Keine Angst vor dem Schatten von Heiner Brand

Von Interview: Florian Regelmann
Martin Heuberger führte die DHB-Junioren zum WM-Titel in Griechenland
© Imago

Die DHB-Junioren sind schon wieder Weltmeister geworden, aber was bringt es dem deutschen Handball wirklich? Der Weg bis zur A-Nationalmannschaft ist weit. Bundestrainer Martin Heuberger (47) über ein großes Dilemma, mögliche Shootingstars und die Brand-Nachfolge.

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SPOX: Herr Heuberger, herzlichen Glückwunsch zum WM-Titel mit den DHB-Junioren. Es sind jetzt einige Tage vergangen seit dem Finale, welches Gefühl überwiegt bei Ihnen die Mannschaft betreffend?

Martin Heuberger: Ich bin stolz auf die Jungs. Es hat wirklich Spaß gemacht, dabei mitzuwirken und zu erleben, wie sich die Mannschaft in Griechenland im Verlauf der WM entwickelt hat. Vor allem, dass die Jungs dann im Finale auch noch ihre beste Turnier-Leistung abgerufen haben, war natürlich sehr erfreulich. Sie waren zum richtigen Zeitpunkt voll da.

SPOX: So wirklich erwarten konnte man diesen Erfolg ja nicht.

Heuberger: Nein, überhaupt nicht. Es kam eigentlich sehr überraschend. Wir hatten eine nicht ganz leichte Vorrunden-Gruppe erwischt, mit unorthodoxen und unangenehmen Gegnern wie Ägypten und Brasilien, aber da sind wir sehr souverän durchmarschiert. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich dann, dass wir mit den Jungs doch mehr erreichen können als wir uns vorgenommen hatten. Der letzte Knackpunkt war dann das Halbfinale, als wir zum zweiten Mal gegen Ägypten gekommen sind und auch diese Situation gemeistert haben. Danach war es klar, dass wir eine reelle Titelchance haben.

SPOX: Das Team hat auch Schwächephasen immer gut weggesteckt. Im angesprochenen Halbfinale gegen die Ägypter geriet man auch mal in Rückstand in der zweiten Halbzeit. War diese mentale Stärke die größte Qualität des Teams?

Heuberger: Sie war auf jeden Fall eine der großen Stärken. Die Jungs sind mit schlechteren Phasen gut umgegangen und haben immer wieder zu ihrem Spiel gefunden. Wenn man das Finale gegen die Dänen nimmt: Da stand es 15:15, bevor wir sie komplett an die Wand gespielt haben. Die Mannschaft hat es exzellent verstanden, sich in den entscheidenden Momenten zu konzentrieren und den Dreh zu finden, um die Spiele zu gewinnen.

SPOX: Jeder hat gesehen, dass es im deutschen Handball viele Top-Talente gibt. Aber das ist ja wahrlich keine neue Erkenntnis...

Heuberger: Das ist richtig. Es war insofern überraschend, weil dieser Jahrgang nicht so hoch gehandelt wurde wie die Vorgänger-Mannschaft, aber als Team haben sich die Jungs einfach top entwickelt im Turnier. Uns wird immer vorgeworfen, dass wir zu sehr auf Titel schauen würden. Da muss ich in dem Zusammenhang deutlich widersprechen. Unsere Arbeit basiert vor allem auch darauf, dass wir Spieler an das Bundesliga-Niveau heranführen. Und in dieser Mannschaft sind einige Spieler drin, die das Potenzial haben, um an die Tür zur A-Nationalmannschaft zu klopfen. Das ist noch ein weiter Weg, aber das Potenzial ist vorhanden.

SPOX: Sie sprechen es selbst an, dass es noch ein weiter Weg ist. Wenn man einfach mal Handball mit Fußball vergleicht, ist der Unterschied gewaltig. Ein U-21-Nationalspieler des DFB ist sehr viel näher am A-Team als ein Mitglied dieser Junioren-Weltmeister-Mannschaft an der DHB-Auswahl. Warum ist das so?

