SPOX: Herr Littbarski, sie waren in der Premieren-Saison der A-League 2005/2006 Trainer des FC Sydney. Wir kam es dazu, dass Sie Down Under landeten?
Pierre Littbarski: Ich habe damals vom einem A-League-Manager einen Anruf bekommen. Er hat mir gesagt, dass er mich als Trainer haben will und dass der Präsident ein echter Sport-Verrückter ist, der sich gut im europäischen Fußball auskennt. Sie suchten einen bekannten Namen als Trainer. Jemanden, der ein Team zusammenstellen kann.
SPOX: Wie gestalteten sich die Anfänge für Sie in einer brandneuen Liga?
Littbarski: Das war schon etwas abenteuerlich. Die Liga hat das Maximum an Vereinen rausgequetscht, mehr ging vom finanziellen Aufwand her gar nicht. Man musste überall ganz neue Teams formen, aber die Infrastruktur dazu war nicht da. Die musste erst Stück für Stück aufgebaut werden. Wir mussten uns teilweise in Trainingszentren einmieten. Und außerdem brauchten wir ja noch Spieler...
SPOX: Die Sie selbst anwerben mussten.
Littbarski: Ja. Hier in Europa legt man sich ja meistens ins gemachte Bett, aber in Australien war kein Bett da. Wir haben eine Art Spielercasting veranstaltet. In diesen Trainings mussten wir in kurzer Zeit entscheiden, ob der jeweilige Spieler uns wirklich helfen kann. Da ich aber die Leistungsstärke der anderen Mannschaften nicht kannte, flog ich kreuz und quer durch Australien, um die anderen Teams zu studieren. Doch Spieltermine haben sich in der Vorbereitung teilweise innerhalb von einem Tag geändert. Organisatorisch war das ein einziges Chaos.
SPOX: Hatten sich die Liga-Verantwortlichen zu viel vorgenommen?
Littbarski: Als ich ankam, war die Liga noch im Embryostadium, weil weder die Jungs von der Liga noch die Vereins-Präsidenten großes 'Fußball-Knowhow' hatten. Die kamen ja alle vom Rugby oder Aussie Rules Football. Manche Präsidenten haben es einfach Spielerberatern überlassen, die Teams zusammenzustellen. Die Herren vom Fußballverband dachten damals, das geht alles von alleine. Da haben sie Lehrgeld bezahlt.
SPOX: Ein Wagnis war es auch, die Teams über ganz Australien und Neuseeland zu verstreuen. Logistisch ist ein Auswärtsspiel in Perth sicherlich eine Herausforderung, oder?
Littbarski: Das stimmt, man fliegt von Sydney immerhin fünf Stunden nach Perth. Hin geht es noch, aber zurück haben wir immer von einem sogenannten 'Red-Eye-Flight' gesprochen, weil man mit der Zeitverschiebung immer erst irgendwann in der Früh wieder zuhause ankam. Aber den größeren Nachteil hat natürlich Perth, das permanent an die Ostküste oder bis nach Neuseeland fliegen muss.
SPOX: Der Star Ihrer Mannschaft war damals Dwight Yorke, der als sogenannter 'Marquee Player' verpflichtet wurde. Was ist ein 'Marquee Player'?
Littbarski: Das ist ein einzelner Spieler, der außerhalb des 'Salary Caps' durch Privatsponsoren finanziert werden darf. Ein Marquee-Spieler verdient locker das Fünf- bis Zehnfache der anderen 19 Spieler. Mit Dwight Yorke zu arbeiten, war für mich bis heute eines der größten Erlebnisse meiner Trainerkarriere. Das allein war die ganze Sache wert.
SPOX: Wieso?
Littbarski: Weil der Typ einfach perfekt war und trotz seines Status' keinerlei Starallüren hatte. Nach meiner ersten Trainingseinheit, wir waren gerade am Strand auslaufen, habe ich gesagt: 'Der Yorke kann hier machen was er will. Wenn er frei haben möchte, hat er frei.' Aber Yorke hat sogar noch extra trainiert! Später kam er mal zu mir und sagte: 'Trainer, ich kann heute nicht trainieren.' Da waren bei ihm über Nacht alle Muskeln angeschwollen, so was habe ich noch nie erlebt. Der hat soviel trainiert, dass er eine allergische Reaktion bekommen hat. Irre.
