SPOX: Herr Farke, Sie sind mit dem Aufstieg in die Regionalliga 2013 für den größten Erfolg in der Vereinsgeschichte des SV Lippstadt 08 verantwortlich und arbeiten nun seit einem guten Jahr erfolgreich als Coach der U23 von Borussia Dortmund. Dass Sie dennoch keinen Wikipedia-Eintrag haben, ist ein Skandal, oder?
Daniel Farke: Das ist mir gänzlich egal. (lacht) Ich fremdele ohnehin etwas mit dieser Selbstbeweihräucherung und Offenbarung in den sozialen Medien. Ich halte es da eher mit dem Spruch: 'Willst du gelten, mach dich selten.' Im Gegensatz zu der Tendenz, Social Media gezielt zur persönlichen Imagesteigerung zu nutzen, halte ich diesen Weg für nachhaltiger und interessanter. Deshalb nehme ich mich eigentlich auch mit öffentlichen Aussagen zu meiner Person gezielt zurück. Das ist heute also wirklich eher eine Ausnahme.
SPOX: Was müsste man denn unter "Erfolge als Spieler" hineinschreiben: Die 36 Tore für Lippstadt in der Saison 2002/2003, mit denen Sie Torschützenkönig in der damaligen 4. Liga wurden?
Farke: Das wäre vielleicht eine Option, ja. Aber das ist alles schon viel zu weit weg für mich. 2007 habe ich meine Spielerkarriere nach rund acht Jahren als Profi in der 3. und 4. Liga mit 30 beendet. Kurz darauf wurde ich bereits mit 32 Jahren Trainer.
SPOX: Ab wann war klar, dass dies Ihre Zukunft bedeuten würde?
Farke: Gar nicht, ich wollte nie Trainer werden. Das war mir eigentlich immer klar. Es war weder Wunsch, noch Ziel für mich.
SPOX: Das hat offenbar nicht so gut geklappt...
Farke: Ich wusste ja aus der aktiven Zeit wie es ist, für über 20 junge Burschen verantwortlich und abhängig davon zu sein, dass diese den Weg gehen, den man selbst als reiferer Mensch vorgibt. Das hatte ich für mich nicht als besondere Herausforderung gesehen. Mich hat zwar schon frühzeitig die Sicht eines Trainers interessiert und ich habe mir dazu auch immer extrem viele Gedanken gemacht, aber eigentlich wollte ich lieber strukturell und langfristig arbeiten.
SPOX: Haben Sie deshalb parallel zur Spielerkarriere begonnen, in Paderborn Betriebswirtschaften zu studieren?
Farke: Ja, mich hat Sportmanagement relativ frühzeitig interessiert. Da meine Spielerkarriere überschaubar war, ließ sich das nebenbei regeln. Der Hintergedanke war aber schon, durch das Studium später im Sportbereich Fuß zu fassen.
SPOX: Die Trainerscheine haben Sie aber dennoch gemacht.
Farke: Ich begann damit in der Endphase meiner Spielerkarriere, nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte. Ich wollte für die angestrebte Position in der Sportlichen Leitung so viele Kompetenzen wie nur irgendwie möglich vereinen.
SPOX: Ab April 2009 waren Sie dann in Lippstadt beides: Sportdirektor und Trainer.
Farke: Der Verein befand sich in einer Notsituation. Man hatte mich gefragt, ob ich als langjähriger Weggefährte des Klubs nicht als Trainer helfen könnte. Ich habe zunächst zwei, drei Mal dankend abgelehnt. Später kam die Anfrage, das hauptamtlich in einer Doppelfunktion als Sportdirektor und Trainer zu machen. Es wäre für einen solch kleinen Verein auch gar nicht anders darstellbar gewesen. Das hat mich dann gereizt, da ich mich um alles selbst kümmern konnte und musste.
SPOX: War das nicht aus dem Stand eine große Belastung für Sie, als Berufseinsteiger in Doppelfunktion einen darbenden Klub zu übernehmen?
Farke: Natürlich, doch dem Verein ging es nicht gut. Man stand auf einem Abstiegsplatz, schwamm nicht im Geld, die Spieler wollten weg. Es gab viel Unruhe - und ich wollte einfach helfen. Zudem hatte ich einige Ansatzpunkte, von denen ich überzeugt war, dadurch eine Besserung herbeiführen zu können. Im Nachhinein kann ich sagen, gerade aus einer solch schwierigen Situation viele Lerneffekte gezogen zu haben.
SPOX: Wer hat Sie letztlich dazu überredet, den Trainerposten nicht abzugeben?
Farke: Es war eigentlich angedacht, die restliche Saison hinter sich zu bringen und dann einen Nachfolger auf der Trainerposition zu finden. Wir haben aber - zunächst auf einem Abstiegsplatz stehend - acht der letzten zehn Saisonspiele gewonnen und nur eine Niederlage kassiert. Irgendwie lief es also auf Anhieb außergewöhnlich gut. Gerade die Aufgabe, als Trainer mit den Jungs zu arbeiten, hat mir große Freude bereitet. Die Rückmeldungen waren ebenfalls positiv, so dass wir uns letztlich dazu entschieden haben, den Posten nicht neu zu besetzen.
