Als Hauptverantwortlicher für eine schlecht spielende Mannschaft wird zuerst immer der Trainer ausgemacht. Und klar, Joachim Löw ist spätestens nach der 0:6- Schmach gegen Spanien angezählt.
Ein Trainer hat in der Regel aber auch mindestens einen verlängerten Arm auf dem Rasen. Im Olympiastadion von Sevilla schickte sich mit Manuel Neuer jedoch nur der Torwart an, die Mannschaft mit Anweisungen zu führen. Von den Feldspielern blieben jegliche Impulse aus.
"Was mich gestört hat, ist, dass man sich nicht gewehrt hat. Es hat sich nicht als Team angefühlt. Keine Körpersprache, keine Kommandos. Man hat nur die Spanier sprechen gehört", sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger nach dem Spiel. "Gerade die, die schon länger dabei sind, müssen das Heft in die Hand nehmen."
Toni Kroos lässt die Chef-Debatte beim DFB wieder aufleben
Toni Kroos ist schon länger dabei, nach Neuer sogar am längsten. Und als Weltmeister mit mehr als 100 Länderspielen auf dem Buckel sowie dreimaliger Champions-League-Sieger und zudem zentraler Mittelfeldspieler ja eigentlich prädestiniert dafür, das Heft in die Hand zu nehmen. Als ehemaliger Mitspieler von Kroos weiß Schweinsteiger aber nur zu gut, dass der Profi von Real Madrid kein Lautsprecher ist. Er war es nie und er wird es auch nie werden.
Das muss er auch nicht. Kroos, der wie kaum ein anderer Spieler im Weltfußball mit seinen Pässen Takt und Rhythmus des Spiels vorgeben kann, ist ein stiller Anführer, der lieber mit Taten auf dem Platz spricht. Bleiben diese Taten aus, gerät der Metronom aus dem Tritt, fällt die Kritik an dem 30-Jährigen umso deutlicher aus. Gerade gegen Spanien stand Kroos (Note 6) sinnbildlich für die Lethargie im deutschen Spiel - und ließ die Chef-Debatte so wieder aufleben.
Wie so oft brachte Kroos natürlich die Pässe, die er spielte, an seine Mitspieler. Er riss das Spiel aber zu keiner Phase an sich, lief dem numerisch wie körperlich überlegenen spanischen Mittelfeld fast nur hinterher. Sowohl in der ersten Halbzeit, als das DFB-Team nur sehr verhalten presste, als auch in der zweiten Hälfte, als die Mannschaft forscher gegen den Ball arbeiten wollte, wirkte Kroos auf verlorenem Posten. Dass er auf einer derart wichtigen Position wie der seinen in 90 Minuten lediglich sieben Zweikämpfe führte, sagt eigentlich alles über seinen Auftritt. Nicht der erste dieser Art.
Toni Kroos' Leistungen schwanken auch bei Real Madrid
Bei Real sind die Leistungen des Routiniers, wohl auch der körperlich immer extremeren Belastung in Zeiten von Corona geschuldet, schon seit Monaten schwankend. Unter Trainer Zinedine Zidane wackelte sein Status der Unverzichtbarkeit aber auch schon vor dem Ausbruch der Pandemie. Im wichtigen Hinspiel des Champions-League-Achtelfinals gegen Manchester City am 26. Februar (1:2) schmorte Kroos zum Beispiel 90 Minuten auf der Bank, obwohl er fit war.
Sicher, der Ex-Profi des FC Bayern kann mit seiner Passsicherheit und seiner Pressingresistenz jeder Mannschaft der Welt einen nicht wegzudiskutierenden Mehrwert bieten. Er sieht aber immer schlechter aus, wenn er keinen Arbeiter wie Casemiro an seiner Seite weiß. Das war auch am Dienstagabend der Fall, als mit Ilkay Gündogan ein ähnlich veranlagter Spieler wie er neben ihm agierte und die Rückwärtsbewegung genauso sträflich vernachlässigte.
Leon Goretzka, die etwas offensivere Komponente im Dreier-Mittelfeld, presste vorne im Nirgendwo herum und kam deshalb gar nicht dazu, die teilweise eklatanten Löcher im Mittelfeld zu stopfen. Der sichtlich angefressene Kroos sprach nach dem Spiel bei der ARD von fehlendem Zugriff. "Spanien hat uns alles vorgemacht: mit Ball, ohne Ball." Viel mehr wollte er nicht sagen. Man müsse das Spiel analysieren, es sei bis zur EM "einiges zu tun". Das trifft auch auf ihn selbst zu.
Toni Kroos: Seine Leistungsdaten bei Real in 2020/21
Einsätze | 9 (507 Minuten) |
Tore | - |
Vorlagen | 1 |
Passquote | 92,03 % |
Zweikampfquote | 55,1 % |
Quelle: Opta