SPOX: Birgt das System mit dem 'Marquee Player' nicht unglaubliches Neidpotenzial?
Littbarski: Nein. Alle anderen kamen ja aus dem Amateurbereich und waren froh, einen außergewöhnlichen Spieler an ihrer Seite zu haben. Es kann natürlich sein, dass sich einer mal auf seinem Starstatus ausruht und nicht ackert, aber im Fall von Yorke war das nicht so. Wenn alle sehen, dass ein Spieler, der bei Manchester United alles erreicht hat, jeden Tag im Kraftraum eine Stunde länger arbeitet, motiviert das auch die anderen. Zudem hat er sich viel mit den jungen Spielern beschäftigt, hat viel mit ihnen unternommen und sie oft auch auf sein Boot eingeladen.
SPOX: Hat ein Star wie Yorke die Liga attraktiver gemacht?
Littbarski: Ja. Er war das erste große Gesicht in der Liga und ist es bis heute. Yorke hat damals pro Spiel 5000 Zuschauer extra angelockt, auch auswärts. Wir haben in Perth gespielt und die haben für das Spiel geworben mit: 'Leute, kauft Tickets, ihr könnt Dwight Yorke sehen!' Die sind nicht mal auf ihr eigenes Team eingegangen.
SPOX: Sind die Australier denn so begeisterungsfähig?
Littbarski: Ja, wenn man ein gutes Produkt anbietet. Wir haben damals gut gespielt, aber es musste auch immer ein bisschen Unterhaltung und Show dabei sein. Dazu sind wir oft mit den Spielern in Schulen gegangen, haben mit Kindern trainiert. Wir haben echte Aufbauarbeit geleistet.
SPOX: Und im Stadion? Wussten die Zuschauer da, was vorgeht?
Littbarski: Wir mussten viele Fans ja für ein Produkt begeistern, das sie vorher gar nicht kannten. Deswegen haben wir viel mit ihnen veranstaltet. Wir haben selbst Plakate entworfen und sind mit der Mannschaft in die Kurve gelaufen. Wir haben ihnen im Fanblock gezeigt, wie man jubelt. Wir haben erklärt, dass man als Fußballfan nicht nur Bier trinkt, sondern die Mannschaft auch anfeuert.
SPOX: Wie kam das an?
Littbarski: Sehr gut! Wir hatten damals über 16.000 Zuschauer im Schnitt, zum Endspiel kamen sogar 42.000 Leute. Es war ein Glücksfall, dass das Endspiel in Sydney ausgetragen wurde. Das hat uns die internationale Aufmerksamkeit gebracht, die der australische Fußball brauchte.
SPOX: Hat die A-League mehr Menschen zum Fußball gebracht?
Littbarski: Sagen wir es so: Das Interesse am Fußball hat sich gut entwickelt. In den Schulen wird extrem viel gespielt, Fußball ist die ganz große Nummer bei den Jugendlichen bis 15 Jahren. Dann wechselten aber alle zum Football, weil man keine Orientierung an einer starken Liga hatte. Die Stars im Fernsehen haben gefehlt. Das ist mittlerweile besser, aber an Aussie Rules Football oder Rugby kommt der Fußball nicht vorbei.
SPOX: Steht die Liga denn jetzt nach fünf Jahren auf soliden Beinen?
Littbarski: Ja, absolut. Die Infrastruktur ist mittlerweile gewachsen, die Sponsoren werden zahlungskräftiger und die Liga wird nun auch unheimlich vom Fernsehsender "FOX" unterstützt. Die Fernsehgelder haben geholfen, das Gesamtbudget anzuheben.
SPOX: Glauben Sie, Australien hat gute Chancen in den nächsten Jahren eine WM auszutragen?
Littbarski: Auf jeden Fall. Die Anbindungen sind gut, die Infrastruktur passt und die Stadien sind topgepflegt. Die schönsten stehen in Sydney und in Queensland, die Kapazitäten sind ausreichend. Es wäre wirklich sensationell, wenn Australien den Zuschlag kriegen würde. Das könnte dem Fußball in Down Under einen Riesenschub geben.