Fehler im System
Im russischen Kader der EM 2016 standen Jikia, Kutepov und Kudryashov jedenfalls nicht, anders etwa als der damals überstürzt eingebürgerte Deutsch-Russe Roman Neustädter, der bisher enttäuschte. "Cherchesov plant ihn künftig eher nicht für die Startelf ein", sagt Journalist Sokolov. Fest eingeplant ist beim Trainer dagegen die Dreierkette in der Abwehr und Denis Glushakov im Mittelfeld. "Ein Leader und das Verbindungsglied zwischen Abwehr und Angriff", lobt Sokolov.
Auch Glushakov ist bereits 30 Jahre alt - und hat wie beinahe alle seine Teamkollegen noch nie im Ausland gespielt. Neustädter von Fenerbahce Istanbul ist der einzige Legionär im Confed-Cup-Kader. Das hat einen einfachen Grund: Wegen einer Ausländer-Begrenzung balgen sich die großen russischen Vereine um die besten Russen. Und locken sie deshalb mit Gehältern, die sie im Ausland nicht bekommen würden. "Dieses System macht die Spieler selbstzufrieden und sorgt für Stagnation", sagt Sokolov.
Die Inkarnation dieses Systems ist wohl Alexander Kokorin. Anfang des Jahrzehnts machte der junge Stürmer von Dinamo Moskau mit vielen Toren und starker Technik auf sich aufmerksam. Statt sich aber dann dem interessierten FC Arsenal anzuschließen, wechselte er 2015 lieber zu Zenit St. Petersburg. "Ein Klub, der gute Spieler traditionell eher schlechter macht", sagt Sokolov. Für Aufsehen sorgte Kokorin letztmals mit einer wilden Part-Nacht nach der EM-Blamage.
Das beste Team für das Freundschafts-Turnier
Kokorin steht nun nicht einmal im Kader für den Confed Cup, dafür die neuen russischen Offensiv-Hoffnungsträger Aleksey Miranchuk (21, Lokomotiv) und Aleksandr Golovin (21, ZSKA). "Von ihnen hängt viel ab, denn sie sind für die kreativen Momente zuständig", sagt Sokolov, "und sie wollen die Bühne Confed Cup nutzen, um sich zu präsentieren." Für einen Wechsel ins Ausland.
Mit einem Auslands-Wechsel, zu Borussia Dortmund gar, wurde auch schon Fedor Smolov in Verbindung gebracht. Der 27-jährige Stürmer von Krasnodar ist amtierender Torschützenkönig der russischen Premier Liga. Selbstverständlich steht er im Confed-Cup-Kader, anders als etwa Deutschland startet Russland nämlich mit der bestmöglichen Mannschaft.
Einerseits weil mangels Pflichtspielen echte Bewährungsproben rar sind, andererseits weil das Turnier im eigenen Land wichtig wirken soll. Wirklich aufzugehen scheint dieser Plan jedoch eher nicht. "Die Leute berührt der Confed Cup wenig", sagt Sokolov, "er wird als Freundschafts-Turnier aufgefasst und die Nachfrage nach Tickets ist dementsprechend gering, auch weil die Eintrittspreise zu teuer sind." Mit vollen Stadien sei trotzdem zu rechnen, erklärt Sokolov, "weil etliche Leute über den Verband Frei-Tickets bekommen werden".
In den großen Städten und an wichtigen Reise-Knotenpunkten wird derweil versucht, dem Turnier Präsenz zu verleihen. Wegweiser und Infoschilder werden zunehmend auch in Englisch übersetzt, berichtet Sokolov, und auch das Confed-Cup-Logo gäbe es hier und da zu sehen.
Cherchesov, Löw und die Spanier
Die Mannschaft hat von alldem jedoch bisher recht wenig mitbekommen, sie hat sich in Tirol auf das Turnier vorbereitet. In den österreichischen Alpen gibt es zwar keine Confed-Cup-Logos, dafür aber alte Bekannte von Cherchesov. 2004 hat er beim FC Kufstein seine Trainerkarriere begonnen, als aktiver Fußballer spielte der Tormann zuvor (unter anderem nach einem Engagement bei Dynamo Dresden) für den FC Tirol Innsbruck.
Sein damaliger Trainer hieß Joachim Löw, von dem er sich in fußballphilosophischer Hinsicht jedoch tendenziell nichts abgeschaut hat. Cherchesovs Vorbilder sind nicht auf der iberischen Halbinsel, sondern einer nordatlantischen Inselgruppe beheimatet. "Cherchesov lässt schnörkellosen Fußball britischer Prägung spielen mit breiten Flügelspielern und vielen Flanken", sagt Sokolov. Das war schon bei den bisherigen neun Freundschaftsspiele Russlands unter seiner Regie (drei Siege, drei Remis, drei Niederlagen) zu erkennen. Ein Faible hat er darüber hinaus für Standardsituationen, die er akribisch einüben lässt.
Am meisten Wert legt er aber auf einen angemessenen Fitness-Zustand seines Teams. "Cherchesov weiß, wie man eine Mannschaft in eine entsprechende physische Verfassung bringt", sagt Sokolov. In dieser Hinsicht erinnere er ihn an Guus Hiddink, der als Trainer für das bis dato letzte Highlight eines russischen Nationalteams verantwortlich war: die Halbfinalteilnahme bei der EM 2008.
Den Titel gewannen damals letztlich die Spanier, die während des Turniers auf dem Fußballplatz des Tiroler Örtchens Neustift übten, der später zu ihren Ehren in "Estadio Espana" umbenannt wurde. Eben dort bereiteten sich nun die Russen auf den Confed Cup vor. Statt Tiki-Taka wurde aber wohl vorrangig Kondition trainiert. Cherchesov weiß seine Mannschaft richtig einzuschätzen - und Journalist Sokolov weiß Trainer Cherchesov zu schätzen: "Wir brauchen derzeit nicht unbedingt eine kluge Taktik, sondern einfach jemanden, der unser durchschnittliches Team mehr laufen lässt als das gegnerische."
Alles zum russischen Nationalteam