Hoffnungsträger nach Rekorddebüt: Adam Wharton schaffte es in vier Monaten aus der 2. Liga in Englands EM-Kader

Von Krishan Davis / Jochen Tittmar
Adam Wharton
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Im Februar wechselte Adam Wharton von Zweitligist Blackburn Rovers zu Crystal Palace. Dort beeindruckte er - und steht nun im EM-Kader der englischen Nationalmannschaft.

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Adam Whartons kometenhafter Aufstieg erreichte in dieser Woche neue Höhepunkte. Am Montag gab er gegen Bosnien-Herzogowina sein Debüt in der englischen Nationalmannschaft - nur vier Monate, nachdem er den Championship-Verein Blackburn Rovers in Richtung Crystal Palace in der Premier League verlassen hatte. Am Donnerstag wurde Wharton schließlich in den finalen EM-Kader aufgenommen - im Gegensatz zu Größen wie Jack Grealish (Manchester City) und James Maddison (Tottenham Hotspur).

So wie der Wechsel in die erste Liga für den 20-jährigen Wharton eine Selbstverständlichkeit war, so souverän zeigte er sich auch bei seinem Länderspieldebüt mit einer beeindruckenden 28-minütigen Vorstellung und fügte dem Mittelfeld der Three Lions eine neue Dimension hinzu, die sie bisher schmerzlich vermisst haben.

Trainer Gareth Southgate hatte vor dem Spiel gesagt: "Wenn ich ehrlich bin, fehlen uns diese Art von Spielern schon seit sieben oder acht Jahren. Das hat sich bisweilen auf unsere Spielweise ausgewirkt."

Das war auch im St. James' Park wieder der Fall, als England 60 Minuten lang gegen den tief stehenden bosnischen Block ankämpfte und erst durch einen Elfmeter von Cole Palmer nach einer fragwürdigen Elfmeterentscheidung in Führung ging.

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Adam Wharton feiert starkes Länderspieldebüt für England

Wharton wurde unmittelbar danach eingewechselt und sein kurzer Auftritt bot einen verlockenden Einblick in die Möglichkeiten, die der Nationaltrainer bei der EM nun hat. Er war makellos am Ball, diktierte das Tempo des Spiels und verbesserte es grundlegend. Für die Three Lions stehen in der Gruppenphase einige zermürbende Kämpfe an. Wharton hat nun bewiesen, dass er in Deutschland ein sicherer Rückhalt für die Mannschaft sein kann.

Man würde es den meisten jungen Spielern verzeihen, wenn sie bei ihrem Länderspieldebüt das Rampenlicht meiden und es sich leicht machen, doch Wharton war fest entschlossen, sich an die Prinzipien zu halten, die Southgate von Anfang an beeindruckt hatten. Ein Beispiel dafür war sein erster Pass: Ein geschmeidiger Ball, der einen Gegner umspielte und Jack Grealish im Raum fand, gefolgt von einer genialen Flanke, die am Ende verdientermaßen im Netz landete.

Es ist keine besondere Leistung, in so kurzer Zeit auf dem Spielfeld eine solche Wirkung zu erzielen, aber Wharton beendete das Spiel mit einer Passgenauigkeit von 100 Prozent (36/36), die alle aus nur 37 Ballberührungen resultierten. Laut Opta ist der Youngster der erste Mittelfeldspieler, der bei seinem Debüt in England mehr als 30 Pässe gespielt und jeden einzelnen davon an den Mann gebracht hat.

Am Freitagabend gegen Island, als die Three Lions mit 0:1 in Wembley verloren und damit kurz vor dem EM-Start eine kalte Dusche bekamen, kam Wharton nicht zum Einsatz.

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"Es steht außer Frage, dass er uns beeindruckt hat"

Der vielleicht auffälligste Aspekt seines Auftritts war die scheinbar angeborene Fähigkeit, die einfachsten Dinge so leicht aussehen zu lassen - das Attribut, das Wharton Vergleiche mit der goldenen Generation spanischer Mittelfeldspieler der späten Nullerjahre und frühen 2010er Jahre eingebracht hat.

Es scheint, als hätte Southgate lange, lange nach dieser Eigenschaft gesucht. "Es steht außer Frage, dass er uns beeindruckt hat", sagte der Trainer nach dem Spiel. "Wir haben Dinge in seinen Leistungen für seinen Verein gesehen. Das Wichtigste für uns ist seine Fähigkeit, eine Situation zu erkennen und den Ball früh nach vorne zu spielen. Das klingt sehr einfach, aber diese Art von Spieler war in den letzten sieben oder acht Jahren nicht so einfach für uns zu finden."

