Der Terrorakt

Eigentlich wollten sie nur nach Hause: Dann fielen Schüsse
© seskim

Der türkische Fußball ist so einiges gewohnt. Doch das Attentat auf den Fenerbahce-Bus hat eine neue Tragweite. Die Klubs üben sich im Schulterschluss, bei Fener sitzt der Schock allerdings noch tief.

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In der Türkei wird in der Saison 2014/2015 richtig gut Fußball gespielt. Der Kampf um den Titel ist spannender als beispielsweise in der Bundesliga: Spitzenreiter Galatasaray und Besiktas, das derzeit Platz 3 einnimmt, trennen gerade mal drei Punkte.

Wesley Sneijder hat bei Galatasaray eine Form erreicht, die an den niederländischen Ausnahmekönner erinnern, der Inter einst zum Champions-League-Titel führte.

Bei Fenerbahce sind es Dirk Kuyt und Moussa Sow, die Woche für Woche großartige Leistungen darbieten und groß aufspielen. Für Besiktas-Star Demba Ba gibt es schon eigene Lieder, die in repräsentativen Charts einen guten Platz einnehmen. Der Ex-Bundesliga-Spieler trifft und trifft.

Ohne Rücksicht auf Verluste

In der Türkei, wo selbst beim traditionellen "Tee um Fünf" der Hausfrauen über Fußball gesprochen wird, würde man gerne über den Sport, der durchaus was zu bieten hat, fachsimpeln. Nur: Man lässt sie nicht. Einmal mehr gerät der türkische Fußball in Negativschlagzeilen, weil unbelehrbare Chaoten auf idiotische Ideen kommen.

Am Karsamstag hatten nach letzten Erkenntnissen zwei Männer eine üble Idee. Der eine, so berichten türkische Medien, die sich auf juristische Quellen berufen, soll nach dem 5:1 Fenerbahces bei Caykur Rizespor in sein Auto gestiegen sein, um dem Bus zu folgen. Dieser sollte den Fenerbahce-Tross von Rize nach Trabzon führen, wo der nächste Flughafen ist. Der Mann war nicht alleine: Die Polizei, aus Istanbul mitgereiste Medienvertreter und viele Fans eskortieren den Bus.

Der andere wartete am Straßenrand in der Ortseinfahrt von Sürmene, einem Vorort von Trabzon, mit einer Schrotflinte. Und feuerte dann drauf los - ohne Rücksicht auf Verluste. Dem Busfahrer gelang trotz erheblicher Verletzungen gerade noch, den Bus anzuhalten. Spieler, die in den vorderen Reihen saßen, berichteten im Klub-TV, dass man erst mit Hilfe der Teambetreuer zum Stehen kam.

"Wir wären nicht mehr am Leben"

Einige Meter weiter befindet sich eine Brücke - mit einem steilen Abhang nach unten. Man mag sich kaum ausdenken, was passiert wäre, wenn die Menschen im Bus den 17 Tonnen schweren Transporter nicht mehr unter Kontrolle gebracht hätten. "Wir hätten heute darüber gesprochen, wann die Beerdigung von 25 Spitzensportlern stattfindet", sagt der bekannte türkische Journalist Mehmet Demirkol.

"Wir wären jetzt wohl nicht am Leben, wenn unser Fahrer nicht so mutig gewesen wäre", sagt Fenerbahce-Stürmer Emmanuel Emenike. Von einem "blanken Horror" spricht Ex-Bundesliga-Profi Michal Kadlec in der "Bild". Der Ex-Leverkusener saß in der sechsten Reihe und bekam das ganze Szenario aus nächster Nähe mit.

"Das war ein Terroranschlag. Das war ein versuchter Mord an 41 Menschen, die sich in diesem Bus befanden", sagt Fenerbahces Vize-Präsident Deniz Tolga Aytöre. Der renommierte Jurist will von einem Motiv, der einen sportlichen Hintergrund hat, nichts wissen. "Das hat nichts mit der Rivalität zwischen Fenerbahce und Trabzonspor zu tun. Das geht weit darüber hinaus. Das ist ein terroristischer Akt gewesen. Fern von jeder Rivalität!" Was das Motiv der Attentäter in Sürmene war, ist unklar. Zwar gibt es vage Spekulationen, wirklich sachdienlich erscheinen diese aber nicht.

Kein Akt der Rivalität

Als der Vorfall von Sürmene publik wurde, wurden Vermutungen angestellt, Anhänger von Trabzonspor würden hinter dem Attentat stecken. Beide Klubs verbindet seit dem - nur zum Teil aufgeklärten - Manipulationsskandal von 2011 eine Rivalität, die selbst die tiefe Abneigung zwischen Fenerbahce und Galatasaray in den Schatten stellt.

Zwar gab es bei Fenerbahces Gastspielen in Trabzon wiederholt größere Ausschreitungen, doch das feige Attentat vom Samstag hat selbst in Trabzon für Entsetzen gesorgt.

"Das hat nichts mit Sport zu tun. Das ist unmenschlich. Sowas darf nie passieren", sagte Trabzonspor-Präsident Ibrahim Haciosmanoglu. Der 49 Jahre alte Geschäftsmann, der in den letzten Jahren durch populistische Parolen zur Hauptfigur der Rivalität geworden ist, suchte am Dienstag gar die Trabzoner Polizei auf, um seine Unterstützung bei den Ermittlungen anzukündigen.

Liga will sich professionalisieren

Zwar ist der Hall aus der unbelehrbaren Ecke noch leicht zu hören, doch nach anfänglich wilden Aussagen und haltlosen Beschuldigungen ist Vernunft in der Fußballszene eingekehrt. Der türkische Fußball hat in den letzten Jahren viel erlebt, auch eigenproduziertes Chaos über sich ergehen lassen, doch diese Tragweite ist selbst den Hartgesottenen zu hoch.

Die türkischen Klubs sind derzeit dabei, sich professioneller zu organisieren. Nach dem Vorbild Bundesliga soll sich die Liga eigenständig aufstellen, nicht mehr vom Verband organisiert werden. In der Nachwuchsarbeit gibt es erste - wenn auch noch - kleine Schritte. Die verrostete Ausländerbegrenzung wurde aufgehoben und inzwischen gibt es gar Profi-Schiedsrichter.

Das Letzte, was der türkische Fußball in dieser Phase benötigte, ist ein Chaos wie dieses und deshalb übt man sich auch im Schulterschluss. Fenerbahces größter Konkurrent Galatasaray regte beim Klub-Verband an, die Liga ruhen zu lassen, um Solidarität zu zeigen. Auch die anderen Klubs entsprachen dem Vorschlag. Der Verband sagte den nächsten Spieltag inzwischen ab - gespielt wird eine Woche später.

Wie lange der Frieden hält und wie schnell Ruhe einkehrt, ist unklar. Fenerbahce erwägt eine längere Ruhepause, schickte einzelne Spieler gar in den Urlaub. "Wir haben eine Absage des Spieltags nicht beantragt. Wir werden so lange nicht spielen, bis alles geklärt ist", sagt Aytöre. Einen kompletten Boykott kann sich Fener als börsennotierter Klub nicht leisten.

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