Die Frage lautet: Warum?

Von Für SPOX in Jönköping: Florian Regelmann
Uwe Gensheimer unterlag mit dem DHB-Team 25:27 gegen Ungarn
© Getty

Einmal hui, dann wieder pfui. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft zeigte gegen Ungarn ihr hässliches Gesicht und gibt auch Bundestrainer Heiner Brand Rätsel auf. Vor dem Spiel gegen Norwegen ist die Situation im Hinblick auf die Qualifikation für die Olympischen Spiele dramatisch.

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Uwe Gensheimer möchte sich am liebsten ein Loch buddeln und sich darin verkriechen. Er hat gerade Sekunden vor dem Ende das völlig unbedeutende 25:27 geworfen. Die Schlusssirene ertönt. Die Ungarn jubeln und stürmen auf ihren herausragenden Keeper Nandor Fazekas zu. Die deutschen Spieler starren mit leerem Blick in die Arena. Und Gensheimer? Der zieht sich das Trikot bis weit über den Kopf. Sich verstecken ist angesagt.

Und was soll man sagen: Diese deutsche Handball-Nationalmannschaft hat nach dem katastrophalen Auftritt gegen Ungarn allen Grund, sich zu verstecken. Wir springen noch mal kurz zurück in die 59. Minute. Trotz der miserablen Leistung ist immer noch die Chance auf die Wende da.

Deutschland erobert den Ball und Gensheimer kann gemeinsam mit Christian Sprenger zum Gegenstoß ansetzen. Aber statt den Ausgleich zu machen, verliert er in höchstem Tempo den Ball. Eine Szene mit Symbolcharakter für das ganze Spiel. Man kann böse sein und das amateurhaft nennen oder es als sehr, sehr unglücklich umschreiben, aber Fakt bleibt: So ein Turnover darf nicht passieren.

Fürchterliche Gegenstoß-Quote

Und er passiert Gensheimer ja auch im Normalfall nicht. Das ist das Schlimme. Man kann sich sowieso an kaum ein Spiel erinnern, bei dem der Löwen-Linksaußen so viele freie Würfe verballert hat. Zynisch gesagt: Wenn der Ballverlust nicht passiert wäre, hätte er den Wurf an diesem Abend in Jönköping wohl an den Pfosten gezimmert. Die Gegenstoß-Quote der DHB-Auswahl stand am Ende bei 14 Prozent. Ein Treffer bei sieben Gegenstößen. Jämmerlich.

"Wenn man will, kann man das so sehen, dass diese Szene bezeichnend war. Aber ich konnte den Ungarn einfach nicht sehen und dann hat er den Ball herausgespitzelt. Das ist auf jeden Fall sehr bitter. Wir haben keine starke Leistung gezeigt und zur Pause dennoch geführt. Da war eigentlich alles noch im Lot", sagte Gensheimer nach dem Spiel im Gespräch mit SPOX.

Recht hat er. Obwohl die Angriffsleistung schon in der ersten Halbzeit häufig zum Wegschauen war, führte Deutschland. Der Grund dafür ist relativ leicht gefunden, er hatte ein orangefarbenes Trikot an, heißt Johannes Bitter und stand im Tor. "Wir hatten alles in der eigenen Hand und verspielen es wieder", war der HSV-Schlussmann fassungslos über das, was sich in der zweiten Hälfte abspielte. Es war unentschuldbar, was sich da abspielte. Das muss so deutlich gesagt werden dürfen. Denn die Ungarn waren keinesfalls sonderlich gut.

Mit einer Leistung, die auch nur annähernd auf dem Niveau des Island-Spiels gewesen wäre, hätte das DHB-Team Ungarn geschlagen. Sogar ohne große Probleme. Aber warum hat diese Mannschaft diese zwei völlig unterschiedlichen Gesichter? Warum zeigte sie nach so einem großen Sieg wie gegen Island jetzt wieder ihr hässliches? Warum musste man sich als Beobachter fragen, ob diese Mannschaft innerhalb von 48 Stunden alles verlernt hat? Warum?

"Da haben wir uns wohl gedacht: "Oh Gott!"

"Als es nicht lief, ist die Unsicherheit dazu gekommen. Dann haben wir auf die Anzeigetafel geschaut und gesehen, dass wir mit zwei Toren hinten sind. Da haben wir uns wohl gedacht: 'Oh Gott!' Irgendwie hatten wir diese Gedanken im Kopf", erklärt Gensheimer. Ein mentales Problem also? Aber gegen Island hatte die Mannschaft doch einen zwischenzeitlichen Rückschlag im Spiel auch gut weggesteckt. Das kann es doch nicht sein.

