Sergio Reguilon bei Real Madrid: 2018 in der Fankurve, 2019 in der Startelf

Sergio Reguilon sorgt bei Real Madrid für Furore.
© getty

Er wartete sehnsüchtig auf dem Parkplatz der Profis, um Fotos mit Cristiano Ronaldo und Sergio Ramos zu knipsen. Er kaufte sich Bücher über seinen Lieblingsspieler Gareth Bale. Bis vor einem Jahr stand er sogar noch in der Fankurve des Estadio Santiago Bernabeu. Heute ist Sergio Reguilon mehr als nur ein Bestandteil des Starensembles von Real Madrid. Er ist mitverantwortlich für die Degradierung eines der besten Linksverteidigers der Vereinsgeschichte.

Cookie-Einstellungen

SPOX und Goal blicken vor dem Achtelfinalrückspiel in der Champions League gegen Ajax Amsterdam (21 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) auf den rasanten Aufstieg eines Burschen, der das Erbe von Marcelo beansprucht.

Für Zimperlichkeiten war Sergio Reguilon am Samstagabend nicht zu haben. "Fass mich nicht an", sagte er mit erhobenem Zeigefinger zu Luis Suarez, nachdem der Stürmer des FC Barcelona ihm nach einem ruppigen Zweikampf hämisch die Schulter getätschelt und mit mehreren Handbewegungen aufgefordert hatte, wie bereits drei Abende zuvor nach dem Aus in der Copa del Rey zu weinen.

"Lass es! Du bist hässlich, wirklich hässlich", ätzte Reguilon weiter gegen Suarez. Als sich Lionel Messi einmischte, fragte Reguilon: "Was juckt dich denn jetzt, Floh?" Messi reagierte erbost, bis Raphael Varane dazwischenging und den Kleinbrand nahe der linken Abwehrseite von Real Madrid schnell löschte.

Es waren im Grunde genommen die ganz normalen Clasico-Sticheleien, die die Kameras von Movistar Partidazo da einfingen. Reguilon wirkte so, als wäre er schon jahrelang mit von der Partie. Ein Clasico-Kenner. Nicht nur aufgrund seiner verbalen Äußerungen. Was der Mann mit der Nummer 23 sportlich anbot, zeugte ebenfalls von Widerstandsfähigkeit.

Reguilon: Reals Clasico-Lichtblick und Bale-Fan

Er dribbelte, flankte, grätschte. Nicht immer von Erfolg gekrönt. Aber mit Herzblut und Leidenschaft. Furchtlos und frech. Anders als die meisten seiner Kollegen. Reguilon bildete beim trostlosen 0:1, dem endgültigen K.o. Reals in der spanischen Meisterschaft, neben Vinicius Junior so etwas wie den Lichtblick einer enttäuschenden Ansammlung von satten Stars. "Eine Oase inmitten des Chaos", wie die AS befand. "Der Beste", wie die Marca schwärmte.

Dabei hatte Reguilon, 22, am Samstagabend tatsächlich erst sein Clasico-Debüt in der Primera Division gefeiert. Es ist noch nicht allzu lange her, da harrte er noch am Parkplatz des Trainingsgeländes der Profis in Valdebebas aus, um sich mit Sergio Ramos, Cristiano Ronaldo und Gareth Bale abzulichten.

Bale, allen voran der Bale von Tottenham Hotspur, der die linke Außenbahn wie eine Aufziehfigur auf- und abrannte, war sein großes Idol. Er kaufte sich sogar zwei Bücher über den Waliser. "Je t'aime", "Ich liebe Dich", ist unter einem Foto von Bale im Spurs-Dress zu lesen, das Reguilon 2013 auf Twitter postete.

Jugendspieler und Fan: Sergio Reguilon mit den Superstars Cristiano Ronaldo und Gareth Bale.
© Twitter/sergio_regui
Jugendspieler und Fan: Sergio Reguilon mit den Superstars Cristiano Ronaldo und Gareth Bale.

Erst Lopetegui, dann Solari: Real-Trainer fördern Reguilon

Fünf Jahre später stand Reguilon noch immer als Fan auf den Rängen des Estadio Santiago Bernabeu und peitschte die Mannschaft in Weiß im Champions-League-Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain nach vorne. Er war einer von über 80.000, nicht einer von elf. Gegen Barca spielte er nur auf der PlayStation. Seine Realität hieß Segunda Division B.

In der dritthöchsten spanischen Spielklasse kickte er mit der Castilla, der Zweitvertretung der Königlichen, zumeist vor knapp 1000 Zuschauern im Umland von Madrid. Er galt zu jenem Zeitpunkt bereits als zuverlässiger Spieler, die Erstligatauglichkeit sprachen sie ihm aber ab - bis Julen Lopetegui im vergangenen Sommer den abgetretenen Zinedine Zidane als Cheftrainer der Profis ersetzte.

Lopetegui, der als früherer Jugendleiter des Klubs einen besonderen Blick für ungeschliffene Rohdiamanten hatte, berief Reguilon Anfang Juli überraschend in den Kader für die Vorbereitung auf die neue Saison. Noch überraschender entschied sich Lopetegui dann Ende August, den unbekannten Neuling als Backup für den brasilianischen Linksverteidiger Marcelo fest in sein Team aufzunehmen - und dafür den im Jahr zuvor für 30 Millionen Euro vom Stadtrivalen Atletico verpflichteten Theo Hernandez zu opfern.

