mailand wechseln könnte.

Ansonsten wollen die Rossoneri verstärkt auf die Jugend setzen, auch wenn Paolo Maldini seinen Ex-Verein auf diesem Gebiet harsch kritisiert: "Was der Verein zuletzt für die eigene Jugend investierte, gleicht einer Farce."

Mit Rechtsverteidiger Mattia De Sciglio (19), Stürmer Stephan El Shaarawy (19), und den zentralen Mittelfeldspielern Mattia Valoti (18) und Rodney Strasser (22) verfügt Milan über einige junge Talente, auf die Allegri jetzt verstärkt setzen will. Außerdem hofft der Trainer auf den häufig verletzten Pato: "Nächste Saison muss sein Jahr werden."

Milan steht vor der schwierigen Aufgabe, Financial Fair Play, seine Schulden und die eigenen sportlichen Ansprüche unter einen Hut zu bekommen. Ein stärkeres Fokussieren auf die eigene Jugend könnte dabei in jedem Falle eine gute Option sein.

Der Kader des AC Milan in der Übersicht

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