Es ist absolut rätselhaft - nicht zuletzt für den Bundestrainer höchstpersönlich. "Ich kann im Moment nicht sagen, warum wir so gespielt haben. Ob es tatsächlich die Müdigkeit war. Ob der Druck vielleicht zu groß war. Dass die Mannschaft überheblich ins Spiel gegangen ist, kann ich mir nicht vorstellen. Dazu bestand ja überhaupt kein Grund, nur weil man gegen Tunesien und Island überzeugend gewonnen hat. Das muss andere Gründe haben", sagte Heiner Brand.

Rein spielerisch gesehen zeigte das Ungarn-Spiel überaus deutlich, wo die Probleme liegen. Die Abwehr stand in Phasen zwar auch nicht immer top, aber in den Sand gesetzt wurde die Partie im Angriff. Kein Tempo bzw. immer ein gleichförmiges Tempo, keine Dynamik, keine Durchsetzungskraft - und wenn man dann mal durch war, vergab man die Chancen auch noch leichtfertig.

Man kann sich keinen Führungsspieler "basteln"

"Wir sind nur in der Lage, auf hohem Niveau zu spielen, wenn wir mit vollem Einsatz und voller Power spielen. Wir müssen immer an die Grenze gehen. Wenn wir das nicht schaffen, reicht es nicht für ganz oben. Dann reichen unsere spielerischen Möglichkeiten eben nicht. Die Qualität anderer Mannschaften ist da besser", meinte Brand. Darauf angesprochen, dass auch mal wieder ein echter Führungsspieler gefehlt habe, antwortete Brand, dass man sich diesen "nicht basteln" könne.

Der Bundestrainer wirkte nach der Pleite verständlicherweise extrem niedergeschlagen. Die Lage ist auch durchaus dramatisch. Es geht um London 2012 - und es sieht verdammt haarig aus. Dabei hätte man es so schön haben können. Ein Sieg gegen Ungarn hätte die Tür zum Spiel um Platz fünf ganz weit aufgestoßen. Mit einem fünften Platz hätte man sogar noch eine kleine Chance gehabt, eines der drei Olympia-Qualifikationsturniere im April 2012 zuhause zu bestreiten. Abhängig davon, was bei der EM 2012 in Serbien passiert. Alles vorbei.

Nach dem Ungarn-Desaster bleibt nur noch dieser ominöse siebte Platz, den es zu erreichen gilt. Es ist der letzte Platz, der zur Teilnahme an einem Olympia-Qualifikationsturnier berechtigt. Wird dieser verpasst, müsste man 2012 schon Europameister werden, um noch das London-Ticket zu buchen. Momentan vielleicht eine Vorstellung, die etwas weit her geholt erscheint...

Platz sieben ist in Gefahr

Aber selbst dieser siebte Platz in Schweden ist in allerhöchster Gefahr. Es geht damit los, dass man es nicht mehr selbst in der Hand hat. Holt Island gegen Frankreich einen Punkt, kann Deutschland höchstens Fünfter seiner Hauptrunden-Gruppe werden. Ein Albtraum. Wenn man davon ausgeht, dass die Franzosen ja schon ihren Gruppensieg klarmachen wollen und Island wie erwartet schlagen werden, sieht es besser aus. Aber immer noch heikel.

Statistik: Die besten Torschützen und die besten Vorbereiter

Denn Grundvoraussetzung ist bei allen Szenarien ein deutscher Sieg gegen Norwegen. Und ob der gelingt? Da dürfen schon ein paar Zweifel angemeldet werden. Die Norweger haben zwar noch keinen Punkt auf dem Konto in der Hauptrunde, aber sie haben keine schlechte Mannschaft. Das haben sie gegen Frankreich auch gezeigt. Guter Torwart (Steinar Ege), sehr gute Spielmacher-Kreisläufer-Achse (Börge Lund/Bjarte Myrhol), Top-Rückraum-Talent (Espen Lie Hansen) - das wird eine sehr schwierige Aufgabe für das jetzt wieder angeschlagene deutsche Team.

Würde Deutschland gegen Norwegen verlieren, wäre die Folge übrigens ein Spiel um Platz elf. Man darf es sich gar nicht vorstellen. Genauso wenig, wie man sich vorstellen sollte, wie tricky ein Spiel um Platz sieben werden wird, wenn man es denn hoffentlich erreicht. Dort könnte der Gegner nämlich entweder Polen, Argentinien oder eventuell sogar Kroatien heißen. Da kommt Freude auf...

"Wir müssen die Situation realistisch einschätzen. Wir haben keine gute Situation. Die hätten wir mit einem Sieg gegen Ungarn gehabt", sagte Brand. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Brand wird hoffen, dass seine Spieler erneut eine Reaktion zeigen. Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass es genau so kommen wird. Gegen Norwegen kommt dann vielleicht wieder das Gesicht aus dem Island-Spiel zum Vorschein. Aber die Frage nach dem Warum bleibt.

Der Spielplan der Handball-WM 2011