Die deutsche Handballnationalmannschaft hat mit einem 25:35 (13:17) gegen Norwegen den Tiefpunkt unter dem Tiefpunkt erreicht - ihrem Spiel fehlt jede Basis. Die Zukunft von Bundestrainer Heiner Brand ist ungewiss. Nach 60 Spielminuten standen die deutschen Handballer verloren auf dem Feld herum wie eine Kegelgruppe, der gerade auf dem Autobahnrastplatz der Reisebus gestohlen worden ist. Sie blickten suchend um sich und sahen jubelnde Norweger allüberall, und wenn sie den Blick zum Anzeigewürfel der Arena zu Jönköping hoben, dann sahen sie eine schockierende Wahrheit: Sie, für die es um so viel ging in diesem Spiel, hatten gegen ein Durchschnittsteam aus Norwegen, für das es um nichts ging, mit zehn Toren Abstand verloren.
Das WM-Debakel im schwedischen Jönköping ist perfekt: Die deutschen Handballer verpassten ihr Minimalziel bei der Weltmeisterschaft in Schweden deutlich, die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 in London ist in weite Ferne gerückt. Noch nie zuvor in der 73-jährigen WM-Geschichte war eine deutsche Mannschaft, die vor vier Jahren noch den Titel im eigenen Land gewonnen hatte, so schlecht platziert.
Die letzten Minuten verbrachte Heiner Brand fast regungslos auf der Bank. Manchmal hob der Bundestrainer noch die Arme, aber meistens saß er einfach nur da und schüttelte den Kopf ob des Grauens. Die erhoffte Reaktion war ausgeblieben, noch schlimmer: Es war, als schändeten die Norweger den toten deutschen Handball in der Kinnarps Arena von Jönköping. Nach der historischen 25:35 (13:17)-Niederlage steht die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) mit nur 2:8-Punkten bei der 22. WM in Schweden im Spiel um Platz elf und verzeichnet (abgesehen von der verpassten WM 1997) das schlechteste Resultat in der 73-jährigen WM-Geschichte.
Für Verwirrung sorgten zwischenzeitlich die Schiedsrichter Bogdan Stark und Romeo Stefan (Rumänien), die Kreisläufer Sebastian Preiß nach dessen zweiter Zeitstrafe versehentlich die Rote Karte zeigten. Im bislang einzigen schwachen WM-Spiel des deutschen Torhüter-Duos Johannes Bitter und Silvio Heinevetter trafen die Norweger fast nach Belieben. Auch SPOX-Experte Christian "Blacky" Schwarzer zeigte sich nach der desolaten Vorstellung der DHB-Auswahl konsterniert.
Conrad: Blacky, bist Du nach diesem Debakel schon bereit für eine erste Analyse?
Blacky: Ich bin nach wie vor konsterniert. Trotzdem können wir es ja mal mit einer Analyse versuchen...
Conrad: Bevor wir über das Spiel sprechen - glaubst Du, dass Heiner Brand weiterhin als Bundestrainer zur Verfügung steht? Wie würdest Du an seiner Stelle entscheiden?
Blacky: Das ist schwer zu sagen. Ich möchte hierzu keine Prognose abgeben. Ich habe bisher eine solche oder ähnliche Situation weder als Trainer noch als Spieler erlebt. Heiner wird einige Tage brauchen, um die Dinge für sich zu ordnen.
Conrad: Nach der Niederlage gegen die Ungarn hatte Heiner Brand am Dienstag gegen die Norweger eine Reaktion von seiner Mannschaft verlangt. Trotzdem hatte man den Eindruck, dass sich keiner der Spieler mit vollem Einsatz gegen eine weitere Niederlage gestemmt hat. Kannst Du Dir dieses Verhalten erklären?
Blacky: Nein! Eigentlich hätten die Jungens mit jedem Ball ins Tor fliegen müssen. Die Chance auf eine Teilnahme bei den Olympischen Spielen 2012 in London sollte als Motivation ausreichen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Olympische Spiele für jeden Sportler ein großartiges Ziel sind. Ich durfte vier Mal dabei sein. Ich kann mir diesbezüglich den Auftritt unserer Jungens gegen Norwegen nicht erklären.
Conrad: Die Mannschaft hatte nach dem Frankreich-Spiel bereits einen ersten Tiefpunkt. Es gab eine Aussprache unter den Spielern und mit dem Trainer. Trotzdem hat man heute das Gefühl, dass die Mannschaft aus den Fehlern, die gegen Spanien und Frankreich gemacht wurden, nichts gelernt hat. Im Gegenteil, der Tiefpunkt ist noch einmal nach unten abgefallen. Erreicht der Bundestrainer dieses Team überhaupt noch?
Blacky: Ich kann mir diesen Rückschlag nicht erklären. Ich dachte, die Jungens sind als Team weiter und haben aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die jüngsten Ergebnisse zeigen etwas anderes.
Conrad: Kann die DHB-Auswahl im Spiel um Platz elf gegen Argentinien am Donnerstag in Kristianstad zumindest etwas Wiedergutmachung betreiben?
Blacky: Aus eigener Erfahrung muss ich sagen: Das schwerste Spiel kommt noch! Diese Platzierungsspiele sind sehr undankbar. Ich kann mich an ein solches Platzierungsspiel in Frankreich erinnern, dass wir schließlich in der Verlängerung verloren haben. Das wird ein harter Gang für die Jungens!