Das Wunderbare an Wharton aus englischer Sicht ist, dass er über eine Technik verfügt, die zu seinem fußballerischen Verstand passt und jedes Mal, wenn er den Ball aufnahm, sich drehte und einen geschmeidigen Pass zu seinem Mitspieler spielte, Klasse ausstrahlte - immer mit dem vorrangigen Ziel, das Spiel voranzutreiben, anstatt seitlich zu passen. Wharton hielt er sich an einfache, progressive Pässe, die immer überlegt waren.

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Adam Wharton: Raumdeuter für England

Diese Fähigkeit, mit progressiven Pässen Räume zu finden, könnte bei der EM von großem Nutzen sein. Schließlich gibt es einen Grund, warum Bosnien als Testgegner ausgewählt wurde, denn Englands Gegner in der Gruppenphase Serbien, Dänemark und Slowenien werden sich mit Sicherheit ebenso defensiv aufstellen.

In seiner kurzen Zeit im St. James' Park hat Wharton bewiesen, dass er der Spieler sein kann, der die tiefen Blöcke überwinden kann. Er ließ sich oft intelligent zurückfallen, fand aber auch immer wieder Lücken, um den Ball zu erobern, das Pressing auf sich zu ziehen und dann mit einem gezielten Ball nach vorne einen Mitspieler im Raum zu finden.

Der 20-Jährige ist nicht unbedingt ein Assistgeber, aber als Raumdeuter kann er im Spielaufbau den so genannten Pre-Assist spielen, indem er seinen Stürmerkollegen Raum verschafft. So war es auch beim Tor von Trent Alexander-Arnold am Montag: Wharton sorgte an der Strafraumgrenze für Druck, bevor er den Ball zum freien Grealish weiterleitete, der wiederum seinen Gegenspieler stehen ließ und eine exzellente Flanke schlug, die der Liverpooler Außenverteidiger gekonnt mit einem Volleyschuss verwertete.

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"Die anderen Spieler haben seine Qualität erkannt"

Das Spiel war für Wharton ein wichtiger Schritt und er hat sich dadurch Respekt und Bewunderung bei seinen Teamkollegen erarbeitet. "Er hat noch viel vor sich, muss sich anpassen, aber die anderen Spieler haben seine Qualität erkannt", sagte Southgate nach dem Bosnien-Spiel. "Wenn man sieht, welche Positionen die anderen Spieler einnehmen, wie sie auf dem Trainingsplatz miteinander umgehen, dann weiß man, dass die Spieler etwas in ihm gesehen haben. Er hat mit seinem Auftritt bestätigt, was wir von ihm in der letzten Woche im Training gesehen haben und auch, als wir ihn für seinen Verein beobachtet haben. Er hat sich sehr gut an alles angepasst."

Whartons Einsatz gegen die Bosnier deutet darauf hin, dass er nicht nur deshalb nominiert wurde, um die Zahl der Spieler aufzustocken. Stammspieler Declan Rice etwa kam nicht zum Einsatz, da der Trainer lieber Wharton sehen wollte.

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Adam Wharton: Startelfspieler oder Einwechseloption?

Eine Garantie für einen Platz in der Startelf bei der EM gibt es für Wharton aber natürlich nicht. Rice und Jude Bellingham werden im Dreiermittelfeld gesetzt sein, zu ihnen wird wahrscheinlich Conor Gallagher stoßen - ein Spieler, der bei jedem Trainer, für den er spielt, sehr beliebt zu sein scheint und der es Rice ermöglichen würde, mehr als Box-to-Box-Spieler zu agieren.

Mit Kobbie Mainoo, der allerdings am Freitag keine Pluspunkte sammeln konnte, und Wharton hat Southgate zwei junge, hochwertige Optionen für die Rotation auf der Bank. Sie könnten die ideale Ergänzung für Rice sein.

Es ist jedoch auch gut möglich, dass man von Wharton nach der Gruppenphase nicht mehr viel sehen wird, denn selbst der starke Bellingham wurde von Southgate bei seinem ersten Turnier bei der EM 2020 nur sparsam eingesetzt. Gegen Bosnien hat der Debütant allerdings jetzt gezeigt, welch fundamentale Rolle er als Abräumer zu Beginn des Turniers für England spielen kann.