SPOX: Zusätzlich zu dieser Belastung kam noch der Fußballlehrer-Lehrgang, den Sie 2014 als Drittbester abgeschlossen haben. Haben Sie das dann auch deshalb gemacht, um interessanter für höherklassige Vereine zu werden?
Farke: Nein, ich hatte nie einen Karriereplan. Erst recht nicht nach der Vorgeschichte. Natürlich kam mit der Zeit auch der Punkt, an dem ich mir zugetraut habe, auf höherem Niveau zu trainieren. Es gibt ja gewisse Vergleichsmöglichkeiten und manches Mal habe ich Ansatzpunkte gesehen, wie ich eine Situation gestalten würde. Der Wunsch ist mit der Zeit immer stärker geworden und steht für eine Entwicklung, die ich vor acht Jahren niemals vorhersehen konnte. Ich sehe mich mittlerweile durch und durch als Fußballlehrer.
SPOX: Wieso haben Sie Lippstadt überhaupt verlassen?
Farke: Ich hatte schon zuvor einige Angebote, habe aber nach dieser langen Zeit die Schuldigkeit gesehen, die Sache dort mit Vertragsende sauber auf einer guten Basis für die Zukunft zu übergeben. Mir wurde einfach klar, dass ich aufhören und die nächste Phase dazu nutzen möchte, mich weiterzubilden und mir Dinge auf allerhöchstem Niveau anzuschauen.
SPOX: Welche Dinge waren das?
Farke: Ich war zum Beispiel mehrere Tage bei einem Trainerkongress oder bei Vorträgen. Da ich auch im absoluten Spitzenbereich im Fußball recht gut vernetzt bin - beispielsweise habe ich mit Roger Schmidt, Dieter Hecking und Andre Schubert noch gemeinsam Fußball gespielt - wollte ich auf diesem Niveau und auch im Ausland hospitieren.
SPOX: Das hat sich mit der Anfrage des BVB aber relativ schnell zerschlagen.
Farke: So ist aus einem angedachten Sabbatjahr eine Pause von dreieinhalb Monaten geworden. (lacht) Die zu treffende Entscheidung war ja eindeutig: Ziehe ich meinen Plan durch und verzichte auf das Angebot des BVB oder nicht? Spätestens nach den Gesprächen mit den Verantwortlichen war mir aber klar, dass ich diese Chance nicht verstreichen lassen möchte, weil ich die Aufgabe unheimlich interessant fand.
SPOX: Hätte es theoretisch auch andere Möglichkeiten neben der Borussia gegeben?
Farke: Ja. Ich hatte auch vorher schon Angebote für unterschiedliche Positionen in den ersten drei Ligen, war davon aber nicht restlos überzeugt. Wäre Dortmund nicht auf mich zugekommen, hätte ich das Weiterbildungsjahr inklusive Hospitationen durchgezogen, auch wenn das für einen jungen Trainer wie mich vielleicht ungewöhnlich gewesen wäre.
SPOX: Hatten Sie zuvor irgendwelche Verbindungen zum BVB? Und jetzt sagen Sie nicht, dass Sie schon als Kind in schwarzgelber Bettwäsche geschlafen haben.
Farke: Nein, nein. (lacht) Ich bin in Büren im Kreis Paderborn groß geworden, 80 Kilometer von Dortmund entfernt. Dort ist automatisch eine Nähe zum BVB gegeben. Als ich beim SC Paderborn gespielt habe, waren die Ex-Dortmunder Günter Kutowski und Peter Quallo meine Mitspieler. Ich habe beispielsweise schon vor einigen Jahren in der Dortmunder Traditionsmannschaft ausgeholfen, weil Kutowski dort Teammanager ist und mich darum gebeten hatte. Auch mein Großvater hat Ende der 1950er Jahre zwei Spielzeiten lang mit Aki Schmidt, Adi Preißler und Co. für den BVB gespielt. Es bestand also schon immer eine gewisse Affinität.
SPOX: Wie sehr kam das Dortmunder Angebot aus dem Nichts für Sie?
Farke: Ehrlich gesagt nicht so sehr. Ich wusste schon, dass es in der Region eine gewisse Wertschätzung für meine Arbeit in Lippstadt gab. Die Anfrage des BVB kam dennoch sehr kurzfristig, die Gespräche mussten zügig zu einem Ende gebracht werden. Innerhalb einer Woche war alles unter Dach und Fach.
SPOX: Wie muss man sich diese Gespräche vorstellen: Ging es da mit Thomas Tuchel ums Inhaltliche und mit Michael Zorc ums Wirtschaftliche?
Farke: Die erste Kontaktaufnahme kam durch Ingo Preuß, der die U23 recht autark als Manager leitet. Diese vertrauensvollen und positiven Gespräche haben wir anschließend in die größere Runde getragen. Zunächst mit Lars Ricken und Michael Zorc, im Anschluss dann mit Thomas Tuchel und dessen Co-Trainer Arno Michels. Die Gespräche waren allesamt sehr zielführend und von großer Harmonie geprägt, so dass wir recht zügig auch zu einem positiven Ergebnis gekommen sind.