Der bis dato noch nicht einmal für eine spanische U-Nationalmannschaft nominierte Reguilon habe ihn im Training und in den Testspielen mehr überzeugt als Hernandez, rechtfertigte Lopetegui seinen Entschluss. Bei ihm zähle das Leistungsprinzip. Hernandez wurde letztlich an Real Sociedad verliehen. Ein Statement, das die Verantwortlichen um Präsident Florentino Perez dem Vernehmen nach durchaus stutzig machte, sich rückblickend aber auszahlte.

Vom Fan zum Spieler: Sergio Reguilon posiert mit einem Real-Schal im Bernabeu.
© getty
Vom Fan zum Spieler: Sergio Reguilon posiert mit einem Real-Schal im Bernabeu.

Reguilon: Ein anderer Weg als Carvajal

Unter Lopeteguis Nachfolger Santiago Solari, seinem ehemaligen Castilla-Coach, ist Reguilon inzwischen sogar mehr als nur ein Backup für Marcelo. Er hat den in wie abseits der Umkleidekabine beliebten, aber seit Monaten formschwachen und angeblich mit einem Wechsel zu Juventus Turin liebäugelnden Vizekapitän auf die Ersatzbank verdrängt.

Abgesehen vom Hinspiel im Pokal-Halbfinale gegen Barca stand der Spanier seit Jahresbeginn bisher in allen wichtigen Partien in Solaris Startelf. In erster Linie, weil er solider verteidigt als der von Natur aus offensiver ausgerichtete Marcelo, jedoch trotzdem kluge Pässe in die Tiefe zu verspielen mag. "Es fühlt sich wie ein Traum an", wurde der Shootingstar zuletzt auf Reals Website zitiert, "ich bin der glücklichste Mensch der Welt". Der Klub habe ihm gelehrt, dass es sich auszahle,"hart für seine Ziele zu arbeiten".

Harte Arbeit hin oder her: Der Fall Reguilon sucht beim Weltklub aus der spanischen Hauptstadt bislang seinesgleichen. Wie beispielsweise Dani Carvajal wuchs er zwar auch in mittelständischen Verhältnissen in einem Vorort Madrids (Collado Villalba) auf und durchlief von seinem achten Lebensjahr an alle Jugendteams, den Sprung zu den Profis nahm er aber weitaus ungewöhnlicher als der Rechtsverteidiger. Carvajal nutzte die Bundesliga, nutzte Bayer Leverkusen als Sprungbrett, während Reguilon als 19-Jähriger noch in der Versenkung zu verschwinden drohte.

Reguilon drohte in der Versenkung zu verschwinden

Real parkte ihn damals für zwei Spielzeiten bei UD Logrones, einem Drittligisten aus La Rijoa, einer Provinz im Norden Spaniens. Dort kam er allerdings nicht nur auf der linken Abwehrseite, sondern auf der linken und rechten Außenbahn zum Einsatz.

Er schien sich wie sein Vorbild Bale zu einem Offensivspieler zu transformieren, entwickelte sogar Torjägerqualitäten. In einem Spiel gegen die Reserve von Athletic Bilbao erzielte Reguilon einen Viererpack. 2017 zurück bei Real, orientierte er sich auf Geheiß von Solari aber wieder nach hinten.

"Er brachte damals schon eine beeindruckende Physis mit. Wir waren von Anfang an von seiner Laufbereitschaft überrascht", erinnerte sich einer seiner damaligen Mitspieler bei Logrones, Jaime Paredes, zuletzt in einem Interview mit der Marca zurück.

Reguilon: Vom Einfaltspinsel zum Marcelo-Erben?

Dass Reguilon eines Tages Marcelos Erbe beanspruchen würde, hätte allerdings auch Paredes niemals vorausgesehen. "Wir haben oft über Regui gelacht, weil er ein kleiner Einfaltspinsel war, der hin und wieder seltsame Fragen gestellt hat. Heute hat er den besten Linksverteidiger der Welt verdrängt und schickt uns Fußballschuhe und Eintrittskarten für die Champions League zu. Unglaublich."

Fragt sich nur, ob Reguilons Höhenflug auch über die Saison hinaus anhält. Bleibt der vierte Champions-League-Triumph in Serie aus, ist ein personeller Umbruch an der Concha Espina kaum vermeidbar. Schon jetzt kursieren Gerüchte um Solaris Entlassung und mögliche Nachfolger für den argentinischen Trainer. Die Chancen, dass Reguilon auch ohne seinen Förderer Beachtung im Bernabeu findet, sind trotzdem groß. Zum einen könnte sein Konkurrent Marcelo seinem Freund Ronaldo nach Turin folgen, zum anderen würde Real-Boss Perez wohl eher in seine stotternde Offensive investieren als in einen neuen Linksverteidiger von Weltklasse-Format.

Viele Madridistas würden es begrüßen. Reguilon ist technisch nicht ansatzweise so beschlagen wie Marcelo, sammelt mit seiner Laufbereitschaft und Energie jedoch große Pluspunkte im Bernabeu. Nach dem Clasico am Samstagabend war er einer der wenigen Real-Spieler, die mit aufmunterndem Applaus statt gellenden Pfiffen verabschiedet wurden. Und zwar nicht nur, weil er den verhassten Suarez und Messi verbal die Stirn geboten hatte.

Die Leistungsdaten von Sergio Reguilon in der Primera Division

KategorieWert
Einsatzminuten852
Torbeteiligungen2
Kreierte Chancen15
Klärende Aktionen20
Spiele ohne Gegentor4 von 11
Zweikampfquote55,6 %
Passquote86,5 %
Artikel und Videos zum Thema