"Wir hatten viel Mühe, den Zugriff zu finden, es war unheimlich schwer. Wir hatten viele, viele Ballverluste und dann bekommt man Probleme." Bundestrainer Joachim Löw sah sich nach dem ersten Länderspiel des Jahres 2014, einem 1:0 gegen Chile, in Erklärungsnot. Selten hatte sich ein Sieg weniger wie ein Sieg angefühlt, als an diesem Abend in Stuttgart.
Zu träge und hölzern war die Vorstellung seiner Schützlinge gegen aggressive und hungrige Südamerikaner. Vom Publikum in der Mercedes-Benz-Arena hagelte es sogar Pfiffe.
Einiges deutete zu Beginn der Neuauflage beim Confed Cup 2017 darauf hin, dass es ein ähnlich verkrampfter Abend in Kasan werden könnte, wenn auch vor kleinerem deutschen Publikum.
90 Minuten Wachsamkeit und das unbedingte Vermeiden von Fehlern hatte Löw vor dem zweiten Gruppenspiel gefordert, denn die unkonventionelle Spielweise des Südamerika-Meisters hatte sich nicht erst in dieser Woche bis ins DFB-Lager herumgesprochen, zumal Bayern-Export Arturo Vidal im Vorfeld noch angekündigt hatte, sein Leben auf dem Platz zu lassen.
Chile zu clever und zu aggressiv
Und so trat er auf. Das Problem für die deutsche Mannschaft war, dass sich Vidals Nebenmänner seinem Credo anschlossen: Aggressiv, extrem körperbetont und vor allem gut eingestellt auf das deutsche System. Der neu formierten Dreierkette des Weltmeisters um Niklas Süle, Shkodran Mustafi und Matthias Ginter entgegnete La Roja mit einer offensiven Dreierreihe und frühem Pressing.
Die Folge waren harsche Patzer im deutschen Aufbauspiel, wie beim 0:1 von Mustafi, infolgedessen sich der wieder genesene Superstar Alexis Sanchez artig bedankte und sich zum alleinigen Rekordtorschützen seiner Farben schoss.
"Gegen eine Weltklassemannschaft wie Chile wird man immer einige Chancen zulassen müssen", räumte Löw später ein. Eine davon hatte Ex-Hoffenheimer Eduardo Vargas nach 20 Minuten, doch die Latte rettete den schon geschlagenen Marc-Andre ter Stegen.
Elf Vidals sind zehn zu viel
Das junge Perspektivteam wirkte eingeschüchtert von einem stark aufspielenden und dominanten Gegner, schließlich hatte der Großteil eine solche Erfahrung zuvor noch nicht sammeln können. Natürlich kennen fast alle Vidal oder Leverkusens Charles Aranguiz aus der Bundesliga, doch elf Vidals hinterließen zu Beginn Spuren.
Es dauerte gut 30 Minuten, bis im deutschen Spiel so etwas wie Entlastung entstand. Diese war allerdings noch immer weit entfernt vom Gehäuse der Chilenen, in dem der 36-jährige Johnny Herrera bis dahin nach einem Abschluss von Lars Stindl nur einmal halbherzig abtauchen musste.
Der Ausgleichstreffer des Gladbachers war deswegen kurz vor der Pause eine kleine Überraschung, die sich das DFB-Team jedoch mit fortlaufender Zeit verdiente. Zwar ließ der Druck der Chilenen nach, doch Draxler und Co. entwickelten zunehmend mehr Mut, sich aus den gegnerischen Fesseln zu befreien, die notwendige Härte im Zweikampf eingeschlossen. Das in der Anfangsphase hergeschenkte Zentrum wurde dicht gemacht, dafür bekam Chile auf den Außenbahnen mehr Räume.
Stindls Erleuchtung und Löws Gefühlslage
Es wuchs die Erkenntnis, "auch gegen große Gegner bestehen zu können", wie es Torschütze Stindl später analysierte. Im zweiten Spielabschnitt übernahm der Weltmeister das Heft des Handelns, blieb aber offensiv genauso harmlos wie Chile auf der anderen Seite. Bis auf einen zaghaften Abschluss von Stindl plätscherte die Partie in der Endphase dahin.
Im Gegensatz zum Sieg 2014 war Löw entsprechend begeistert. "Ich bin sehr zufrieden mit meinen Jungs, das war ein Spiel auf höchstem Niveau mit wahnsinnigem Anspruch. Sie haben das alle klasse gemacht." Seine Elf, die zum ersten Mal in Löws 149. Einsatz an der Seitenlinie über 90 Minuten unverändert blieb, habe im Spiel dazu gelernt und Reife bewiesen.
Nach dem lockeren Aufgalopp gegen Australien ist die Feuertaufe für das Entwicklungsteam des Weltmeisters durchaus gelungen. Gegen Kamerun fehlt am Sonntag nur noch ein Zähler, um in die Runde der letzten Vier einzuziehen, ein Dreier würde Löw den 100. Sieg bescheren. "Wir müssen uns vor niemandem verstecken", meinte Kapitän Julian Draxler, der am Donnerstag häufiger als jemals zuvor in der eigenen Abwehr gefordert war.
Die jüngste Mannschaft des Turniers weiß zu überzeugen. Gegen Australien mit schnellem und direktem Kombinationsfußball, gegen Chile besonders mit mentaler Stärke.