Heuberger: Der größte Unterschied zum Fußball liegt mit Sicherheit in der körperlichen Präsenz. Unsere Jungs sind mit 20, 21 Jahren körperlich nicht so ausgereift, um international im Wettbewerb mit gestandenen Profis bestehen zu können. Diese Körperlichkeit muss erst entwickelt werden und zum zweiten gibt es auch einen großen Unterschied in der Spiel-Erfahrung. Der Übergang zwischen Junioren- und Erwachsenenbereich geht im Fußball viel schneller und nahtloser vonstatten.

SPOX: Dann ist klar, was man schnellstens ändern muss. Es muss viel früher in der Jugend mehr Wert auf die athletische Ausbildung gelegt werden. Tut sich in dieser Hinsicht etwas?

Heuberger: Das ist genau der Ansatzpunkt. Im Vergleich zu anderen Nationen lag in diesem Bereich unser großer Nachteil, aber inzwischen haben wir da schon Fortschritte erzielt und aufgeholt. Das große Thema heißt jetzt: Anschlussförderung. Die Bundesliga-Vereine müssen sich verstärkt um die individuelle Förderung der Spieler kümmern. Das beißt sich zwar ein wenig mit dem Erfolgsdruck, dem die Klubs Woche für Woche ausgesetzt sind, aber nichtsdestotrotz muss man individuell viel mehr mit den Spielern arbeiten, wenn man Talente an das Spitzenniveau heranführen will. Die Nationalmannschaft alleine kann das nicht bewerkstelligen.

SPOX: Die Situation ist ja auch geradezu grotesk. Bei der Junioren-WM hat Deutschland jetzt auch die Handball-Supermacht Frankreich geschlagen. Aber wenn es dann zur A-WM geht, wie zuletzt in Schweden der Fall, dann ist einer der großen Shootingstars doch wieder ein Franzose: nämlich William Accambray.

Heuberger: Das ist ein gutes Beispiel. Accambray ist Jahrgang 1988 und war dabei, als wir 2009 mit den Junioren in Kairo den WM-Titel geholt haben. Wie sich der Junge in den letzten zwei Jahren körperlich entwickelt hat, ist erstaunlich. Aber da sieht man eben mal, was möglich ist, wenn man sich intensiv mit den Spielern beschäftigt. Die individuelle Förderung ist das A und O.

SPOX: Im Vergleich zu Accambray ist Christian Dissinger, unser deutsches Top-Talent auf der Königsposition im linken Rückraum, zwar sicher nicht weniger talentiert, aber körperlich macht Accambray dann schon eine andere Figur.

Heuberger: (lacht) Athletische Defizite hat er sicher noch eine Menge, das ist richtig. Christian wechselt jetzt nach Schaffhausen in die Schweiz, das ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite wird ihm ein Jahr in der Schweiz gut tun, ihn sicher auch charakterlich prägen, auf der anderen Seite war er in Friesenheim ein absoluter Leistungsträger und hätte dort 38 Spiele auf einem guten Niveau und mit viel Verantwortung machen können. In Schaffhausen kann er wiederum Champions League spielen und er hat die Zeit, intensiv an seinen körperlichen Defiziten zu arbeiten. Es gibt da Pro und Contra. Ich hoffe, dass er schnell den Sprung schafft.

SPOX: Die Vereine tragen sicher Verantwortung, aber sie würden sich garantiert nicht wehren, wenn sich ein junger deutscher Spieler so aufdrängt und durchsetzt, dass man an ihm nicht mehr vorbei kommt. Muss auch von den Talenten mehr kommen?

Heuberger: Mit Sicherheit sind auch die Spieler gefordert. Sie dürfen mit 20, 21 nicht denken, dass sie fertige Bundesliga-Spieler sind. Wenn sie besser werden wollen, müssen sie mehr tun. Sie müssen aber auch an die Hand genommen werden. Man muss ihnen konkrete Inhalte vorgeben. Das ist auch unsere Aufgabe beim DHB, wenn in den Vereinen zu wenig passiert. Deshalb ist es auch eines meiner großen Anliegen, dass ich mich mit den Bundesliga-Trainern unterhalte und wir versuchen, die Schwachstellen zu verbessern. Es geht nur gemeinsam. Wir sind auf die Liga angewiesen, wenn wir mit der Nationalmannschaft erfolgreich sein und insgesamt im deutschen Handball wieder etwas bewegen wollen.

Teil 2: Heuberger über die Brand-Nachfolge und personelle Veränderungen

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